Sonntag, 12. August 2018

Engagement ist böse!

Wenn die politische Linke etwas in Vollendung kann, ist es, sich selbst zu zerfleischen. Das ist praktisch, lenkt es doch hervorragend vom eigenen Bedeutungsverlust ab. Wir hatten vier Jahre lang die absurde Situation, dass eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen das Land hätte regieren können. Statt dessen regierte - eine "große" Koalition. Warum? Weil die verschiedenen linken Strömungen sich gegenseitig vorwarfen, nicht wahrhaftig links zu sein.

Das ist keine neue Verhaltensweise. Eifersüchtig wacht jede linke Splittergruppe über ihren Claim, sieht jede in der Nähe emporkommende Gruppe als Bedrohung und versucht, sie kleinzureden, noch bevor sie irgendetwas Bedeutendes getan hat. Besonders schön kann man es bei der Netzbewegung sehen, die früher im Jahresrhythmus neue Gruppen ausspuckte, die nach einer kurzen, rasanten Aufmerksamkeitsphase wieder implodierten, weil die Leute nicht die Energie aufbrachten, sich länger als ein paar Wochen auf ein Projekt zu konzentrieren. Weiß heute noch jemand, was die Piratenpartei war? Für diejenigen, die sich nicht mehr erinnern können: Als die populär wurde, haben einige Leute erst einmal so lange gesucht, bis sie ein paar fragwürdige Postings eines Parteimitglieds fanden und bliesen das Ganze zur Behauptung auf, die Piraten hätten ein Naziproblem. Andere fanden den Namen doof. Piraten seien gewalttätige Verbrecher, damit könne man sich doch unmöglich identifizieren. Wieder andere sahen ein Genderproblem. Es müsse doch eigentlich Pirat*innen heißen. Außerdem sie die Partei monothematisch und damit eigentlich gar keine echte Partei.

Als Markus Beckedahl die "digitale Gesellschaft" vorstellte, hagelte es von allen Seiten Kritik. Es sei ein Egotrip. Zu intransparent. Zu elitär. Zu einem Zeitpunkt, an dem Beckedahl nur äußerst schwammig umrissen hatte, was ihm überhaupt vorschwebt.

Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Was bleibt, ist die allgemeine gegenseitige Ablehnung, vor allem jedem Neuen gegenüber, weil das eine Gefahr für die bräsige Gemütlichkeit darstellt. Möglicherweise könnte das Neue ja Erfolg haben, und das würfe peinliche Fragen auf, warum man selbst jahrzehntelang nicht in die Pötte gekommen ist.

Jetzt also ruft Sara Wagenknecht eine neue "linke Sammlungsbewegung" namens "#aufstehen" ins Leben, so richtig fancy und cyber mit Hashtag. Nun ist Sara Wagenknecht so ziemlich die Letzte, die ich mit neuen linkem Schwung und zukunftsgewandten Ideen verbinde, aber, meine Güte:

Lasst sie doch erst einmal loslegen.

Ich habe Vorbehalte. Ich glaube, dass die falschen Leute hinter der Bewegung stehen, und was sie genau vorhaben, ist mir auch nicht klar, aber ich habe Geduld und warte ab, wie sich die Sache entwickelt. Die politische Linke hat sich jetzt über ein Jahrzehnt über korrektes Gendern, Kopftuch ja oder nein, Quoten und die Frage zerfetzt, ob man die AfD nun ignorieren, mit aller Gewalt bekämpfen oder doch mit ihr reden soll, dass kaum noch einende Gedanken zu sehen sind. Sobald irgendwer aufsteht und sich für bezahlbare Mieten oder ordentliche Löhne einsetzt, sucht ein Anderer so lange, bis er ein Posting von ihm findet, in dem "schwarz" statt "PoC" steht oder "Bradley" statt "Chelsea Manning", was ja wohl ganz klar die faschistoiden Gedanken dieses Menschen zeigt, weswegen man ihn unter keinen Umständen bei seinem Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit unterstützen darf.

Gebt "aufstehen" doch wenigstens die Chance, zu scheitern. Möglicherweise ist die Gründungsbesatzung wirklich nicht so toll, aber noch kann niemand sagen, wohin sich die Sache entwickeln wird. Wenigstens versucht da jemand, wieder etwas Leben in die linke Bewegung zu bringen, und das ist mehr als alles, was in den letzten Jahren passierte. Es zwingt euch auch niemand, Mitglied zu werden. Im Gegenzug könntet ihr das reflexhafte Herumjammern bleiben lassen und einfach ganz entspannt zusehen, was passiert.  Vielleicht gehts schief, vielleicht klappts. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.