Mittwoch, 7. Oktober 2020

Altwerden am Beispiel von Star Wars

Erinnern Sie sich noch an Weihnachten und Geburtstage Ihrer Kindheit, das lange Hinfiebern und dann der Moment, in dem ein Raum voller Geschenke im Kopf ein Feuerwerk der Erwartungen auslöste, das nur noch durch den Inhalt der Pakete übertroffen wurde? Natürlich, einige Wünsche wurden nicht erfüllt, aber die Bilanz war eindeutig positiv.

Mit zunehmendem Alter wurden die Pakete kleiner und der Inhalt banaler. Mit einigen konnten Sie nicht so recht etwas anfangen, da konnten die Eltern noch so wissend lächeln und behaupten, das sei ein besonders wertvolles Geschenk.

Heute sind es vor allem Socken.

Die damit einhergehende Enttäuschung mag teilweise den langweiliger werdenden Geschenken geschuldet sein. Ich behaupte aber, sie ist vor allem ein Zeichen des Älterwerdens.

Was das alles mit Star Wars verbindet? Ich habe in den letzten Jahren viele Kommentare und Youtube-Videos über die neu erschienenen Kinofilme angesehen und meine, gerade bei den Verrissen Muster zu erkennen. Das Muster lautet: Die Leute werden alt und geben Star Wars die Schuld.

Geliebter Schund

Betrachten wir die Filmreihe einmal nicht durch die nostalgische Brille und seien wir ehrlich: Star Wars ist Schund. Schund, von einem mittelmäßigen Regisseur verfilmt und zumindest beim ersten, damals noch nicht mit irgendwelchem "Epiode-irgendwas"-Unsinn verunstalteten Teil nur durch das beherzte Eingreifen der Ehefrau beim endgültigen Schnitt vor der cineastischen Katastrophe bewahrt. Es war ein Film für Kinder, was allein schon durch die beiden dämlichen Roboter-Sidekicks deutlich wurde, die mit Slapstick-Einlagen von der Peinlichkeit der Hauptfiguren ablenken sollte. Wenn mich heute etwas noch mehr nervt als Jar Jar Binks, ist es C3PO, dessen Gejammer nicht irgendwo in der zweiten Episode ein Ende findet, sondern sich penetrant durch die ganze Reihe zieht.

Das kümmerte mich allerdings damals in den Siebzigern nicht. Weit von meiner Pubertät entfernt war C3PO meine erste wahre Liebe. Wie konnte ein Wesen nur so schön sein?

Für meine friedensbewegten Eltern hingegen war Star Wars die Essenz des Bösen. Ein Kriegsfilm. Sowas guckt man sich nicht an, und die Spielfiguren waren natürlich gleichermaßen tabu. So musste ich mein gesamtes Wissen über die ersten beiden Teile bei Freunden erwerben, deren Panini-Sammelalben ich durchlas und Hörspiele zu den Kinofilmen ich anhörte. Das Star-Wars-Verbot meiner Eltern bewirkte das genau Gegenteil. Statt mich von dieser Welt fernzuhalten, wurde sie nur noch mythischer und interessanter. Mir fehlte zwar das Detailwissen, aber die Faszination für X-Wing- und Tie-Fighter, Sternenzerstörer und den Todesstern war groß.

Als 1983 die Rückkehr der Jedi-Ritter ins Kino kam, sah ich mir den Film an und war begeistert. Noch heute erinnere ich mich, wie ich bei der Verfolgungsjagd durch den Wald von Endor im Kinosessel mitgegangen bin. Später hatte sich ein Freund die Trilogie auf VHS besorgt, so dass ich endlich Gelegenheit hatte, alle drei Folgen mehrfach und in Ruhe zu sehen. Von da an war Star Wars Teil meiner Sozialisierung, ein großer Leinwandepos irgendwo zwischen Märchen und Science Fiction.

Akzente, Binks und schlechtes CGI

Entsprechend hoch waren meine Erwartungen, als ich 1999 im Kino saß und gespannt darauf wartete, dass 16 Jahre nach dem letzten Star-Wars-Film die Saga mit Episode 1 fortgeführt wurde. Meine Enttäuschung hätte größer kaum sein können. Statt ordentlicher Bluescreen-Technik bekam ich überladene CGI präsentiert, und obwohl ich mit politischer Korrektheit nie viel am Hut hatte, ärgerten mich die albernen ausländischen Akzente, mit denen die Bösewichte versehen worden waren. Den absoluten Tiefpunkt stellte natürlich Jar Jar Binks dar. Der war zwar kein Bösewicht, hatte aber auch einen idiotischen Sprachfehler, der offensichtlich komisch sein sollte. Es gab Beerdigungen, auf denen ich mehr gelacht hatte.

