Samstag, 1. Mai 2010

Die Informationsmenge ist nicht unser Problem

Wer sich den Ruf des kritischen Denkers erwerben will, übt sich in Medienkritik. Dem Wahnwitz entgegen wirken, das ist die Maxime, gegen den Strom schwimmen, quer denken, dem gesellschaftlichen Stampede als einsamer Mahner aufzeigen, dass eine schlechte Idee nicht dadurch besser wird, dass alle ihr folgen.

Sieht man von der heroischen Pose einiger Kommentatoren ab, die sich selbst irgendwo zwischen Galilei und der Weißen Rose sehen, ist die grundsätzliche Frage auch völlig berechtigt: Ist die digitale Informationsgesellschaft ein so pfiffiges Konzept, dass es einfach allgemein überzeugt, oder folgen wir einfach dem Herdentrieb?

Eine Kritik, die seit dem Aufkommen des Internet immer wieder laut wird, ist die der Informationsüberflutung. Auf uns prassle so viel ein, heißt es, dass wir dieses Datenstroms gar nicht mehr Herr werden. Ständig werde eine neue Sau durchs globale Dorf getrieben, immer kürzer werde die Aufmerksamkeit, die einem einzelnen Thema gewidmet wird, bis man sich am Ende voller Hysterie um - ja, eigentlich nichts mehr kümmere.

Was das peinliche Gewese anbelangt, das um irgendwelche Kleinigkeiten veranstaltet und praktisch sofort wieder vergessen wird, ist dieses Phänomen erstens nicht neu, und zweitens gibt es ein einfaches Gegenmittel. Schon Shakespeare sprach von "viel Lärm um nichts". Im grandiosen Film "Extrablatt" karikieren Jack Lemmon und Walter Matthau einen Nachrichtenbetrieb, der im Minutentakt Schlagzeilen ohne dahinter stehende Informationen produziert - im Jahr 1974. Die vernünftige Reaktion lautet sei jeher gleich: ignorieren. Die Faustregel lautet: Je größer das Brimborium, je hysterischer die Pressemeldungen, desto unbedeutender ist das Ereignis. Oder, noch einfacher: Spätestens, wenn Claudia Roth sich dazu geäußert hat, können sie sicher sein, dass die Sache vollkommen unwichtig ist.

Gönnen Sie sich ruhig einmal den Spaß und sehen Sie einen Monat lang keine Nachrichtensendung, lesen Sie keine Zeitung. Gehen Sie den Meldungen nicht aus dem Weg, aber kümmern Sie sich nur um die Themen, die ihre berufliche und private Existenz unmittelbar betreffen. Laden Sie nach einem Monat einen Freund zu sich und lassen Sie sich auf den aktuellen Stand bringen. Wetten, dass Sie in maximal 30 Minuten fertig sind?

Das meiste, was auf uns täglich einprasselt, nützt allenfalls der Wachstumsrate unserer Magengeschwüre, wirkliche Relevanz hat es nicht. Wie steht es nun mit der ständig größer werdenden Informationsflut? Ich behaupte, einen ganzen Teil davon bilden wir uns nur ein.

Dabei will ich nicht bestreiten, dass wir exponentiell wachsende Datenberge produzieren, was ich bezweifle, ist die Behauptung, es handle sich dabei um Nachrichten. Das Meiste davon ist nämlich einfach maschinell erzeugt und interessiert kaum jemanden. Ein Beispiel: Voyager 2 funkt seit 1977 gewaltige Datenmengen zur Erde. Glauben Sie, dass die jemand wirklich liest? Ein paar Astronomen sehen sie sich natürlich grob an, aber selbst von denen interessiert sich niemand für jeden einzelnen Datensatz. Tatsächlich erstellen sie statistische Auswertungen und sehen vielleicht dann genauer hin, wenn die Sonde einen interessanten Ort erreicht hat. Am Ende bleiben von dreieinhalb Jahrzehnten Flugzeit knapp 200 Zeilen in der deutschen Wikipedia.

Ein anderes, alltäglicheres Beispiel: Die von mir betreuten Server erzeugen täglich meherere hundert Megabyte Protokolldaten, ohne dass sie jemand liest. Mein Chef interessiert sich erst dafür, wenn es zu Unregelmäßigkeiten im Betrieb kommt, und selbst dann will er nicht die Logs, sondern von mir eine Auskunft, worin die Schwierigkeit besteht.

Was ist passiert? Menschen haben einen in seiner Gänze uninteressanten Datenberg auf eine Nachricht komprimiert, die sie anderen Menschen mitteilen. Was also uns Menschen interessiert und wir wirklich als relevante Information empfinden, sind keine Rohdaten, sondern das, was andere Menschen aus ihnen interpretieren. Noch einfacher: Nachrichten stammen von Menschen, nicht von Maschinen.

Das wiederum begrenzt automatisch die maximal erzeugbare Datenmenge auf ein überschaubares Maß. Die theoretische Obergrenze liegt derzeit bei knapp 6 Milliarden Menschen, die im Schnitt 16 Stunden täglich aufeinander einreden. Tatsächlich ist das Maß natürlich viel niedriger, weil sie natürlich nicht die ganze Zeit reden, sondern vielleicht auch etwas schreiben, was viel langsamer ist, oder auch einfach nur herumsitzen. Ich behaupte weiterhin, dass die Rate, in der jeder Einzelne von uns Informationen produziert, in den letzten Jahrzehnten nicht in entscheidendem Maß gestiegen ist, weil wir unser Optimum einfach erreicht haben. Wir reden und schreiben einander nicht mehr als unsere Eltern oder Großeltern. Die Art der Kommunikation mag sich geändert haben, aber nicht die Datenmenge.

Die Menschheit erzeugt nicht mehr Nachrichten, es sind nur einfach mehr Nachrichten frei verfügbar. Hinzu kommt eine sehr schnell wachsende Menge Rohdaten, die für sich genommen noch nicht viel wert sind, weil sie erst noch von Menschen zu Nachrichten verdichtet werden müssen. Mit anderen Worten: Das Meiste brauchen wir gar nicht zu wissen. Wir haben nicht zu viele Nachrichten, wir haben nur nicht gelernt, sie zu filtern.

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