Der Verteidigungsminister hat die W-Frage gestellt, die Frage nämlich, ob man die faktisch schon lang nicht mehr bestehende Wehrpflicht nicht endlich einmal auch offiziell abschaffen soll, und wie immer, wenn es jemand wagt, "der Kaiser ist ja nackt" zu rufen, verfallen die üblichen Verdächtigen in Reflexhandlungen. Wie könnten sie auch anders? Ein Hirn, das ihre sensorischen Reizungen verarbeitet, ist ja nicht vorhanden.
Da wird wieder die Mär vom Staatsbürger in Uniform beschworen. Die Idee, eine Armee im Volk zu verankern, mag zu Zeiten, in denen ganze Jahrgänge geschlossen in die Kasernen einrückten, noch funktioniert haben, aber heute wird inoffiziellen Zahlen zufolge gerade einmal die Hälfte eines Jahrgangs einberufen, und von denen verweigert ein erheblicher Teil den Kriegsdienst. Faktisch teilt nur noch eine Minderheit der deutschen Männer unter 30 die gemeinsame Erfahrung einer militärischen Grundausbildung.
Die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs auf deutschem Boden ist seit dem Mauerfall in den Bereich des Absurden gesunken. Es gibt keine Anforderung mehr, beim drohenden militärischen Angriff eines Nachbarstaats schnellstmöglich alle körperlich halbwegs tüchtigen Männer einzuberufen und mit einer Art Volkssturm Widerstand zu leisten. Heute schicken wir relativ kleine Zahlen von Soldaten in Gegenden, bei denen die meisten erst einmal im Atlas nachsehen müssen, wo sie überhaupt liegen. Es ist schon nicht ganz einfach, diese Leute halbwegs auszubilden und auszurüsten. Für das Herumgealbere mit ein paar Teenagern, die vor allem versuchen, ihr halbes Jahr möglichst schnell abzuhaken, hat man weder Zeit, Geld noch Lust.
Wirklich sinnvoll erscheint den Meisten der Zwangskriegsdienst vor allem durch die, welche ihn nicht leisten wollen und als Zivildienstleistende scheinbar günstige Hilfskräfte im überteuerten sozialen Sektor sind. Allerdings stimmt die Legende vom billigen Zivi nicht. Natürlich muss eine Zivildienststelle lächerlich wenig Geld für ihre Leute zahlen, volkswirtschaftlich aber rechnet sich die Sache nicht. Angefangen von der Musterung über den Verwaltungsakt der Kriegsdienstverweigerung, die Betreuung durch das Bundesamt für den Zivildienst, diverse Seminare, Rüstzeiten und Fortbildungen, bis hin zu Krankenkassenbeiträgen, Kleidungs-, Wohnungs-, Essens- und Fahrtkostenzuschüssen und schließlich dem Abschiedsgeld kosten diese im Vergleich zu einer komplett ausgebildeten Vollkraft nur eingeschränkt leistungsfähigen Hilfsarbeiter mindestens genau so viel, wie wenn man an ihre Stelle gleich einen Profi setzte.
Wirklich sinnvoll an der ganzen Aktion ist vor allem der heilsame Schock, den viele aus relativ intakten Verhältnissen kommende Jugendliche erleiden, wenn sie als Zivis erleben, wie es in den Ecken unserer Gesellschaft zugeht, die wir gerne ausblenden: Wie es ist, wenn in asozialen Umständen heranwachsende Kinder ohne jede Zukunftsperspektive im Jugendzentrum praktisch nur die Zeit überbrücken, bis sie erstmals im Jugendstrafvollzug landen, wie es ist, wenn eine Rentnerin, deren Altersbezüge vom Pflegeheim gepfändet wurden, einsam in einem kargen Zimmer an ihrem Krebsgeschwür vor sich hin verreckt und deren einzige Abwechslung in den halbminütigen Besuchen der Pfleger besteht, die ihr das Essen bringen. Wer diese Bilder gesehen hat, wird vielleicht weiterhin an seiner Managerkarriere basteln, aber er wird hoffentlich auch hellhörig, wenn es um soziale Fragen geht.
Es mag nun sein, dass Leute es sinnvoll finden, für günstige Preise bei Aldi und Lidl Menschen zu töten, aus meiner Sicht sinnvoller ist jedoch die allgemeine Verankerung der Botschaft, dass der soziale Sektor dieses Landes erhebliche Schwierigkeiten hat. Wenn es denn unbedingt so wahnsinnig wichtig sein soll, einen Zwangsdienst aufrecht zu erhalten, warum ändern wir nicht an einer winzigen Stelle die Rechtslage und führen den zwangsweisen Zivildienst ein. Natürlich hat weiterhin jeder nach Artikel 4 Absatz 3 das Recht, den Zivildienst mit dem Eimer aus Gewissensgründen zu verweigern, aber dann möchte ich auch, dass dieser Staat mit solchen Leuten die gleichen albernen Spielchen spielt, die er seit 1956 mit uns Kriegsdienstverweigerern gespielt hat: Gewissensprüfung. Auf zwei eng beschriebenen A4-Seiten soll so ein Schnösel, der sich zu fein ist, in der Großküche der Jugendherberge abzuwaschen, begründen, warum er so spitz darauf ist, Leute totzuschießen. Wenn die Begründung Fragen aufwirft, dann soll er ins mündliche Verfahren. Da soll er dann gefragt werden, wie er sich entschiede, wenn seine Mutter allein auf der Pflegestation in ihrem eigenen Kot läge und er die Möglichkeit hätte, ihr zu helfen oder irgendwo am anderen Ende des Globus mit dem Jeep durch die Wüste zu brettern. Er soll erzählen, wie er dazu steht, dass in Kriegen immer wieder durch angebliche Präzisionsangriffe zivile Einrichtungen getroffen und Unbeteiligte getötet werden, mit Waffen, von denen jede einzelne so viel kostet, dass man dafür etliche Kindergartenplätze finanzieren und vom Rest noch einen Hartz-IV-Empfänger durchfüttern könnte. Er soll begründen, warum der Bundeswehreinsatz beim Oderhochwasser die Notwendigkeit einer Truppe belege, warum man zum Sandsackschleppen unbedingt eine Nahkampfausbildung und zum Wasserpumpen unbedingt ein Maschinengewehr braucht.
Zu guter Letzt lassen wir diese soldatischen Faulenzer unter Bruch des Grundgesetzes auch noch ein Weilchen länger im Zwangsdienst als die Zivis. Irgendeine Begründung wird uns schon einfallen.
Und dann, wenn auch der letzte Idiot begriffen hat, wie absurd dieses System ist, wie fadenscheinig die Begründungen für seine Beibehaltung und wie ideologisch verbohrt ihre Befürworter sind, schaffen wir es endlich ab.
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