Samstag, 1. Mai 2010

Gewalt als Armutszeugnis

Das Bundesinnenministerium veröffentlicht neue Zahlen zur politisch motivierten Gewalt, und prompt verfallen die Angesprochenen in ihre lange antrainierten Beißreflexe. Nein, so wie vom Ministerium dargestellt, könnten diese Zahlen nicht stimmen, und selbst wenn sie es täten, müsse man ja wohl noch zwischen rechter und linker Gewalt unterscheiden. Um es mit Gereon Asmuth in der taz zu sagen: "Schon deshalb verbietet sich der Versuch, linke und rechte Gewalt gleichzusetzen [...]"

Um zu sehen, ob ich es verstehe: Wenn ich als Linksextremist jemanden totschlage, ist es ein heroischer Widerstandsakt gegen ein fieses Unterdrückungssystem, während Rechtsextremisten hinterhältige Mörder sind. Habe ich das ungefähr richtig wiedergegeben? Komisch, wenn ich mit meiner Textverarbeitung die Zeichenketten "links" und "rechts" vertausche, habe ich fast genau die Argumentation der Nazis.

Vielleicht aber ist Tothauen auch kein gutes Beispiel. Nehmen wir Verbrechen, deren Opfer überleben. Asmuth schreibt hierzu: "Selbst in Städten, die eine starke linksradikale Szene aufweisen, läuft dagegen niemand Gefahr, deren Opfer zu werden, bloß weil er selbst keiner linken Gruppe angehört" und bezieht sich kurz darauf auf die brennenden Autos in Berlin. Deren Besitzer haben bitte was genau getan, um die verzweifelte Notwehrreaktion unserer linken Freiheitsfreunde hervorzurufen? Sie haben diese Autos in einem Akt aggressivster Unterdrückung gekauft und brutalstmöglich in Berlin geparkt, so dass man als in die Ecke getriebener Linksextermist sich nicht anders zu retten wusste, als die Autos anzuzünden - ganz friedlich, versteht sich und entgegen innerster Überzeugung.


Es ist nicht etwa so, dass ich nicht sehe, wie soziale Unruhen zustande kommen. Ich kenne Menschen, die sich tagelang nur von Leitungswasser ernährten, weil die Kommune einfach das bereits bewilligte Hartz-IV-Geld nicht zahlte. Ich werde aggressiv, wenn ich lese, dass Behördenmitarbeiter offenbar nichts Besseres zu tun haben, als in Fußgängerzonen herumzulungern, Bettler zu beobachten und deren geschätzte Einnahmen mit ihren ALG-II-Bezügen zu verrechnen. Es ballt sich mir die Faust in der Tasche, wenn ich lese, dass Arbeitnehmer gefeuert werden, weil sie ihr Telefon an der Firmensteckdose aufladen oder Küchenabfälle essen. Doch so sehr es in den Fingern jucken mag, mit einem Knüppel dieser Wut Ausdruck zu verleihen - auf unserer Zivilisationsstufe funktioniert es nicht.


Auf unserer Zivilisationsstufe? Was soll das heißen? Es heißt, dass ich Gewaltfreiheit für ein Grundprinzip industrialisierter Demokratien halte, deren Sozialsystem wenigstens theoretisch eine allgemeine Grundversorgung gewährleistet. In Demokratien regieren aber nicht die Leute mit den dicksten Knüppeln, sondern Mehrheiten. Ich möchte, dass andere Leute ihre Finger von meinen Sachen und meinem Körper lassen, also lasse ich meine Finger von den ihren.


Das Dumme an dieser Einstellung: Sie ist öde. Wer wie viele Extremisten geistig irgendwo in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stehen blieb, denkt gern in heroischen Bildern, athletischen, kernigen Menschen, die mit großer Geste ihre jeweilige Parteifahne hoch reckend mutig dem grimmen Feind die Stirne boten. Dagegen können die langweiligen Demokraten natürlich nicht anstinken, die im Wesentlichen stundenlag auf Stühlen sitzend endlose Diskussionen ertragen. Lesen Sie sich dieses Sitzungsprotokoll durch und vergleichen Sie es mit diesem Bericht der Berliner Maikrawalle. Nun mal ehrlich, Berlin fetzt mehr, oder?


Auf der anderen Seite kann ich mir kaum etwas Öderes, Einfallsloseres, Ritualisierteres, Spießigeres und Kläglicheres vorstellen als ein paar abgehalfterte Möchtegernrevoluzzer, denen seit einem Vierteljahrhundert in der Nacht auf den 2. Mai nichts Besseres einfällt, als sich in Berlin zusammenzurotten und den Polizisten mal so richtig eins auf den Helm zu geben. Nichts für ungut, Jungs, aber habt ihr mal hinter den Ofen geguckt, ob der Hund, den ihr dahinter hervorlocken wollt, vielleicht inzwischen vor Langeweile eingegangen ist? Habt ihr mal überprüft, ob sich durch euer blödsinniges Gehampel dieses Land auch nur einen Cicero in die von euch gewünschte Richtung bewegt hat? Wollt ihr euch der Abwechslung halber nicht mal ein reales Leben besorgen? Ein ganz einfaches, billiges sollte für euch mehr als ausreichen. Ich habe in finstersten Eifeldörfern Schützenfeste erlebt, deren Teilnehmer mehr geistige Flexibilität und weniger Borniertheit zeigen als ihr.

Vielleicht ist friedliche Demokratie gar nicht einmal so unsexy.

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