Klein-Erik-Wendelin erlebt gerade auf dem Spielplatz seine Sozialisierungsphase. Eine ganze Weile schon stapft er mit großem Vergnügen durch die Sandburgen der Anderen. Deren Protestschreie stören ihn nicht weiter - bis es Melina-Madeline zu bunt wird und sie ihm mit der Schaufel ordentlich eins vors Knie zimmert. Das geht nun gar nicht. Laut heulend rennt Erik-Wendelin zu Mami, die ihrerseits aus allen Wolken fällt. Wie kann Melina-Madeline es nur wagen, ihrem kleinen Engelchen derart zuzusetzen? (Falls Sie sich wundern, woher ich dermaßen affektierte Namen habe: Die denke ich mir nicht aus, das erledigt die Realität für mich.)
Ist ungefähr klar, worauf ich hinaus will? Hat sich Vitali Klitschko jemals beschwert, wenn er im Ring kräftig vermöbelt wurde? Nein, denn zwei Dinge hat Dr Klitschko begriffen. Erstens: Wer auf jemanden eindrischt, muss damit rechnen, dass dieser sich wehrt. Zweitens: Wer kämpft, kann auch verlieren.
Diese elementare Erkenntnis scheint den Herren zu Guttenberg, Steinmeier, Trittin, Westerwelle sowie den Damen Merkel und Künast zu hoch zu sein. Voller Abscheu äußern sie ihr Entsetzen über die toten deutschen Soldaten in Kunduz. Was ich nachvollziehen kann: Es ist um jeden toten Menschen schade, egal, was er vorher getan oder gelassen hat. Diese Soldaten wollten leben, und irgendein Verbrecher hat sich angemaßt, ihnen dieses Recht zu verweigern. Leben ist ein kostbares Geschenk. Niemand darf es einem Anderen gegen dessen Willen nehmen. Kurz: Töten ist falsch.
Nachdem wir diese Grundsatzfrage geklärt haben, ist es an der Zeit, unserer politischen Führungselite ein paar einfache Tatsachen zuzumuten. Meine Kritik gilt nicht den Soldaten, die sich gerade mitten im Nirgendwo hinmetzeln lassen, meine Kritik gilt der hierzulande mehrheitsfähigen Einstellung, Menschen zu verheizen und zur Aufrechterhaltung der Kampfmoral ab und zu ein paar Krokodilstränen zu verdrücken.
Da unten herrscht Krieg, egal, wie ihr es nennt.
Es mag ja sein, dass zu einem echten Krieg eine gegenseitige Kriegserklärung zweier Staaten gehört, aber, mit Verlaub, sonst stellen sich unsere Staatsschefs auch nicht so kleinlich an. Die Bundesrepublik befand sich 40 Jahre lang formal gesehen im Waffenstillstand mit den Alliierten, und trotzdem sprachen alle Leute völlig zu Recht vom "Frieden". Bei guten Nachrichten scheint man also durchaus flexibel zu sein. In Afghanistan kämpfen Einheiten der Bundeswehr gegen die Taliban. Auf beiden Seiten gibt es Tote, Verletzte, Verkrüppelte und Sachschäden, die eingesetzten Waffen sind Kriegswaffen, und wir nennen das - wie doch gleich? Polizeieinsatz? Humanitärer Eingriff? Verteidigung der Freiheit am Hindukusch? Wie wäre es mit "Erholungsurlaub", das ist auch nicht weiter von der Wahrheit entfernt? Gelegentlich lese ich auch den Einwand, für einen Krieg gebe es einfach zu wenig Tote. Ohne auf diese von kruder Landserromantik geprägte Weltsicht eigehen zu wollen: Nennen wir es Krieg oder Bürgerkrieg, aber die Zeit der Verniedlichungsrhetorik ist einfach vorbei.
Wer auf andere schießt, muss damit rechnen, dass sie zurückschießen.
Was meint ihr, wozu diese schweren langen Teile mit dem Abzugshebel auf der einen und dem Rohr an der anderen Seite gut sind? Diese so genannten Gewehre tragen unsere Soldaten nicht mit sich herum, um Löcher für Saatgut auszustechen, sondern um Löcher in Taliban zu schießen. Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass die Taliban das für eine riesig tolle Idee halten und sich unbewaffnet nebeneinander aufstellen, damit es unsere Jungs nicht so schwer haben. Aus deren Sicht sind wir die Eindringlinge, gegen die sie sich zur Wehr setzen. Wir mögen anderer Meinung sein, aber es erleichtert die Sache, zu verstehen, warum die Taliban so agieren.
Tod gehört zum Soldatenleben.