Die Prequel-Trilogie war seitdem für mich tot. Ich sprach konsequent von den Teilen 1 bis 3, und wenn mich jemand darauf hinwies, es hieße Episoden, nicht Teile, bekam er zur Antwort, es gäbe drei Teile, Ende der Aufzählung.

Später gab ich Episode 7 noch eine Chance, fand sie ganz gut, nur um von Episode 8 noch mehr enttäuscht zu sein als seinerzeit vom Jar-Jar-Binks-Gekaspere. Ich sah mir Rogue One, Solo und schließlich Episode 9 an, immer in der Hoffnung, wenigstens einmal noch das alte Star-Wars-Gefühl zu erleben. In meiner Verzweiflung gab ich sogar den Episoden 1 bis 3 eine Chance, einfach nur, um zu sehen, ob sie wirklich so mies waren, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Eine Altersfrage

Da endlich ging es mir auf, und rückwirkend stelle ich fest, dass ich bereits vor 20 Jahren hätte erkennen können, wo die Ursache dafür lag, dass ich den ganzen neuen Star-Wars-Folgen nichts mehr abgewinnen konnte: Star Wars ist nicht schlechter, sondern ích bin alt geworden. Der Grund, warum ich die Filme der Siebziger und frühen Achtziger heute noch hoch in Ehren halte, sind die Kindheitserinnerungen, die ich damit verbinde. Alle späteren Filme sah ich als Erwachsener und damit als das, was sie sind: aufwändig produzierte Kinderunterhaltung mit schwachem Drehbuch.

Zwei Indizien hätten mich das schon viel früher erkennen lassen können: Erstens war ich bei Episode 1 in der Kino-Nachmittagsvorstellung umgeben von einer Horde Kinder, die sich königlich amüsierte. Über Jar Jar Binks, den herumflatternden Sklavenhändler und jede noch so platte Slaptstick-Einlage. Später unterhielt ich mich mit Leuten, die mit den Prequels groß geworden waren und musste zu meiner Verblüffung feststellen, dass sie die sechs Folgen genau ander herum als ich einschätzten. Die Geschichte von Anakin Skywalker fanden sie recht gut, aber mit Luke, Han, Leia und Darth Vader konnten sie nichts anfangen. Natürlich, sie waren nicht Teil ihrer Kindheit. Deswegen lehne ich mich jetzt aus dem Fenster und behaupte: In 10 Jahren werden wir mit jungen Erwachsenen reden, die Rey und Kylo Ren toll finden, sich kein Stück an den grauenhaften Inkonsistenzen stören und nicht im Ansatz verstehen, was wir an diesen öden Filmen finden, die bis Mitte des ersten Jahrzehnts gedreht wurden. Selbst der Vorwurf, Disney habe die Legende entwertet, indem sie den Markt mit einem ganzen Bündel mittelmäßiger Filme geflutet haben, zieht nur begrenzt. Was hat denn George Lucas angestellt? Nur zur Erinnerung: Selbst die drei ältesten Teile sind heute nicht mehr in der Fassung erhältlich, die wir anfangs in den Kinos sahen. Lukas hat unzählige Male daran herumgeschnippelt, hier noch ein Monster eingefügt, da das Gesicht des Imperators verändert, Han nicht zuerst schießen lassen und Darth Vader ein albernes "Noo" untergeschoben. Selbst am Ewok-Song, der am Abschluss gespielt wurde, hat er sich vergriffen - warum auch immer. Besser wurden die Filme dadurch nicht. Weil all das Geschnippel nicht reichte, hat er irgendwann beschlossen, aus Teil 1 die Episode 4 werden zu lassen und vorweg eine an Banalität kaum zu überbietende Geschichte gestellt, wie aus einem verstockten Bengel mit Prinz-Eisenherz-Schnitt ein quengeliger Teenager mit einem Zöpfchen wurde, das zu meiner Kindheit als Symbol all derer galt, welche die soziale Leiter mit eingehakten Schuhabsätzen hinuntergerutscht waren, und sich schließlich zu einem Mascara-Lockenkopf wandelte, der sein Gesicht zur allgemeinen Erleichterung für den Rest seines Lebens hinter einer Maske verbirgt. Filme überflüssig wie die Neujahrsansprache der Kanzlerin, entstanden einzig, um George Lucas' Ego zu streicheln und noch ein paar Millionen extra einzubringen. Ihre Figuren haben keine Tiefe, die Handlung ist auf Groschenheftniveau, aber wenigstens stammen sie vom gleichen Regisseur und wirken deswegen nicht wie ein wildes Patchwork, an dem jeder sich einmal austoben durfte. Wer also behauptet, Disney habe Star Wars zerstört, sollte bei Lucas' gründlicher Vorarbeit anfangen.

