Er ging, wie er gekommen war: ohne wirklich verstanden zu haben, was die deutsche Verfassung unter einem Bundespräsidenten versteht.
Schon vor seiner ersten Wahl im Jahr 2004 ließen Äußerungen in Interviews den Verdacht aufkommen, der geschäftsführende IWF-Direktor habe so lange im Ausland gelebt, dass ihm einige Details im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten des deutschen Staatsoberhaupts nicht mehr unmittelbar präsent waren. Zu sehr sprach der Kandidat von den Dingen, die er während seiner Regierungszeit zu ändern gedenke. Dabei entging ihm offenbar, dass der deutsche im Gegensatz zum US-amerikanischen Präsidenten keine reale Macht besitzt. Die kommt dem protokollarisch zwar niedriger gestellten, aber von den Befugnissen her besser ausgestatteten Bundeskanzler zu. Die Nummer eins des Staats schneidet Bändchen von Ausstellungen durch, verleiht Bundesverdienstkreuze und hält in der Zwischenzeit schöne Reden, die dann alle bejubeln, ohne daraus irgendwelche Handlungen abzuleiten.
Eine winzige Stelle, an der man die Muskeln spielen lassen konnte, hatte er, und vielleicht besteht sein historischer Verdienst darin, dieses Detail der Verfassung dem Volk in Erinnerung gerufen zu haben: das Unterschreiben von Gesetzen. Freilich hat der Präsident auch hier nur äußerst eingeschränkte Befugnisse, aber immerhin kann er seine Unterschrift verweigern, wenn er Zweifel am verfassungsgemäßen Zustandekommen eines Gesetzes hat. Zweimal nutzte Köhler diese Option und verhinderte auf diese Weise wenigstens zwei Verfassungsbrüche durch die Regierung. Andere, später als grundgesetzwidrig eingestufte Gesetze ließ er wiederum passieren. Man kann ihn für das Eine oder das Andere kritisieren, sollte aber dabei bedenken, dass die eigentliche Aufgabe, Grundrechtsverstöße zu verhindern, dem Bundesverfassungsgericht zukommt. Eigentlich kommt sie dem Bundestag zu, indem er solche Gesetze gar nicht erst beschließt. Am eigentlichsten kommt sie uns zu, indem wir wenigstens den einen oder anderen Volksvertreter ins Parlament wählen, der unsere Verfassung als Leitschnur, nicht als Hindernis betrachtet.
Köhler sah sich als politischer Präsident, und er ließ es an deutlichen Worten nicht mangeln - deutliche Worte, die Balsam für die von der Selbstherrlichkeit ihrer Führungselite irritierte Volksseele waren, aber ansonsten vollkommen wirkungslos verklangen. Wer austeilt, muss jedoch auch einstecken können, und hier ließ der scheidende Bundespräsident erneut offensichtliche Fehleinschätzungen des Amtes erkennen, in das er sechs Jahre zuvor gewählt worden war. Der Bundespräsident ist kein Heiliger, Kritik an seiner Amtsführung keine Gotteslästerung. Insbesondere verschmelzen Amt und Person nicht zu einer untrennbaren Einheit.
Zwei Kleinigkeiten am Rand: Erstens ist es bezeichnend für den geheuchelten Respekt gegenüber dem Amt des Bundespräsidenten, dass es als Beleidigung empfunden wird, wenn man den Amtsinhaber mit einem seiner Vorgänger - Heinrich Lübke - vergleicht. Waren nicht eben alle Bundespräsidenten göttergleiche Erscheinungen, ein Vergleich mit ihnen mithin das höchste Lob, das einem irdischen Wesen zukommen kann? Zweitens ist es bezeichnend, dass ein Politiker darüber stürzt, dass er die Wahrheit sagt.
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