Sonntag, 13. November 2016

Trump-traumatisiert

Es ist jetzt eine halbe Woche her, dass Trump zum nächsten US-Präsidenten gewählt wurde, und an der Reaktion der Linken sehen wir munter durchmengt die Phasen der Traumaverarbeitung:

Leugnen

Hillary hatte sogar 200.000 Stimmen mehr als Trump. Unfassbar, dass er trotzdem gewinnen konnte. Ja, es ist ungerecht, aber es spiegelt ein seit Jahrhunderten bekanntes Dilemma der Wahlmathematik wieder: Ein immer und unter allen Umständen gerechtes Wahlverfahren gibt es nicht. Entweder hat man ein Verfahren wie das Mehrheitswahlrecht, bei dem es passieren kann, dass man einige unbedeutende Staaten mit riesiger Mehrheit holt, dafür aber wichtige Staaten knapp verliert und damit in der Summe trotz summierter Stimmenmehrheit verliert, oder man baut ein Verfahren so, dass es den Wählerwillen sehr genau abbildet, dafür aber so umständlich ist, dass es kein Mensch begreift und dadurch dazu führt, dass nur einige wenige Experten qualifiziert wählen können.

Aber alle Prognosen sahen Clinton doch vorn? Wie kann das sein? Langsam, langsam. Die mir bekannten Prognosen sahen Clinton gerade einmal 4 Prozent vor Trump. Das ist noch voll im Bereich der statistischen Ungenauigkeit. Darüber hinaus waren sich alle Beobachter einig, dass die Wahl auf der Kippe stand, und da sind Prognosen immer unpräzise.

Mag ja sein, aber Hillary war doch wohl eindeutig die bessere Kandidatin. Falsch, sie war die weniger katastrophale, und das ist nun einmal kein überzeugendes Argument. Noch weniger überzeugend ist es, Trump-Wähler pauschal als sexistische, rassistische Idioten hinzustellen. Wenn man den Wählern sagt, man sei was Besseres, weil man Clinton wählt, verprellt man diejenigen, die mit solchen hochnäsigen Schnöseln nichts am Hut haben. "Wenigstens sagt Trump die Wahrheit" ist natürlich Quatsch. "Wenigstens gibt der Kerl nicht so ein öliges, durch Berater vorgekautes Politgewäsch von sich" ist hingegen wahr.

Habt ihr euch einmal überlegt, warum Clinton fast immer vorne lag, warum bei eigentlich allen Meinungsumfragen der vergangenen Monate die gesellschaftlich akzeptierte Meinung führte und dann bei den Wahlen komischerweise die "böse" Meinung siegte? Könnte es daran liegen, dass der einzige Ort, an dem die Leute sich noch trauen, ihre wahre Gesinnung zu zeigen, die Wahlkabine ist? Ich weiß, ihr hört das nicht gern, aber ich habe sie erlebt, die Shitstorms, auch schon im Vor-Internet-Zeitalter, wenn man es gewagt hat, dem linken Mainstream zu widersprechen. Ich habe gesehen, wie im Jahr 2009 jede noch so leise Kritik an den Piraten mit wütenden Kommentaren niedergeschrien wurde. Die Unterdrückung der freien Meinung, die ihr den Rechten so gern vorwerft, praktiziert ihr genau so. Ihr bekommt es nur nicht mit, weil in eurer Filterblase natürlich jeder die Freiheit hat, mit euch einer Meinung zu sein. "Natürlich kannst du anderer Meinung sein, aber dann bist halt ein Sexist." Könnt ihr nicht ein einziges Mal eure Ismus-Keule stecken lassen und der Gegenseite unterstellen, dass sie nicht das Land in den Faschismus stürzen will? Ihr habt über Jahre ein Klima geschaffen, in dem wir uns alle gegenseitig geflauscht und jede Störung der Harmonie rigoros beseitigt haben. Damit haben wir aber offenbar nicht den Störenfried beseitigt, sondern nur in ein Versteck getrieben, aus dem heraus er umso gefährlicher agiert.

Zorn

Trump hat gewonnen. Raus auf die Straße. Vor das Weiße Haus. Demonstrieren. Das bringt es bestimmt total. Wahrscheinlich denkt sich Trump: "Also, wenn da eine Handvoll Leute vor meinem künftigen Amtssitz mit Plakaten herumlungern, dann kann ich unmöglich Präsident werden. Ich glaube, ich nehme die Wahl besser nicht an." So läuft das bestimmt.

Die Schuldigen an diesem Schlamassel sind auch schon identifiziert: Verbitterte, alte Männer. Die haben Trump zur Macht verholfen. Die ganz allein.

Und die Hispanier. Und die Latinos. Und die Frauen. Und die Schwarzen. Wie sich nämlich langsam herausstellt, hätten die paar alten Männer in der Tat nicht ausgereicht, um Trumps Sieg zu sichern. Da mussten noch mehr Stimmen her, und die kamen überraschenderweise aus der Gruppe derer, denen man niemals zugetraut hätte, dass sie Trump wählen. Was heißt das?

