Montag, 21. Dezember 2015

Ich will nicht das sein, was ich bin (Du darfst)

Die Aufregung war groß: Eine Farb-äh Schwar-äh Person-of-Colour-Bürger*innenrechtsaktivistin wurde bezichtigt, genetisch gesehen eben nicht farb-äh schwar-äh person-of-colour zu sein. Sowas geht ja nun überhaupt nicht. Man versprach uns rassisch einwandfreie Aktivistinnen. Da half es auch nichts, dass die Betroffene erklärte, sie fühle sich nun einmal als Farb-äh, Schwar-äh, Person of Colour, nein, sie musste von ihren Ämtern zurücktreten.

Die sonst um theatralische Aufschreie nicht verlegene Bürger*innenrechtsbewegung hielt sich auffallend zurück, was die Kommentierung dieses Vorgangs anging, und das verwundert nicht, berührt er doch eine unangenehme Frage: Wie weit darf ich Leuten zugestehen, nicht ihre genetische Disposition haben zu wollen, sondern sich eine andere zu wünschen und sich entsprechend zu verhalten?

Seit Jahrzehnten herrscht beispielsweise Einigkeit darüber, dass Gene allein nicht darüber entscheiden dürfen, ob man nun ein Mann oder eine Frau ist. Wenn ein Mann sich als Frau fühlt (oder umgekehrt), ist es im Wesentlichen egal, was der eigene Körper äußerlich darstellt. Im Extremfall erkennt die Krankenkasse die Situation sogar an und zahlt die Operationskosten sowie die Medikamente, um den Körper dem Geist anzupassen.

Bis hierhin ist die Lage relativ einfach. Wenn sich jemand einen anderen Körper wünscht, steht es uns nicht zu, darüber zu richten. Es betrifft uns nicht, es schadet uns nicht, warum also sollten wir ihm oder ihr diesen Wunsch verwehren? Komplizierter wurde es in den vergangenen Jahren, als sich herausstellte, dass es Leute gibt, die sich in der Geschlechterfrage nicht eindeutig festlegen wollen. "Na komm", mögen viele denken. "es kann ja nun wirklich nicht so schwer sein, sich in dieser Hinsicht irgendwann einmal zu entscheiden", doch dem Anschein nach ist es nicht nur schwer, die Betroffenen legen auch großen Wert darauf, auf  diesen Umstand möglichst oft und lautstark hinzuweisen. So wurde zwischenzeitlich Facebook um eine Möglichkeit erweitert, im Profil neben männlich und weiblich auch noch diverse andere Fälle einzutragen. Letztlich gilt auch hier: Es schadet niemandem, also gut, dann lass sie halt gewähren, auch wenn sie sich häufiger mal umentscheiden, ist das ihre Sache.

Die für ihren grob austeilenden Stil bekannte Zeichentrickserie Southpark hat sich vor einigen Folgen der Sache angenommen. Angewidert von den ständig überfüllten und verdreckten Jungentoiletten behauptet Cartman, sich als Mädchen zu fühlen und beansprucht folgerichtig, deren deutlich weniger frequentierten und saubereren Toiletten benutzen zu dürfen. Die Schule geht zwar von einem weiteren Bluff des Jungen aus, fürchtet aber die öffentliche Auseinandersetzung, die entstünde, entsprächen sie seinem Wunsch nicht und richten schließlich nur für ihn eine eigene Toilette ein.

So bizarr die Geschichte auch erscheinen mag, sie lehnt sich an tatsächliche Ergeignisse an. Wie üblich, hat natürlich die Realität schon längst die Satire überholt. In den USA gibt es inzwischen den Fall eines Schülers, der als Mädchen geboren wurde, sich aber als Junge fühlt, daraufhin eine eigene Toilette gestellt bekommt und sich nun über genau diese Sonderbehandlung beschwert. er fühle sich diskriminiert, wenn er nicht die Toilette benutzen darf, die er für sich angemessen findet.

Wer bis hierhin zustimmend nickt und meint, im Prinzip sei das alles zwar schon etwas skurril, aber als tolerante Menschen müssten wir schon irgendwie damit klarkommen, sollte dann aber auch keine Schwierigkeiten damit haben, wenn sich jemand als Person of Colour fühlt und entsprechend behandelt werden möchte. Ob Geschlechter- oder Hautfarbenfrage, das darf nun wirklich keine große Rolle spielen. In der Konsequenz ist es doch nur verständlich, wenn eine selbst ernannte Person of Colour sich gegen die Diskriminierung einsetzt, der sie sich nicht ausgesetzt sähe, hätte sie nicht den unbändigen Wunsch verspürt, eben dieser Gruppe anzugehören. Böswillig gesagt: Sie will für ihr Blackfacing auch noch gemocht werden.

