Donnerstag, 31. Dezember 2015

Hacker auf dem Weg zur gesellschaftlichen Verantwortung

Das Thema "Verhältnis zwischen Hackern und dem Rest der Welt" zieht sich schon seit einigen Jahren durch den Congress. Behandelte der 27C3 mit "We come in peace" die vorsichtige Annäherung zur Nicht-Nerd-Sphäre, war der 28C3 mit "Behind enemy lines" schon skeptischer und sah die Hacker auf sich gestellt in einer für sie fremden Umgebung. Selbstkritisch forderte der 29C3 auf, sich zuständig zu fühlen, Verantwortung zu übernehmen. "Not my department" durfte nicht länger als Ausrede herhalten, die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, dass die Anderen schon irgendwie die Sache erledigen. Große Ratlosigkeit herrschte ausgerechnet auf dem Jubiläums-Congress 30C3, der ganz ohne Motto auskommen musste. Fast schon starr vor Entsetzen mussten die Hacker sehen, wie ihre Träume von einer besseren, freieren und menschlicheren Welt durch unkontrolliert marodierende Ermittlungs- und Geheimdienstbehörden zerstört wurden. Alle Versuche, den Nicht-Nerds zu vermitteln, dass die Aufgabe von Freiheit keineswegs mehr Sicherheit bringt, schienen gescheitert.

Natürlich durfte Resignation nicht den restlichen Lauf der Dinge blockieren, und so forderte der 31C3 mit "A new dawn", es noch einmal zu versuchen.

Es gehört schon fast zur Tradition des Clubs, das jeweils neue Motto erst einmal zu bekritteln, und so hub das Gejammer auch diesmal wieder an, als verkündet wurde, es ginge diesmal um "Gated communities". Die Einen hatten das Motto schlicht falsch verstanden und vermuteten, es ginge darum, neue abgeschottete Bereiche zu errichten, krittelten die Anderen, der Club habe es gerade nötig, Cliquenbildung anzuprangern, da gerade er es ist, der sich gern als die Elitenvereinigung aufführt, die mit den weniger tollen Leuten nichts zu schaffen haben will. Dass die Organisatoren sich dieses Umstands durchaus bewusst sein könnten und mit dem Motto auch intern einen Umbildungsprozess anstoßen wollen, schien ihnen komplett abwegig. So viel Selbstironie trauten sie ihnen nicht zu.

Selbstironie ist ohnehin nicht gerade die Stärke der Gutmensch_innenbewegung, die sich seit einigen Jahren mal mehr, mal weniger lautstark im Clubumfeld zu Wort meldet, erfolgreich die Piratenpartei kaputtgetrollt hat und beim 29C3 einiges unternahm, um die Veranstaltung zu kippen. Auch diesmal rumorte sie etwas vor sich hin und versuchte, sich an ihrem Lieblings-Hassobjekt Felix von Leitner abzuarbeiten, weil er es gewagt hatte, ihr heiliges Mantra "Check your privileges" als Titel eines Vortrags über Computersicherheit zu nehmen, in dem es um die saubere Rechtezuweisung bei Computerprogrammen ging. Wer die Stirn hat derartige Gedankenverbrechen zu begehen, ist nicht nur ein Antifeminist - war wir alle schon seit Jahren wissen -, sondern er ist sogar ein Antisemit - worauf auch immer sich diese steile These gründet. Nun mag Fefe nicht unbedingt der große Sympath sein, die teuflische Mischung aus Richelieu und Hitler, zu der ihn sene Gegner gern stilisieren, ist aber auch ein wenig viel der Ehre und verwechselt die Relevanz, die ihm eine relativ kleine Gemeinde zugesteht, mit realem Einfluss. Mehr noch: Wer sich seiner Sache so wenig sicher ist, dass ihn ein derart kleiner Seitenhieb komplett aus der Ruhe bringt, bestätigt von Leitners These, dass man solche Leute einfach nicht ernst nehmen kann.