Das heißt, dass das Narrativ, alles Weiße, Männliche, Christliche, im Alter Fortgeschrittene, kurz alles (Donner, Dramamusik) Privilegierte (Donner) verdammen und bekämpfen zu müssen, nicht mehr so ganz funktioniert. Der politische Gegner lauert auch in den Gruppen, die wir mit unserem Opferspürgerät bisher zuverlässig als moralisch edel, umsorgenswert und damit über jede Kritik erhaben identifiziert haben. Der Baden-Würtembergische grüne Ministerpräsident Kretschmann forderte es gestern auf dem Grünen-Bundesparteitag in Münster und bezog dafür kräftig Prügel: Man solle es mit der Politischen Korrektheit nicht übertreiben. Reflexartig reagierten die Link_innen, was man heute als "Political Correctness" bezeiche, habe früher schlicht Anstand und Respekt geheißen, mithin setze sich Kretschmann also für (und jetzt alle) Sexismus, Rassismus, Ableismus und Homomorphismus ein. Blödsinn, Kretschmann sagt nur, dass man mit einem Klima, das jede abweichende Meinung, ja sogar wissenschaftliche Forschung mit einem Bannfluch belegt, weil die Glutenintoleranz einer lesbischen transgender autistx of color mit Migrationshintergrund nicht hin_reichend gewür_digt wurde, allenfalls erreicht, dass sogar die einem politisch nahe Stehenden in ihrer Verzweiflung alles wählen, was nicht so einen Schwachsinn brabbelt.

Einen weiteren Schuldigen hat Clinton selbst noch gefunden: das FBI. Es stimmt, dass es schon sehr merkwürdig ist, dass ausgerechnet in der Endphase des Wahlkampfs die Bundespolizei mit Meldungen über Clintons selbstgehosteten Mailserver an die Öffentlichkeit tritt. Auf der anderen Seite, naja, vorsichtig gesagt gehören Kindervergewaltigungsvorwürfe auch nicht gerade zur feinen Art der politischen Auseinandersetzung.

Wenn Clinton die ach so haushoch überlegene Kandidatin war, warum habt ihr Vollidioten sie dann nicht gewählt? Wieso sind rund die Hälfte der Leute am Dienstag daheim geblieben? Ihr hättet die Katastrophe, die Trump angeblich bedeutet, ganz einfach verhindern können: Raus aus der Tür, rein ins Wahllokal, Kreuzchen bei den Demokraten. Erst den Hintern nicht hoch kriegen und jetzt mimimi ist vor allem eins: dumm. Beschimpft nicht die Trump-Wähler. Beschimpft eure eigenen Waschlappen, dass sie sich zu fein sind, an elementaren demokratischen Prozessen mitzuwirken.

Und stellt um Himmels Willen das nächste Mal etwas weniger Unwählbares als Hillary Clinton auf.

Verhandeln

Hillary Clinton hat Trump ihre Mitarbeit angeboten. Mit Verlaub, geht's vielleicht noch etwas kläglicher, noch etwas weiter an der Realität vorbei? Hilly-Billy, du hast verloren. Du bist raus. Ende. Die Leute wollen dich nicht. Warum, glaubst du, sollte Trump auch nur im Traum daran denken, von dir Hilfe anzunehmen, geschweige denn zu brauchen? Dass die Amtsgeschäfte von der scheidenden auf die neue Regierung sauber übergeben werden, ist gute amerikanische Tradition, diese Selbstverständlichkeit trägt man nicht wie eine Monstranz vor sich her. Alles, was darüber hinaus geht - naja, wie soll ich's sagen - entspricht nicht dem Wählerwillen. Die haben eben nicht für eine Vizepräsidentin Clinton gestimmt, sondern für (mal kurz nachschlagen) Mike Pence - wer immer das auch sein mag. Wer hat dir erzählt, das könnte anders sein?

Depression

Aber halt, auf Twitter kann man natürlich auch versonnen-intellektuell nachdenklich. So tauchten auch schon die ersten Tweets auf, die klagten, ihre Timeline sei zu privilegiert und man möge ihnen Twitteraccounts nicht so Privilegierter nennen, damit man diese erforschen könne.

Man hole dem Fürsten seinen Quoten-Mohr!

Twitter - seit Jahren Sammelbecken der Newshipster, der Nachrichtenelite, die es total cool finden, mit der Technologie der Endneunziger im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu kommunizieren. Wenn man sich einer Sache sicher sein kann, ist es die, dass hier niemand herumhängt, der sich als Studienobjekt eignet, an dem die Denkelite des Landes beobachten kann, wie der Plebs so tickt.

Abgesehen von der Mischung aus Arrgoanz und Naivität, die aus solchen Aufforderungen spricht, schwingt auch noch ein gehöriges Maß an Weltfremdheit mit. Ich weiß, das ist schwer zu begreifen, aber wenn ihr wirklich wissen wollt, was die Welt außerhalb eurer Filterblase denkt, könnt ihr nicht warten, bis sie euch auf eurem ach-so-datenschutzfreundlichen Twitter auf dem Silbertablett serviert wird. Nein, ihr müsst woanders hin, zu Facebook beispielsweise oder, noch viel besser: in dieses Draußen.

Dann sprecht mit den Krankenschwestern und Altenpflegerinnen, redet mit den Rentnern und Sozialhilfeempfängern. Fragt die Supermarktkassiererin und die Regaleinräumer. Sprecht mit den Polizisten und Busfahrerinnen. Vor allem aber: Führt euch dabei nicht auf wie ein Safaritourist, der von seinem Jeep aus mit dem Fernglas das wilde Treiben beobachtet, sondern interessiert euch wirklich für die Menschen. Geht an die Haupt- und Sonderschulen und erlebt, was eure Bachelor- und Masterabschlüsse dort wert sind. Spürt, dass euer abgehobenes Gequatsche oft nicht als Zeichen hohen Intellekts (Privileg!) und guter Bildung (noch ein Privileg!), sondern einfach nur als das wahrgenommen werden, was sie oft genug auch sind: Abgrenzung und Verbalonanie.

Aber halt, da gab es noch eine fünfte Phase:

Akzeptanz

In dieser Phase nimmt man das Unvermeidliche an und lernt, damit umzugehen. Wer hier angelangt ist, übernimmt wieder die Kontrolle, geht konstruktiv mit dem Erlittenen um.

Das kann wohl noch eine Weile dauern.

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