Sie sei nicht etwa Person of Colour, sondern schlicht und einfach verrückt, heißt es aus ihrem Umfeld, aber auch diese Erklärung erscheint mir nicht konsistent. Warum bezeichnen wir eine mit ihrer Hautfarbe unglückliche Frau als geistesgestört, aber wenn sie das Geschlecht wechseln wollte, hätte sie unsere gesamte Solidarität? Selbst wenn es verrückt wäre, warum tolerieren wir die eine Verrücktheit, nicht jedoch die andere?

Insgesamt birgt der an sich sinnvolle Ansatz, die Gefühle anderer Leute ernst zu nehmen, einige Fallen. Das zeigt sich beispielsweise bei der Frage, was sexuelle Belästigung ist. Der Gesetzgeber neigt hier dazu, genau zu definieren, welche Handlungen noch zulässig sind und welche nicht. Jetzt argumentieren unter anderem Feministinnen völlig zu recht, das könne man nicht pauschalisieren, die Frage, ob sie sich belästigt fühle, müsse jede für sich selbst beantworten. Das klingt zunächst einleuchtend, führt aber gerade, wenn es zum Strafprozess kommt, in eine Situation, die wir seit den Zwölftafelgesetzen eigentlich abgeschafft haben wollten: zur Willkürjustiz. Das sich als solches fühlende Opfer wird zur Richterin, es gibt keine neutrale, über den Sachverhalt entscheidende Instanz mehr, allein das Gefühl der Klägerin zählt.

Wer diese, Jahrhunderte juristischer und humanistischer Überlegungen geschmeidig über den Haufen werfende Argumentation akzeptiert, sollte erst recht keine Schwierigkeiten damit haben, wenn eine Nicht-Person-of-Colour sich als Person-of-Colour fühlt, aber seltsamerweise höre ich diese Argumentation im Moment selten.

Insgesamt scheint die Argumentation, wer sich wann warum als was zu fühlen habe, stark vom gerade verfolgten politischen Ziel abzuhängen. So zählen die Bloggerinnen von "50 Prozent" seit Jahren penibel den Anteil von Männern und Frauen auf den Referentenlisten verschiedener Veranstaltungen. Erste Frage: Was ist eine Frau? Antwort: "Mit Frauen* meinen wir alle, die sich selbst als Frau verstehen." Zweite Frage: Wie findet ihr heraus, welche Person auf einer Namensliste sich als Mann, welche als Frau versteht, und überhaupt: Ist diese Unterscheidung nicht aufs Diskriminierendste grob? Darüber schweigt das Blog auffallend, genauso wie zu Fragen mathematischer Grundlagen, die das wohlige Gefühl stören könnten, sich als Opfer_in zu fühlen und damit alle widerfahrende Unbill nicht etwa der eigenen Unfähigkeit, sondern der verschworenen Umwelt anlasten zu können. So hingegen wird einfach eine Namensliste abgeklappert und nach Gutsherr*innenmanier entschieden, wer darauf sich als Frau oder als Mann zu fühlen habe. Ebenso ausgeklammert wird der Aspekt, wo sich der Anteil von Frauen oder Männern bei den Einreichungen zu einer Konferenz bewegt. Gab es beispielsweise zwei Plätze zu vergeben mit 10 Einreichungen von Männern sowie einer Frau, wurden bei paritätischer Verteilung 90 Prozent der Männer abgelehnt, während 100 Prozent der Frauen angenommen wurden. Auf einmal lautet dann die Frage nämlich nicht mehr, warum das fiese Programmkomitee Frauen diskriminiert, sondern warum so wenig Frauen sich ermutigt fühlten, für die Konferenz etwas einzureichen. Während man am ersten Symptom mit einer Quotenregelung noch irgendwie herumfrickeln kann, ist es sehr viel schwieriger, am zweiten Symptom etwas zu ändern.

Die Idee, den Begriff "Geschlecht" vollkommen von biologischen Zwängen abzukoppeln, mag uns auf der gesellschaftlichen Blümchenwiese ein paar verträumte Stunden einbringen, letztlich bettelt diese Idee aber geradezu darum, missbraucht zu werden. Eine Konferenz hat eine Frauenquote? Wunderbar, bei Einreichungen fühle ich meine weibliche Seite immer besonders stark. Zu anderen Anlässen krame ich dann wieder den Mann in mir hervor. Beschwert sich jemand, weise ich entrüstet darauf hin, wie diskriminierend und rückständig es doch ist, Menschen ein für allemal auf ein Geschlecht festlegen zu wollen, ich hätte schon genug darunter zu leiden, die Varianz meiner Identitäten nicht frei leben zu können, und dann werde ich auch noch zutiefst traumatisiert, indem man mir gewaltsam ein Geschlecht aufnötigen wolle.

Es kommen unterhaltsame Jahre auf uns zu.

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