Als der Congress vor drei Jahren zurück nach Hamburg zog, war man sicher, dass auf absehbare Zeit keine Platzprobleme auftauchen werden. Zu groß erschien das Gebäude, das man zu diesem Zeitpunkt nicht einmal komplett gemietet hatte. Inzwischen aber ist das ganze CCH vom Congress in Beschlag genommen. 12.000 Menschen bietet das Haus Platz, und auch das reicht nicht mehr. Die Dauertickets waren schon Wochen vor Veranstaltungsbeginn ausverkauft, und jeden Morgen stapelten sich im Foyer die Leute, die auf eine Tageskarte hofften. Kurz: Der Congress ist fast wieder da, wo er war, als er aus dem BCC auszog, und die würdelose Ticketlotterie vergangener Jahre wünscht sich hoffentlich niemand wieder zurück. Wenn der Club seinem Anspruch, abgeschirmte Gemeinschaften aufbrechen zu wollen, erfüllen will, musss er eine Möglichkeit finden, allen Leuten, die teilnehmen wollen, das auch zu ermöglichen. Niemand hat gesagt, dass dies einfach sein wird, aber wenn die Hacker wirklich so schlau sind, wie sie von sich glauben, sollten sie hier eine Lösung finden.

Einer der auffälligsten Versuche, Absperrungen zu überwinden, bestand in der Maßnahme, Toiletten nicht mehr nach Geschlechtern zu trennen, sondern nach der Frage, ob man sitzen oder stehen wolle. Wer schon einmal bei Großveranstaltungen erlebt hat, wie schlecht Loadbalancing auf geschlechtergetrennten Toiletten funktioniert, wird schon aus reinem Pragmatismus diese Idee begrüßen. Da aber in einem akademisch geprägten Umfeld selbst so banale Dinge wie die Entsorgung körperlicher Abfallprodukte ideologisch aufgeladen und diskutiert werden müssen, wurde auch hieraus gleich wieder ein Genderthema - was auch prompt diegenigen auf den Plan rief, deren Ratio beim Wort "Gender" in den Hibernate-Modus schaltet und zur Debatte führte, wie denn nun ideologisch korrekt uriniert wird. Um es mit einer in der Szene kursierenden Redewendung zu sagen: "Das kannste schon so machen, aber dann isses halt Kacke."

A propos Toilette: Der Congress hat aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt und der Congress-(Magen-Darm-)Grippe den Kampf angesagt, die auf dem 31C3 scharenweise Leute aus dem Verkehr gezogen hatte. Wenn 12.000 Menschen sehr eng zusammen hocken und einige von ihnen ein massives Problem mit Körperhygiene haben, breiten sich Krankheiten explosionsartig aus. Eine sehr einfache und gleichzeitig sehr wirksame Gegenmaßnahme besteht im regelmäßigen Händewaschen, insbesondere vor dem Essen. Darüber hinaus sollte man nichs essen, von dem unklar ist, wer es vorher in den Händen und was er vorher angefasst hatte. Daran hielten sich offenbar viele Congressbesucherinnen, und so gab es in diesem Jahr keine größeren Zwischenfälle zu registrieren.

Rückblickend auf das Jahr 2015 fiel häufiger der Begriff "Katastrophenjahr". Die Vorratsdatenspeicherung wurde alle Einwände ignorierend wieder eingeführt, dafür wurde die Netzneutralität abgeschafft. Nach den Pariser Anschlägen greift Terrorhysterie um sich, und Regierungen begrüßen dankbar jede Gelegenheit, ihre Macht auszuweiten. Mündige Völker waren schon immer eine dumme Idee. In Diktaturen laufen Dinge viel geordneter.

Doch ganz so düster ist die Lage auch wieder nicht. Die Erfolge sind vielleicht nicht so strahlend wie damals, als die Vorratsdatenspeicherung erstmals in Deutschland verboten wurde, aber sie sind da. So stellte sich beispielsweise heraus, dass man nicht einfach kritische Journalisten des Landesverrats bezichtigen und ins Gefängnis stecken kann. Der Generalbundesanwalt, der jahrelang die durch den BND begangenen Grundrechtsverletzungen ignoriert hat, aber gegen die Blogger von Netzpoltik.org die ganz große Keule herauskramen zu müssen meinte, hatte die Heftigkeit der öffentlichen Reaktion offenbar unterschätzt und musste seinen Posten räumen.

