Dienstag, 30. April 2013

Qualitätsjournalismus my ass

Immer wieder lese ich dieses Wort, und zwar ausschließlich bei denen, die sich dafür halten oder die meinen, ihn zu lesen: "Qualitätsjournalismus". Heißt: Wir, der Spiegel, die taz, die Zeit, wir sind selbstverständlich "Qualitätsjournalismus". Bei uns arbeiten nur die Besten der Besten der Besten, Sir, und wenn die erst einmal mit ihrer knallharten Recherche angefangen haben, Alter, da wird aber sowas von tief gegraben, da ist nachher im Artikel jedes Wort ein ganz heißer, ich wiederhole: ein ganz heißer Anwärter auf den Pulitzer-Preis. Natürlich versteht das nicht jeder, und deswegen gehören Sie, lieber Leser, zu jenem hocherlauchten Kreis, der erstens unser im Preis leicht über dem Durchschnitt liegendes Offenbarungsblatt beziehen und an dieser Ambrosia des Intellekts nippen darf. Man hat ja Abitur.

Ja gut, das hatten wir alle irgendwann, damals in der Oberstufe, als wir den "Spiegel" immer offen auf den Tisch gelegt haben, damit jeder sehen konnte, dass wir von der politischen Bildung her aber sowas von auf dem aktuellen Stand waren und selbst die ellenlangen Auslassungen des Hamburger Investigativblatts uns nichts anhaben konnten. Zum Glück geht auch die schlimmste Pubertät vorüber, und irgendwann erkennt auch der letzte Depp, dass es erstens nicht ausreicht, sich nur aus einer Quelle zu informieren, dass es zweitens nicht ausreicht, nur das zu lesen, was dem eigenen Wahrnehmungsfilter in den Kram passt und dass drittens Journalismus vor allem darin besteht, gerade so viel mehr vom Thema als der Leser zu verstehen, dass dieser nicht merkt, was für einen grauenhaften Unsinn man sich da wieder zusammengekritzelt hat.

Das wäre alles nicht weiter schlimm, wären einigen Vertretern der schreibenden Zunft die paar Millimeter Wissensvorsprung nicht gewaltig zu Kopf gestiegen und hätten sie zur irrigen Annahme verleitet, Berichten beinhalte insbesondere das Richten. Fast ein Jahrzehnt, nachdem Podcasts und Blogs sich als journalistische Formen etabliert haben, rümpfen die meisten Pressevertreter über sie verächtlich die Nase - was sie freilich nicht daran hindert, dort ungehemmt abzuschreiben. Doch selbst ohne die Konkurrenz aus dem Internet ist für weite Teile der selbsternannten intellektuellen Elite des Landes klar: wir Qualität, die Anderen pfff.

Jüngstes Beispiel dafür ist die Auslosung der für Journalisten reservierten Sitzplätze im NSU-Prozess. Nun bin ich mir durchaus der Ironie bewusst, dass die "Brigitte" und die "Pforzheimer Zeitung" direkt vom Prozess berichten dürfen, während "taz" und "FAZ" leer ausgingen, aber wenn wir für den Moment einmal annehmen, dass aus irgendeinem magischen Grund in ganz München kein größerer Verhandlungssaal zur Verfügung steht: Wie bitteschön soll eine gerechte Verteilung der Sitzplätze anders aussehen? Hätte der Richter eine Liste der "Qualitätsjournale" aufsetzen und den darauf stehenden Zeitungen garantierte Plätze geben müssen? Nach welchen Kriterien hätte er diese Liste Ihrer Meinung nach aufsetzen sollen? Wer entscheidet in Deutschland, was qualitativ hochwertiger Journalismus ist? Ein Richter? Sie? Sagt Ihnen das Wort "Zensur" etwas?

Natürlich ist die "Brigitte" nicht für ihre tief analytische politische Berichterstattung bekannt, aber offenbar gibt es genug Kunden, die dieses Blatt am Leben halten, und wenn die "Brigitte"-Redaktion beschließt, eine auf ihre Zielgruppe zugeschnittene Reportage über den NSU-Prozess zu schreiben, ist das ihr im Grundgesetz verbrieftes Recht. Was maße ich mir an, zu urteilen, ob das "Qualität" ist? Wenn es die Leute lesen, erfüllt es ganz offensichtlich deren Qualitätsansprüche. Besonders peinlich finde ich die Absicht von "FAZ", "Welt" und "taz", gegen das Losverfahren zu klagen. Ich habe die "Welt kompakt" jeden Morgen auf dem Schreibtisch liegen, und ich könnte Ihnen nicht sagen, was ein Blatt, das in ein Foto von George Bush Senior mit bunten Socken Sterne und das Wort "crazy" hineinmontiert, qualitativ von der "Bravo" abhebt. Interessant fände ich es auch, zu erfahren, ob diese drei "Qualitätsmedien" die Grundfesten unserer Verfassung hätten wanken sehen, wenn statt ihrer die "Passauer Neue Presse" draußen geblieben wäre. Ganz sicher nicht, denn "gleiches Recht für alle" gilt selbstverständlich nur so lange, wie es mein Recht ist. Den Wunsch der taz-Leser_innen nach ausgewogener analytischer Berichterstattung höher zu werten als den der "Straubinger-Tagblatt"-Leser erscheint mir, gelinde gesagt, diskussionswürdig.

Statt hochnäsig auf "Radio Lotte Weimar" hinab zu blicken und uns darüber aufzuregen, dass die Mathematik nicht zwischen genehmen und lästigen Journalisten unterscheidet, sollten wir uns lieber fragen, warum eine Weltstadt wie Münschen angeblich keinen Raum hat, der allen an einem Prozess von internationaler Beachtung interessierten Journalisten Platz bietet.

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