Als Beleg dafür, dass die Ablehnung der Disney-Star-Wars-Reihe durch die Fans vor allem eine Alterfrage ist, ziehe ich die Szene aus "The Last Jedi" heran, die besonders einmütig verrissen wurde: Der im Exil aufgespürte Luke Skywalker bekommt sein altes Laserschwert überreicht, die Musik schwillt dramatisch an - und Luke wirft die Waffe achtlos über die Schulter. Was erlauben Skywalker! Das ist doch albern! Außerdem passt diese Reaktion nicht zum ewig optimistischen Luke.

The times, the are a-changing

Liebe Die-hard-Fans, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: Zwischen dem putzigen Ewok-Tanz und Grummel-Luke sind sowohl im realen Leben als auch in der Erzählung mehrere Jahrzehnte vergangen. In dieser Zeit können sich Menschen verändern. Weder Mark Hamill, noch die von ihm verkörperte Figur haben die letzten Jahre als Sammleredition in Plastik eingeschweißt verbracht. Ich weiß, dass er und seine Fans den netten Luke gern wieder sehen wollten, aber spätestens nach dem Wechsel der Produktionsfirma und des Regisseurs ist es in meinen Augen Zeit für etwas Neues, und genau deshalb finde ich gerade diese vielgeschmähte Szene eine der stärksten der ganzen Reihe. Mehr als das symbolische Verweigern der Staffelholzübernahme steht sie auch in der eigentlichen Erzählung für die vielen Fehler der bisherigen Jedi-Strategie. Wir erinnern uns: Drei Episoden lang bestand die Haupttätigkeit des legendären Rats darin, vor einem Panoramafenster im Kreis zu sitzen und sich selbst wahnsinnig wichtig zu nehmen. Wenn seine Mitglieder aktiv wurden, dann fest eingespannt in einen Militärapparat. Das schlägt ganz offensichtlich fehl, die zwei überlebenden Mitglieder gehen ins Exil und wachsen eigentlich erst dort zu ihrer wahren Größe. Nach dem Ende des Imperiums hält Luke es zunächst für eine gute Idee, den Jedi-Orden nach altem Vorbild wieder zu beleben, scheitert an dieser Aufgabe, denkt noch einmal gründlich über alles nach und zieht sich nun seinerseits ins Exil zurück. Insbesondere lehnt er es ab, sich wieder in irgendwelche Kriege verwickeln zu lassen, die mit der eigentlichen Aufgabe der Jedi, für Gleichgewicht in der Galaxie zu sorgen, nicht viel gemein haben. Offenbar spielt auch eine Menge persönlicher Enttäuschung eine Rolle. Der Bruch mit der Vergangenheit ist aus meiner Sicht deswegen sowohl in der ezählten Geschichte als auch auf der Metaebene gerechtfertigt.

"The last Jedi" rehabilitiert

Episode 8 bricht an mehreren Stellen mit der Vergangenheit. Sieben Kinofilme pflegten den Mythos, in einem Militärapparat gäbe es nichts Tolleres als Hasardeure, die alles besser wissen und sich ständig über Befehle hinwegsetzen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Geschichte dieses Landes ist voller Beispiele dafür, wozu als "Nibelungentreue" verbrämter Kadavergehorsam führt. Durchhalteparolen und Führerverehrung haben Millionen Menschen getötet. Auf der anderen Seite muss allen, die einer militärischen Organisation beitreten, klar sein: Der Apparat funktioniert nur dann, wenn Anweisungen befolgt werden. Entscheidungen werden von oben nach unten getreten, und auf jeder Hierarchiestufe gehen Informationen über die Hintergründe verloren. Ganz unten kommen dann mitunter Befehle an, die dort niemand versteht, die aber bei Kenntnis aller weiteren Umstände Sinn ergeben. Das Dilemma des einfachen Soldaten besteht darin, einen scheinbar unsinnigen Befehl von einem tatsächlichen zu unterscheiden. Bei den Matrosenaufständen gegen Ende des Ersten Weltkriegs oder dem Attentat des 20. Juli 1944 lagen die Meuternden richtig. Das heißt aber nicht, dass wie bei Star Wars ein paar Neunmalschlaue jede Anweisung bestenfalls als Vorschläge ansehen, sich das aussuchen, was ihnen gerade in den Kram passt und sich am Ende dafür feiern lassen, den richtigen Riecher besessen zu haben.

