Mittwoch, 23. November 2016

Scheindemokratische Präsidentenausrufung

Wenn man den Zustand der deutschen Sozialdemokratie in einem Satz beschreiben möchte, könnte es dieser sein: Dicke, alte Oligarchen inszenieren mit großer Geste längst vergangene Tages des Ruhms. Ja, man mag es kaum glauben, vor dreißig Jahren hatte diese Partei noch so etwas wie Relevanz. Sie sah sich nicht als Erfüllungsgehilfin und Mehrheitsbeschafferin der CDU, sondern sie vertrat, man höre und staune, Arbeitnehmerpositionen. Sie setzte sich für Menschenrechte ein, ja sogar ab und zu für Datenschutz.

Dann kam Frank Walter Steinmeier.

Man muss ihm zugute halten: Er hat Format. Er hat Kompetenz. Er ist nicht eine der Witzfiguren, mit der die SPD reichlich ausgestattet ist: bräsig wie Scharping, peinlich wie Andrea Nahles, aber hey, mit Studium in Politologie oder Geschichte oder Jura. Das Dumme ist nur: Sein politisches Handeln hat keinen Bezug zu den Werten, die er mit viel Pathos immer wieder hochhält. Er hat dafür gesorgt, dass ein Unschuldiger jahrelang in einem völkerrechtswidrigen Gefängnis festgehalten wird. Er als Architekt der Hartz-IV-Gesetze für den Abbau des Sozialstaats gesorgt. Er ist verantwortlich für die massenhafte Datenweitergabe an die NSA. Dafür kommt man hierzulande nicht ins Gefängnis, sondern ins Schloss Bellevue. Seien wir ehrlich: Da haben schon deutlich schlechtere Leute gesessen.

Peinlich ist auch weniger, dass im Rahmen des Berliner Postengeschachers ein zweifelhaft beleumundeter Politiker Bundespräsident wird. Peinlich ist, wie verzweifelt man den Schein zu wahren versucht, hier sei auch nur ansatzweise Demokratie im Spiel.

Das geht schon mit dem Ausgeklüngel los. Gauck wollte nicht mehr, also brauchte die Union einen Kandidaten, hatte aber nichts Ordentliches zu bieten, weil die wenigen Fähigen, die Merkel noch nicht weggebissen hat, noch keine Lust haben, sich ins Altenteil zu verabschieden. Gleichzeitig musste die SPD den Schein erwecken, in der Großen Koalition irgendwas zu melden zu haben. Weiterhin musste Gabriel einen lästigen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur loswerden. Also brachte er Steinmeier ins Spiel. Demokratische Entscheidungswege spielten hier keine Rolle, sodern allenfalls die Fähigkeit, gut Poker zu spielen.

Der zweite Schritt war, naja, sagen wir ungeschickt. Der kommende Bundespräsident hat nämlich ein Buch geschrieben, und sein Verlag kam jetzt auf die grandiose Idee, dieses Buch mit den Worten "das Buch des nächsten Bundespräsidenten" zu bewerben. Seien wir ehrlich: Wenn sich Union und SPD auf einen Kandidaten einigen und nicht einmal die üblichen parteiinternen Stänkerer etwas auszusetzen haben, ist der Mensch gewählt. Welches absurd unwahrscheinliche Ereignis soll bitteschön eintreten, um das noch zu verhindern? Ja, es ist trampelhaft, diese Tatsache verbunden mit klar kommerziellen Interessen auszusprechen, aber es ist wenigstens ehrlich.

Als Drittes kam das ZDF auf die Idee, in einer zweitklassigen Satiresendung auf den Umstand hinzuweisen, dass die Wahl des Bundespräsidenten allein schon wegen des Ausgekungels der Kandidaten aber eben auch wegen der fischigen Zusammensetzung der Bundesversammlung bestenfalls inszenierte Demokratie, in Wirklichkeit jedoch ein abgekartetes Spiel ist.

Da tobte aber die spezialdemokratische Volksseele, die traditionell äußerst dünnhäutig auf Kritik reagiert. Ihren Frank Walter so fies anzugehen, das grenze ja fast an, an... naja, also mindestens Majestätsbeleidigung. Das war angesichts des Amts, um das es geht, inhaltlich falsch. Gemeint war natürlich Gotteslästerung.

Schauen wir uns einmal an, wie sich die Bundesversammlung zusammensetzt. Da wären zum Einen die Mitglieder des Bundestages. Von denen kann man sagen, dass sie mit einem direkten Mandat dorthin geschickt wurden. Hinzu kommt die gleiche Zahl von Mitgliedern der Länderparlamente. Da in den Landtagen mehr Menschen sitzen, als in der Bundesversammlung unterkämen, findet auch hier ein Auswahlprozess statt. Die Mitglieder der Länderparlamente haben also ein indirektes Mandat.

Bis zu diesem Punkt kann man sagen: OK, das verstehe ich noch. Es geht aber weiter: Zu dieser Zahl hinzu kommen (vermutlich auf Kosten von Sitzen, die durch Parlamentarier besetzt werden) Prominente. Vermutlich soll damit der Schein erweckt werden, die Wahl fände durch das Volk statt - was natürlich Quatsch ist. Genau das sieht die Verfassung aus sehr gutem Grund nicht vor. Also kommt eine wild von den Parteien ausgewürfelte Truppe mehr oder weniger bekannter Gesichter in die Bundesversammlung, und woher die ihr Mandat hat, kann man nur grob mit "nja, da werden ein paar Bundes- und Landtagsabgeordnete der einzelnen Parteien sich mal hingesetzt und was ausgemauschelt haben" beschreiben.

Es ist auch nicht weiter schlimm. Mit Verlaub: Da wird jemand gewählt, dessen vornehmliche Aufgabe in den nächsten Jahren darin bestehen wird, Bänder von Ausstellungseröffnungen durchzuschneiden und nichtssagende Reden zu halten, von denen sich bloß niemand ernsthaft angegriffen fühlen darf. Das haben selbst Horst Köhler und dieser unscheinbare Typ aus Niedersachsen, wie hieß der doch gleich? Ach ja, Christian Wulff, also der hat es jedenfalls auch hinbekommen. Mit den richtigen Beratern im Hintergrund kann da offenbar nicht viel schiefgehen. Da darf die Wahl auch gern eine Inszenierung sein.

Aber nein, das hören die Spezialdemokraten nicht gern. Ihr Kandidat ist ohne Fehl und Tadel, und deswegen erfolgt seine Inthronisierung nur mit den besten Gütesiegeln, die eine Demokratie vergeben kann. Alles Andere ist (und da haben sie brav aufgepasst, womit man derzeit jede Diskussion gewinnen kann) Populismus.

Das wiederum ist genau der Punkt, an dem ich mich frage, ob die SPD-Claqueure irgendwann noch einmal etwas begreifen werden. Offenbar ist die Nazikeule schon so abgenutzt, dass ein neues Wort her musste, und Populismus klingt so schön gebildet. Griechisches Lehnwort, weißte, voll akademisch. Das Dumme ist nur: Damit stellt man allenfalls noch Disziplin unter den eigenen Leuten her. Die anderen sagen sich: Gut, dann bin ich halt Populist, gehe ich doch gleich rüber zu denen, die noch dieses Etikett tragen, zur AfD zum Beispiel. Mit anderen Worten: Der platte Versuch, abweichende Meinungen zum Verstummen zu bringen, treibt die Leute in die Reihen derer, die man doch eigentlich zu bekämpfen beabsichtigt.

Reife Leistung, SPD.

Keine Kommentare: