Donnerstag, 11. April 2013

Buchkritik: Passig, Lobo: Internet - Segen oder Fluch

Ehrlich gesagt: Ich habe das Buch nicht gelesen - das E-Book, dessen Bestellcode der gedruckten Fassung beiliegt. Ich habe kein Mobilgerät, auf dem das Lesen von Büchern besonders leicht fiele, und am Bildschirm lese ich längere Texte nur mit Mühe. Trotzdem finde ich es gut, dass ich das Buch gleich in allen möglichen Lesefassungen bekommen kann, ja, dass ich nicht einmal die Möglichkeit hatte, nur die gedruckte Ausgabe zu kaufen. Dass der Verlag mich zwingt, zum Herunterladen der Datei meine postalische Adresse anzugeben, ich da aber wahrscheinlich auch irgendeinen Mondkrater angeben kann, ohne dass irgendetwas geprüft wird, ist das Einzige, was zu bemängeln mir einfällt.

Das Sowohl-als-auch der physikalischen Form passt sehr schön zum Inhalt des Buchs: ein entschiedenes Jein zu praktisch jeder Position, die man zum Internet beziehen kann, und genau deswegen halte ich es für eines der lesenswertesten Werke der letzten Jahre. Passig und Lobo haben sich bekanntlich lang und intensiv mit dem Internet befasst, und genau wie sich jedes andere Soziotop nicht mit knalligen Pauschalisierungen beschreiben lässt, sagen sie, muss man auch beim Internet differenzieren. Alle in den letzten Jahrzehnten mit Verve vorgetragenen Thesen über elektronisches Leben tragen einen wahren Kern und sind gleichzeitig Blödsinn - zumindest, wenn man sie zu ernst nimmt. Datenschützer und Post-Privacy-Enthusiuasten, Netzreglementierer und Netzanarchisten - sie alle haben Recht und liegen in letzter Konsequenz doch falsch, weil jeder dieser Standpunkte, wenn man ihn komplett umsetzt, zu einer Welt führt, in der hoffentlich niemand leben will - nicht einmal die, welche ihn eben noch so engagiert vertraten.

Dann präsentieren Passig und Lobo also den goldenen Mittelweg? Nein, zumindest nicht so, dass ich ihn klar im Buch erkannt hätte. Ich habe keine Stelle gefunden, an der sinngemäß gestanden hätte: "Folgt der Passig-Lobo-Methode, und schon habt ihr das Internet verstanden." Ich glaube auch nicht, dass sie die eine, die einzig wahre Strategie, mit dem Internet umzugehen, im Kopf hatten, als sie ihr Buch schrieben. Statt dessen schildern sie vor allem die unterschiedlichen Auffassungen. Mitunter kommen sie auch zum Schluss, dass diese Auffassungen unvereinbar sind, ein Kompromiss also nicht möglich ist, sich aber auch keine Position komplett durchsetzen sollte. Einfache Antworten sollte man von diesem Buch nicht erwarten.

Die Kombination Passig-Lobo hat mich zwar überrascht, aber das Ergebnis gefällt mir. Lobos mitunter etwas selbstverliebter, plakativer, aber auch zu inhaltlicher Dünne neigender Stil trifft auf Passigs deutlich nüchternere, dafür aber weniger amüsant zu lesende Schreibweise. Heraus kommt ein sehr angenehm zu lesendes, mit viel Inhalt versehenes Buch, bei dem ich immer wieder überrascht feststellte, wie viele Seiten ich selbst bei kurzen Zugfahrten wieder gelesen hatte.

Kurz: eine umfassende, differenzierte und sehr anregende Bestandsaufnahme. Lesen.

Kathrin Passig, Sascha Lobo: Internet - Segen oder Fluch. Rowohlt.
http://www.rowohlt.de/buch/Sascha_Lobo_Internet_Segen_oder_Fluch.3007367.html

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