Ein weiterer Erfolg ist die Ausbreitung des Freifunks - so traurig auch der Anlass sein mag. Die große Menschenmenge, die in den vergangenen Monaten aus ihrer Heimat flüchten musste und hier in Massenunterkünften notdürftig untergebracht wird, hat neben unmittelbaren Bedürfnissen wie denen nach Essen und einem Bett auch andere, nicht ganz so offenbare, aber dennoch dringede wie die nach Kommunikation. Diese scheitern aber oft an bürokratischen Hürden. Die öffentliche Hand könnte einfach einen Stapel WLAN-Router kaufen und sie in den Heimen aufstellen, aber die Angst vor der Störerhaftung ist zu groß. Hier schaffen die Freifunker einfach Fakten, indem sie ohne lange Absprache mit ihrer Hardware auftauchen und den Heimbewohnerinnen freies WLAN mit minimalen rechtlichen Risiken ermöglichen. Es ist ein klassischer Hack: Die Heimverwaltung ist froh, dass die Freifunktechnik die Störerhaftung umgeht, die Freifunker sind froh, dass sie ihr freies, unzensiertes Netz erweitern können. Wer weiß, wie bald wir es brauchen werden.

Schließlich hat der Bundestag den Routerzwang aufgehoben. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine positive Überraschung, weil man sich kaum vorstellen kann, dass außerhalb der Gruppe der Hardcore-Nerds überhaupt eine nennenswerte Menge Menschen existiert, die sich am Routerzwang stört.

Der Anspruch, aus den eingezäunten Grüppchen auszubrechen, ist selbst innerhalb der Hackergemeinde nicht unumstritten. Man muss nur über das Congressgelände gehen und darauf achten, welche Gruppen ihre Tische offen und für Außenstehende einladend aufgebaut haben und wer sich hinter Barrieren und Stellwänden verschanzt hat. Insgesamt aber scheint der einladende Charakter des Congresses zu überwiegen. Immerhin stieg seine Besucherinnenzahl seit der Rückkehr nach Hamburg jährlich um 3.000 Menschen. Zieht man von den 12.000 Leuten, die sich auf dem 32C3 trafen, die 6.000 Clubmitglieder ab, die maximal anwesend gewesen sein können, bleiben weitere 6.000, die der Club darüber hinaus anlocken kann. Man merkt auch am Medieninteresse, dass der Congress wahrgenommen wird. Das mag teilweise der traditionell nachrichtenarmen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr geschuldet sein, es ist aber wohl auch due besondere Atmosphäre der Veranstaltung. Zum Einen dürfte es kaum eine Veranstaltung geben, die von ihren Teilnehmerinnen so liebevoll und bis ins Detail optisch gestaltet wird. Das fängt bei den zigtausend Deckenleuchten an, die jede einzeln mit bunter Folie abgeklebt werden und hört beim raumschiffartig gestalteten Tunnel zum Hackcenter nicht auf. Zum Anderen sind es die Besucherinnen selbst, die den Congress auszeichnen. 12.000 Menschen bergen ein großes Konfliktpotential, aber wirklich schlimmen Ärger gibt es nicht. Das zeigt sich unter anderem daran, dass immer noch viele verwaiste Laptops herumstehen, deren Besitzer nicht befürchten, dass den Geräten etwas zustößt. Das zeigt sich aber auch daran, dass die veranstaltungseigne "Security" gerade einmal aus einer handvoll Nerds besteht, deren Auftauchen allein schon so viel Respekt einflößt, dass Hausverbote in all den Jahren zur absoluten Ausnahme gehören. So etwas wie Körperkontrollen oder Taschendurchsuchungen ist völlig undenkbar. "Be excellent to each other", ist keine leere Phrase. Sie wird auf dem Congress gelebt.