Eine weitere, wie ich finde, langweilige Entwicklung versuchte Episode 8 zu beenden, bevor der Trilogieabschluss sich wieder auf ausgetretene Pfade begab: Während die ersten drei Kinofilme offen ließen, warum einige Menschen für die Macht empfänglicher sind als andere, lieferten Bücher und später die Prequels die Erklärung, das läge an irgendwelchen Mikroorganismen im Körper. Ich fand diesen Ansatz seit jeher dämlich. Da können die Jedi-Ritter ein paar Zaubertricks, mit denen sie sofort ein Hogwarts-Stipendium bekämen, doch statt die Gründe dafür bewusst unklar zu lassen und die Phantasie der Fans anzuregen, ziehen die Star-Wars-Autoren eine gepimpte Magen-Darm-Grippe als auslösende Kraft heran. Was ist einer der stärksten Momente bei "V for Vendetta"? Der Augenblick, in dem Eve bittet, V möge seine Maske abnehmen und er es ablehnt. Was ist einer der schwächsten Momente der Original-Star-Wars-Trilogie? Der Augenblick, in dem Luke Darth Vaders Maske abnimmt und darunter ein käsegesichtiger alter Mann zum Vorschein kommt. Sechs Jahre lang war unklar, wie er aussieht. Bis zum zweiten Film hätte er sogar ein Android sein können. Der Übervater des Filmhorrors Alfred Hitchcock hat gelehrt, sich beim Gezeigten zurückzuhalten. Der eigentliche Film spiele sich im Kopf ab. Die vielen gescheiterten Versuche zweitklassiger Regisseure, schlauer als der Meister zu sein, belegen nur, wie richtig er lag.

Diese dramaturgische Tapsigkeit hätte ich noch übersehen können. Viel mehr stört mich jedoch das Narrativ, die Empfänglichkeit für die Macht vererbe sich, was insbesondere bedeute, dass jemand mit besonders großen Fähigkeiten schon entsprechende Vorfahren haben. Luke ist ein mächtiger Jedi - kein Wunder, bei dem Vater. Rey ist offenbar extrem begabt. Na, da müssen doch die Eltern auch schon aufgefallen sein. Kylo Ren bestreitet das in Episode 8. Reys Eltern seien Niemande gewesen. Die Botschaft ans Kinopublikum lautet: Es gibt keine Jedi-Rassenlehre. Die Macht kann in jedem stark sein.

Das ging dem Star-Wars-ZK offenbar zu weit. Neinein, vielleicht gilt das für irgendwelche 08/15-Jedi diese Annahme, aber jemand wie Rey muss schon besondere Vorfahren haben, und wenn es nicht die Eltern sind, dann eben der Großvater Palpatine.

Wir mögen über das Ergebnis geteilter Meinung sein, aber hinsichtlich des Versuchs, mit den Traditionen zu brechen und neue Wege zu gehen, ist Episode 8 eine ausgesprochen starke Folge.

Ein längst überfälliger Bruch

Die Fans der alten Trilogien mögen das schlimm finden, aber nüchtern betrachtet: Was ist daran erstrebenswert, den alten Quark noch breiter zu treten? Natürlich hatten die Episoden 1 bis 6 ihre Stärken, aber ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich George Lucas nicht für keinen überragend guten Regisseur halte. Er hatte mit Star Wars ein paar schöne Ideen, die er optisch sehr beeindruckend umsetzen konnte. Seine Erzähltechnik hingegen ist mittelmäßig. Das fällt bei der Original-Trilogie noch nicht so sehr auf. Sie weist die typischen Wackler auf, die ein in sich geschlossener Film eben aufweist, der wider Erwarten so erfolgreich ist, dass noch zwei weitere Teile drangeklebt werden, von denen der zweite bewusst mitten im Konflikt steckenbleibt, um den dritten zu rechtfertigen. Das war bei Star Wars der Fall, bei zurück in die Zukunft und beim Fluch der Karibik. Die schlechte Erzähltechnik fiel sehr wohl auf, als Lucas die Episoden 1 bis 3 komplett durchkonzipierte und ich mich bis heute frage, was bitteschön Anakin Skywalker zur dunklen Seite der Macht gezogen hat. Der Tod seiner Mutter und diese auf dem Niveau einer RTL-Vorabendsoap inszenierte Liebesgeschichte können es kaum gewesen sein.

Kurz: Von jedem der bisher erschienenen 11 Kinofilme kann ich Ihnen sagen, warum er grandioser Schund oder ein episches Meisterwerk ist. Sie alle haben ihre großen Momente und strotzen gleichzeitig vor handwerklichen Fehlern. Was Sie davon halten, ist wenig objektivierbar, hängt von Ihrem Geschmack, vor allem aber von der Frage ab, mit welchen Filmen Sie sozialisiert wurden. Wenn Sie also Gift und Galle über die Episoden 1 bis 3 oder 7 bis 9 spucken, schauen Sie kurz in den Spiegel und prüfen Sie Farbe und Position Ihres Haaransatzes. Vielleicht sind die Filme wirklich schlecht. Vielleicht werden Sie aber auch einfach nur alt.

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