Sonntag, 10. Juni 2012

Sehnse, dat is Berlin

Internet-Meme interessieren mich - so leer ist mein Leben.

Wahrscheinlich ist es ein Armutszeugnis für mich, aber ich finde es hoch spannend, wenn scheinbar aus dem Nichts ein Satz oder Bild auftaucht, das in den Leuten etwas zündet. Die Meisten schicken einfach den Link weiter, einige aber ändern etwas am Bild, schreiben einen lustigen Kommentar, und das Mem entwickelt sich weiter.

Manchmal bekommt die Sache dann eine Wendung, bei der man nachdenklich wird. So geht seit Freitag ein Bild im Netz herum, das einen nackten Mann in der U-Bahn zeigt, der entspannt dahingelümmelt mit einem Bier in der Hand aus dem Fenster guckt. Das Foto wurde mit dem Einverständnis des Mannes aufgenommen.

Die Kommentare dazu ("Planking", "Füße auf dem Sitz" oder "Wo der wohl seine Fahrkarte stecken hat?") fielen bisweilen sehr komisch aus. Jetzt aber meldet sich ein Blogger, den es zutiefst beschämt, das Foto eines Mannes verbreitet zu haben, von dem sich jetzt herausstellte, dass er geistig behindert ist und deswegen möglicherweise die Folgen seines Handelns nicht abschätzen konnte, als er die Zustimmung zu dem Foto gab.

Rechtlich ist die Sache damit klar. In einer Hinsicht möchte ich aber dem Blogger widersprechen. Ich glaube nämlich nicht, dass sich das Netz gerade über diesen Mann lustig macht. Natürlich wird es immer ein paar Idioten geben, die ihr ganzes Selbstwertgefühl aus dem verzweifelten Versuch speisen, mit allen Mitteln irgendetwas zu suchen, auf das sie herabblicken können. Die werden sich auch über diesen Mann das Maul zerreißen. In meinen Augen sagt das Foto aber etwas Anderes aus.

Zuallererst gibt es wohl kaum etwas Wehrloseres und Friedlicheres als einen untrainiert wirkenden nackten Menschen. Gleichzeitig durchbricht der Mann ein gesellschaftliches Tabu und wirkt zumindest im Kontext einer U-Bahn in einer Millionenmetropole schon fast wieder bedrohlich. Auf welche Idee könnte er als nächstes kommen? Aber so, wie er da sitzt, scheint er nicht auf Streit aus zu sein. Gleichzeitig wird er auch von niemandem angepöbelt. Insgesamt ist für mich das Foto eine großartige Werbung für Berlin: Egal, wie eigenartig du im Rest der Republik wirken magst, hier in Berlin ist das normal, da sind nämlich alle so.