Samstag, 9. Dezember 2017

Großkoalitionäre Einbahnstraße

Einen kurzen Moment hatte ich geglaubt, die SPD besäße vielleicht die Chance, sich zu erneuern, aber die ist vertan, und ausnahmsweise muss ich sagen: Diesmal hat es die SPD nicht allein vergurkt.

Als Martin Schulz am Wahlabend sofort verkündete, in die Opposition gehen zu wollen, nötigte mir diese Haltung Respekt ab. Da hatte jemand begriffen, dass er abgewatscht worden ist. Das ließ auch das peinliche Gemecker in der Elefantenrunde Richtung Merkel verschmerzen. Ich habe schon schlechtere Verlierer erlebt.

Als Christian Lindner in seinem oscarwürdigen Auftritt verkündete, nicht zu regieren sei allemal besser als falsch zu regieren und Schulz gleich darauf erklärte, auch jetzt sei die Große Koalition keine Option für ihn, zögerte ich. Ob der gute Mann sich da nicht etwas weit aus dem Fenster lehnt?

Natürlich hatte er den Mund etwas voll genommen, und so ließ er sich auf dem gerade vergangenen Bundesparteitag in Berlin von den Delegierten das Votum geben, in "ergebnisoffene" Gespräche eintreten zu dürfen. Die Jusos hielten pflichtschuldig dagegen, aber auch ihnen dürfte klar gewesen sein, dass der neue Schulzzug nicht mehr aufzuhalten ist.

Man könnte jetzt darüber diskutieren, ob Schulz nach dieser Volte nicht so viel Glaubwürdigkeit verspielt hat, dass er besser den Vorsitz aufgeben sollte, aber ehrlich gefragt: Wer sollte denn nachfolgen? Nahles, die sämtliche Energieprobleme des Planeten lösen könnte, gelänge es endlich, Dummheit in Energie zu verwandeln? Irgendjemand Anderes von der langen Riege derer, die in der SPD für alles stehen, nur nicht für einen Neuanfang? Da ist Schulz noch die am wenigsten peinliche Option. Abgesehen davon hatte er den einzigen visionären Gedanken, der auf dem ganzen Parteitag geäußert wurde: die Vereinigten Staaten von Europa. Aus heutiger Sicht ist das natürlich völliger Quatsch, aber in meinen Augen die einzige Option, wenn wir ein friedliches und demokratisches Europa wollen. Ich hoffe, dass wir irgendwann auf einem Festakt in das Jahr 2017 zurückblicken und sagen werden: Damals, als Schulz der Erste war, der laut darüber nachdachte, haben alle ihn ausgelacht, aber er hat es durchgezogen, und jetzt schaut euch an, was wir gemeinsam geschafft haben.

Genug geträumt. Jetzt kommt erst einmal die zähe Phase der angeblich ergebnisoffenen Gespräche. Tatsächlich gibt es nur die Große Koalition oder Neuwahlen - die keiner außer der AfD wirklich wollen kann. Eine theoretisch auch denkbare Minderheitsregierung hieße, dass sich die SPD alle Gestaltungsmöglichkeiten verbaut, die Prügel für schlechte Gesetze bezieht und selbst keine guten initiieren kann. Also werden sich die beiden ehemaligen Volksparteien, die gemeinsam gerade einmal etwas mehr als 50 % der Wählerstimmen auf sich vereinen können, zusammenraufen und sich weitere vier Jahre irgendwie durchmerkeln. A propos: deren bewährte Taktik, die Anderen erst einmal vorpreschen und sich eine blutige Nase holen zu lassen, während sie später das Ergebnis einsammelt, ist durch die gescheiterten Jamaika-Sondierungen entzaubert. Statt abzuwarten, hätte sie Initiative zeigen und gelegentlich auch einmal auf den Tisch hauen müssen. Statt dessen überließ sie das Feld den Intrigien der CSU, der Selbstinzenierung Lindners (gibt es die FDP überhaupt noch als eigenständige politische Kraft?) und den Selbstzweifeln der Grünen, denen bei aller Lust zum Regieren die dafür nötige Konstellation offensichtlich unheimlich war. Der einzige Grund, warum Merkel sich noch halten kann, sind ihre potenziellen Nachfolger, die lieber warten, bis sie völlig verheizt ist und sie dann als unverbrauchter Neuanfang auftreten können. Glanz und Gestaltungskraft sind von dieser Großen Koalition noch weniger als von der vorherigen zu erwarten, die wenigstens noch die Arroganz der Macht ausstrahlte. Hier hingegen haben sich mangels Alternative zwei Wahlverlierer mit der einzigen Agenda zusammengefunden, zu verhindern, dass die AfD bei einer jetzt stattfindenden Neuwahl so stark wird, dass sich eine Koalition mit ihr kaum noch vermeiden lässt. Ganz verdenken könnte ich es den Wählern nicht. Es gibt ein - zugegeben unbequemes - Votum, und es steht den von uns gewählten Vertretern schlicht nicht zu, so lange abstimmen zu lassen, bis ihnen das Ergebnis in den Kram passt.

Fast schon bemitleidenswert realitätsverleugnend ist die von der SPD trotzig vorgetragene Behauptung, der Neuanfang sei geschafft, jetzt könne die Partei sich reformieren. Freunde, das hätte geklappt, wäret ihr in die Opposition gegangen. In der Regierung funktioniert so etwas nicht. Bevor ihr euch verseht, werdet ihr euch wieder in eurer Lieblingsrolle finden: der sich staatstragend gebendenen Angeber. Ihr werdet weiter den Sozialstaat abbauen, weil das angeblich der Wirtschaft hilft, ihr werdet das Krankenkassensystem auf das Niveau eines Drittweltstaats kaputtsparen, weil dann wenigstens alle gleich (wenn auch gleich schlecht) behandelt werden (und sich Reiche natürlich weiterhin eine ordentliche Behandlung kaufen können) und vor allem werdet ihr weiterhin das Volk unter generellen Terrorverdacht stellen und einen Grundrechtsverstoß nach dem nächsten durchsetzen, weil die im Gegensatz zu materiell und personell besser ausgestatteten Ermittlungsbehörden kaum Steuermittel kosten. Irgendwann werdet ihr dann so sehr geschrumpft sein, dass selbst die CDU euch nicht mehr in eine Regierung retten kann, und dann bin ich gespannt, wen sie sich als neuen Partner aussuchen wird. Vielleicht ist es ja die AfD.