Es war der 15. August 1989. Erich Honecker redet bei der Vorstellung eines 32-Bit-Chips. Mit der DDR steht es nicht zum Besten. Die seit Jahren vor sich hin köchelnde Oppositionsbewegung gewinnt langsam an Stärke. Noch ist nichts kritisch, aber es scheint Zeit für ein paar aufmunternde Worte und so zitiert der Staats- und Parteichef einen Satz, den er fälschlich August Bebel zuschreibt, der aber schon seit dem Jahr 1886 kursiert: "Den Sozialismus in seinem Lauf / hält weder Ochs noch Esel auf."
Drei Monate später ist der Sozialismus Geschichte.
Eine Karikatur aus dieser Zeit bringt die Situation auf den Punkt: Der Sozialismus rast auf den Abgrund zu, und weder Ochs noch Esel werden dumm genug sein, sich dem in den Weg zu stellen.
Ungefähr so erscheint mir die linke Reaktion auf die Wahl Trumps.
Natürlich gab es Stimmen, die eine Kursänderung forderten. Stimmen, die verlangten, aus Fehlern zu lernen, zu überlegen, warum man zu wenig Menschen mobilisieren konnte und wie man den schon gefährlich nah am Abrund taumelnden Karren im letzten Moment noch herumreißen kann.
Das aber hieße, von liebgewonnenen Gewohnheiten, bequemen Denkmustern und heiligen Dogmen Abschied zu nehmen. Dinge zu ändern. Doch in diesem Punkt sind die sich selbst progressiv Nennenden erstaunlich konservativ.
Alles lief richtig, lautet das Credo. Wir hatten eine tolle Kandidatin, hervorragende Argumente,eine perfekte Kampagne. Der Trump aber, der miese Hund, der ist ein ganz gemeiner Populist. Es mag ja sein, dass er gewonnen hat, aber das war total unfair. Moralisch gesehen sind wir die Sieger. Sich jetzt zu überlegen, wie man einen moralischen in einen Wahlsieg ummünzt, sei ein Zeichen von Schwäche. Wir haben keine Handlungsoptionen, derwegen die Parole: Keine Handbreit den Faschisten. Wer uns nicht wählt, der hat es einfach nicht verdient, von uns regiert zu werden.
Es ist die masochistische Lust am eigenen Untergang. Seht alle her, wie wir aufrecht, dem Schicksal trutzig die Stirn bietend, mit einem Lied auf den Lippen in den Untergang gehen. Künftige Generationen werden uns Denkmäler setzen und Straßen nach uns benennen. Es mag sein, dass wir nichts auf die Kette gekriegt haben, aber in Sachen Haltung, da kann uns keiner was.
Man mag die SPD hassen und die Grünen verachten, aber eines muss man ihnen lassen: Kompromisse können sie eingehen. Sie verraten ein Grundprinzip nach dem Anderen, aber gleichzeitig bekommen sie andere Kernforderungen durchgesetzt. Als die Grünen vor 35 Jahren die politische Bühne betraten, war Gleichberechtigung ein linkes Nischenthema, Kernkraftwerke der Heilsbringer und alternative Energien eine wirre Fantasie kiffender Ökos. Heute hat selbst die CDU eine Frauenquote, Kernkraftwerke sind auslaufmodelle, und auf jedem Vogelhäuschen klebt eine Solarzelle, auf jedem Maulwurfshügel steht ein Windrad. Sie können kein Rosenbeet mehr umgraben, ohne sicher zu stellen, dass keine seltene Kellerasselnart sich davon belästigt fühlt. Die Grünen von heute haben kaum noch etwas mit denen aus dem Jahr 1980 gemein, aber unideologisch betrachtet waren sie erfolgreich. Ähnliches kann man über die SPD sagen. Es mag keinen Grundsatz geben, den sie nicht mit Füßen getreten haben, aber sie haben es geschafft, dass Kanzlerin Merkel Positionen vertritt, die früher sozialdemokratische Alleinstellungsmerkmale waren.
Um zu Trump zurückzukehren: Er hat mit Theatralik und Populismus gewonnen. Dieses Erfolgsrezept kopieren zu wollen, kann gar nicht funktionieren, weil man es sofort als billige Kopie erkennt. Ist es aber so falsch, wissen zu wollen, wie Leute ticken? Ist es so schlimm, herauszufinden, wie Leute auf zum Teil krude Ideen kamen? Wenn irgendwo regelmäßig Feuer ausbrechen, kann ich natürlich immer brav die Feuerwehr hinschicken. Vielleicht hat sie Erfolg, vielleicht nehmen aber auch die Brände überhand. Dann kann ich zwar behaupten, ich hätte wenigstens zu löschen versucht, aber ich muss mir auch die Frage gefallen lassen, warum ich nicht erforscht habe, wie die Brände entstehen. Vielleicht haben sie ja eine gemeinsame Ursache, ein Muster, und wenn ich die erkenne, kann ich proaktiv etwas unternehmen und muss nicht ständig Symptome bekämpfen. Ich bezweifle, dass rund die Hälfte der US-Amerikaner sabbernde Rednecks oder ein Fünftel der Deutschen Nazis sind. Den Leuten geht es nicht um Ausländer und Unterdrückung von Frauen. Es geht ihnen um darunter liegende Gefühle, um Sicherheit, Sorglosigkeit und Kontrolle über das eigene Leben. Wenn ihnen jemand erzählt, dass man dafür alle Mexikaner rausschmeißen muss, dann sind sie eben gegen die Mexikaner. Sie nehmen aber auch andere Erklärungen hin, wenn man sie vernünftig präsentiert.
In Demokratien werden Wahlen durch Mehrheiten entschieden, und gerade in politisch wackligen Zeiten wie diesen ist es reichlich vermessen, auf 20 oder wie in den USA fast 50 Prozent der Leute herabzublicken und zu sagen: "Na von euch wollen wir uns gar nicht wählen lassen." Weder Trumps noch das Wahlprogramm der AfD halten einer ernsthaften Untersuchung nach logischer Konsistenz und Umsetzbarkeit stand. Andererseits liest auch kein Mensch so ein Geschreibsel. Die Leute wählen das, was sie hören, das, was ihnen ihnen in Reden versprochen wird. Niemand verlangt, so wie die Populisten den Wählern nebulös etwas vorzugaukeln. Dem Publikum glaubwürdig zu vermitteln, dass man es ernst nimmt, dass man es versteht und versucht, seine Bedürfnisse zu befriedigen, finde ich hingegen angebracht. Das ist kein Populismus, das ist eine demokratische Grundforderung.
Wenn man auf den Abgrund zurast, ist "weiter so, unsere Prinzipien sind heilig" keine Option.
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