So nimmt die Gemeinde den Congress auch zum Anlass, sich selbst zu feiern. Das Gefühl, dem Rest der Menschheit ein paar Jahre voraus zu sein, kann man überall spüren, und so unbescheiden dieses Selbstbild auch sein mag - es ist nicht unbegründet. Wer sich so wie der CCC seit über 30 Jahren nicht nur mit der Technik selbst, sondern auch mit ihren gesellschaftlichen Auswirkungen beschäftigt, hat einige Dinge begriffen, die dem Rest noch nicht klar sind. Doch statt sich nun in ihre Hackspaces zurückzuziehen und mitleidig auf die restliche Welt zu blicken, die noch nicht so weit ist, fordert das Motto des 32C3 dazu auf, hinaus zu gehen, und aus der gesellschaftlichen Relevanz, die man unbestritten inzischen hat, auch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. So peinlich die Frage des Innenministers nach einer "Notfallnummer" des CCC war - der zugrunde liegende Gedanke, es reiche nicht aus, einmal jährlich in den "Security Nightmares" auf Missstände hinzuweisen, sondern man müsse auch konstruktiv eingreifen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Frage ist nur, wie dieser Beitrag genau aussehen soll.

Es ist ja nicht so, als hätte der Club vor allem nach dem Schockerlebnis des KGB-Hacks nicht immer wieder versucht, in den demokratischen Diskurs einzugreifen. Teilweise geschah dies mit weit reichenden Folgen, wie beispielsweise den Gutachten vor dem Bundesverfassungsgericht in den Verhandlungen gegen die Vorratsdatenspeicherung, Wahlcomputer und Onlinedurchsuchung. Doch die Rolle des Clubs ist eher eine reaktive. Irgendwer verschusselt es, und der CCC muss wieder eingreifen, um die Sache zu richten. Besser wäre es natürlich, schon weiter vorn im Prozess, bei der demokratischen Willensbildung einzugreifen, aber genau da weiß inzwischen niemand, wie das funktionieren soll. Der Versuch, mit der Piratenpartei eine Art parlamentarischen Arm des Clubs zu schaffen, ist grandios gescheitert. Die heillos zerstrittene Partei spielt allenfalls in irgendwelchen Ratsversammlungen noch eine Rolle. Spätestens auf Landsebene warten die wenigen verbliebenen Mandatsträger darauf, bei der nächsten Wahl ihren Sitz zu verlieren. Gründe dafür gibt es viele, und die schöne Selbstillusion, man werde von den Medien absichtlich ignoriert, lenkt wohlfeil vom eigenen Versagen ab und klingt schon arg nach "Lügenpresse". Die wahren Ursachen reichen von einer zu raschen Expansionsphase, in deren Verlauf man sich auch jede Menge Idioten und Karrieristen eingetreten hat, über eine unzureichende Diskussionskultur bis hin zur ernüchternden Erkennnis, dass politisches Tagesgeschäft ganz schön öde sein kann. Am Ende stehen tausende verbrannte Aktivisten, die vor allem eins wissen: nie wieder eine Parteineugründung.

Der naheliegendste Weg zur politischen Einflussnahme führt in diesem Land eindeutig durch die Parlamente. Dummerweise ist das auch genau der Weg, der sich für die Nerdgemeinde als ungeeignet erwiesen hat. Vielleicht gibt es eine Chance für eine Piratenpartei 2.0, aber dazu müsste man mehr als nur ein paar Feinjustierungen am zuletzt gescheiterten Versuch vornehmen. Das Problem ist struktureller Natur und lässt sich nicht dadurch lösen, dass man das nächste Mal andere Leute in den Vorstand wählt und auf dem Liquid-Democracy-Server die aktuellen Patches einspielt.

Nun ist die Aufgabe, dass der direkte Weg nicht funktioniert und man es deswegen über einen Umweg versuchen muss, eine klassische Herausforderung des Hackings. Ich bin gespannt, wie die Lösung aussehen wird.

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