Im Verlauf ihrer monatelangen Ausbildung sollte Soldaten insbesondere eins klar werden: Es geht um Leben und Tod - auf beiden Seiten. Im Zweifelsfall muss man bereit sein, seinen Gegner zu töten und wissen, dass man selbst dabei sterben kann. Ein Soldat, der dies nicht begreift, kann seinen Auftrag nicht erfüllen. Es ist sehr seltsam, dass diese Trivialität auf politischer Seite immer wieder ausgeblendet wird.
In Kriegen sterben Menschen.
Na gut, das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit, aber gleich darauf sterben Menschen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich ein Land im Krieg befindet, ist es, wenn dessen Propaganda dem Volk vorzugaukeln beginnt, Tote seien eine absolute Ausnahmeerscheinung
Niemand hat die deutschen Soldaten gezwungen, nach Afghanistan zu fliegen.
Wenn man die Pressemeldungen liest, könnte man meinen, die deutschen Truppen seien im Schlaf an den Hindukusch verschleppt worden und eines Morgens völlig überrascht statt in ihrer heimischen Kaserne in einem Zelt in Kunduz aufgewacht. Ich kann Sie beruhigen, das ist nicht der Fall.
Statt dessen wurden diese Leute gefragt. Sie sind in Afghanistan, weil sie es richtig finden. Das ist auch gut so, denn in ihrer Lage muss man von seinem Auftrag überzeugt sein, um vernünftig arbeiten zu können.
Man kann für sie Respekt empfinden, man kann ihnen dankbar sein, man kann Ehrfurcht davor haben, dass sie ihr Leben riskieren, um in einem fremden Land eine Demokratie mit aufzubauen, aber Mitleid ist das falsche Gefühl.
Krieg hat nichts mit Pietät zu tun.
Die Taliban sind Muslime. In deren Kalender gibt es keinen Karfreitag. Die haben sich möglicherweise nichts Besonderes dabei gedacht, gerade an diesem Tag einen Anschlag auf die deutschen Truppen zu verüben. Was Christen als besonderer Affront vorkommt, ist Anhängern anderer Religionen vielleicht nicht einmal bewusst.
Ähnlich steht es mit dem Herumgewinsel, wenn im Krieg jemand gegen die Genfer Konvention verstößt. Das Verbrechen an einem Krieg besteht bereits darin, dass er stattfindet. Über Menschlichkeit im Krieg zu sprechen, ist etwa so geschmacklos, wie einen Todeskandidaten zu fragen, ob er lieber eine blaue oder eine rote Augenbinde haben möchte.
Auch Soldaten lesen Nachrichten.
Ich bin zwar entschiedener Gegner jeder Form von Militär, aber gleichzeitig bin ich Demokrat genug, um anzuerkennen, dass eine Mehrheit in diesem Land offenbar eine Armee für sinnvoll hält. Wir können uns vielleicht sogar darauf verständigen, dass die Bundeswehr gerade in Afghanistan wirklich gebraucht wird. Was ich nicht akzeptiere, ist die Art, wie die politische Führung Deutschlands sich selbst, den Bürgern und vor allem den Soldaten, die sie gerade verheizt, etwas vorlügt. Ehrlich wäre es, zu sagen: "Da unten herrscht Krieg, wir sind darin verstrickt, und wer immer dort hin geht, muss damit rechnen, nicht nur Brunnen zu graben und Schulen zu bauen, sondern auch, andere Menschen zu töten und selbst getötet zu werden. Wer bereit ist, dieses Risiko einzugehen, verdient unsere Dankbarkeit, unsere Unterstützung, unseren Respekt." Statt dessen dreschen die Berliner Warlords Durchhalteparolen.
Entweder hü oder hott.
Auf der einen Seite will man virtuelles Töten in Counterstrike verbieten, auf der anderen Seite ermuntert man Soldaten, in das höchst reale Tötungsgebiet Afghanistan zu gehen. Auf der einen Seite verleiht die Bundeskanzlerin Tapferkeitsorden an Bundeswehrsoldaten - was ihr nur im Kriegsfall zustünde, in Friedenszeiten zeichnet der Bundesverteidigungsminister aus - auf der anderen Seite bezeichnen wir die Ereignisse in Kunduz als "robuste Stabilisierungsmaßnahme", und bezeichnenderweise hat sich Dr Merkel erst nach massiver öffentlicher Kritik dazu hinreißen lassen, bei den Trauerfeierlichkeiten für die drei getöteten Soldaten über das Protokoll hinaus Anteilnahme zu zeigen und nicht ihren Minister das allein ausbaden zu lassen. Diesem wiederum scheint das verbale Herumgealbere langsam auf die Nerven zu gehen. Er spricht inzwischen immer weniger verklausuliert vom Krieg. Es wäre gut, aus dieser Erkenntnis die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen