In Nizza fährt ein Mann mit einem LKW in eine Menschenmenge und tötet Dutzende. Nahe Würzburg greift ein Mann in einem Regionalzug mehrere Passagiere an. In München erschießt ein Amokschütze in einem Einkaufszentrum 10 Menschen. In Ansbach sprengt sich auf einem Musikfestival ein junger Mann mit einer Rucksackbombe. Als wenn das nicht reichte, wird inzwischen jede Kneipenschlägerei, die es unter normalen Umständen maximal auf die Lokalseite schafft, zur Schlagzeile bei Spiegel Online hochgejazzt. Die Welt und neuerdings auch unser Land, so ist man sich einig, versinkt im Terror.
Traditionell ist der Sommer eine Jahreszeit, in der die übermäßige Hitze die deutsche Runkelrübe mit geringerer Rechenleistung arbeiten lässt. Das kennt man von seinem Laptop: Kann der Lüfter den Prozessor nicht mehr ausreichend kühlen, fährt das System den Takt runter. Das ist nicht weiter kritisch, wenn man gerade mit der Textverarbeitung rumklimpert, aber sehr gefährlich, wenn man gerade jedes Quentchen Leistung für komplizierte Berechnungen bräuchte - zum Beispiel, wie man mit Terrorismus am besten umgeht.
In Deutschland geschehen etwa 300 Morde pro Jahr, also alle 1,2 Tage einer oder 5 in 6 Tagen. Durch die Anschläge der letzten Tage wird die Zahl in diesem Jahr wohl leicht höher liegen. Bei den regulär Ermordeten hechelt kein CSU-Sicherheitsexperte im Minutentakt neue Forderungen in Mikrofone, wie man dem künftig besser begegnen könnte, aber das nur nebenher. Die Frage ist: Wie kann man künftig solche Anschläge verhindern?
Die Antwort ist ernüchternd: gar nicht. Zumindest nicht, wenn wir dieses Land noch halbwegs wiedererkennen wollen.
Terrorismus ist von seiner ganzen Idee her auf Low-Tech ausgerichtet. Es war immer schon der Kampf der schlecht Bewaffneten gegen die gut Bewaffneten, der Guerilla geen die Armee. Nur ganz selten bastelt sich da jemand etwas wirklich Raffiniertes zusammen, wie wir es aus dem Kino kennen. Meistens sind es einfache Waffen, die man ohne große Schwierigkeiten auf dem Schwarzmarkt bekommt, oder mit Baumarktware gefertigte Sprengsätze. Vor allem die jüngste Taktik des "Islamischen Staats" setzt auf einfachste Mittel, so dass die Vorbereitung einer Tat nicht von einem regulären Einkaufsbummel zu unterscheiden ist.
Eine Axt ist das Standardwerkzeug eines Gartenbesitzers. Wollen Sie jetzt jeden Kaminholzhacker vorsorglich einsperren? Stabile Messer hat jedes Kaufhaus in der Küchenabteilung. Soll jetzt Brotschneiden als Vorbereitung eines Terrorakts gelten? Die Bombe befand sich in einem Rucksack. Als Konsequenz werden jetzt auf größeren Veranstaltungen Rucksackverbote ausgesprochen, was an Idiotie ungefähr der Maßnahme gleich kommt, an Bord von Flugzeugen nur noch Behältnisse mit einem maximalen Fassungsvermögen von 100 ml Flüssigkeit zuzulassen. Besonders bezeichnend finde ich die Reaktion in Deutschland auf den Amokfahrer von Nizza: Da kam nämlich exakt niemand mit der Forderung daher, künftig härtere Führerscheinprüfungen durchzuführen, Ärztliche Atteste vorzulegen, wenn man einen LKW mieten will oder Autofahrer mit lebenslänglicher Haft zu bestrafen, wenn sie in der Tempo-30-Zone zu schnell fahren. Nicht, dass dies irgendetwas brächte, aber sehen Sie sich doch die anderen Forderungen durch. Nein, nein, Autos sind dem Deutschen heilig. Was der Führer mit den Juden gemacht hat, das war nicht so nett, aber Autobahnen hat er gebaut. Wenn man uns ließe, hätten wir einen Mercedes Benz als Bundespräsident und einen Porsche als Kanzler. Deswegen: Amokfahrten - ja irgendwie schon schlimm, aber so sindse halt. Es wäre schön, reagierten die Deutschen auch bei anderen Themen ähnlich entspannt.
Jetzt hat sich dummerweise in München herausgestellt, dass der Täter Deutsch-Iraner war, was praktisch gleichbedeutend mit einer IS-Mitgliedschaft ist, aber mit dem Islam nichts am Hut hatte. Im Gegenteil: Er stand dem rechtsradikalen Umfeld deutlich näher als religiösem Spinnertum. Da lässt sich kein sauberes Feindbild aufbauen. Was bleibt also übrig? Das Internet.
Neuen Dingen und insbesondere dem Internet steht der Deutsche schon traditionell äußerst skeptisch gegenüber. Das Internet mag der Deutsche eigentlich nur dann, wenn er sich darin schön überwachen lassen kann. Bei Facebook zum Beispiel. Von Google. Von Amazon. Beim Pokemon-Jagen. So lange klar ist, dass der Blockwart regelmäßig Meldung bekommt, dass sich alle zackig und vorschriftsgemäß verhalten, ist alles prima. Aber dann gibt es ja noch dieses Darknet. Das DARKNET. DAS DAARRKNETT!
Da können sich die Leute frei bewegen. Einfach so. Ohne Genehmigung. Wo kommen wir da hin? Es soll dort sogar Leute geben, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Obwohl das in ihrem Heimatland verboten ist. Sollen wir so etwas dulden? WOLLEN WIR DAS?
Wenn man Presseberichen glaubt, dann ist es einfacher, im Darknet eine Waffe zu kaufen als auf dem Markt eine Schale Erdbeeren. Nur wer genauer liest, stellt fest, dass man offenbar mehrere Anläufe braucht, weil nicht jeder angebliche Waffenhändler auch einer ist. Die Einen wollen einfach nur das Geld, die Anderen sind Ermittlungsbehörden, die nämlich allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz natürlich im Darknet ermitteln. Warum auch nicht? Ganz so einfach scheint es mit dem Waffenkauf im Darknet also doch nicht zu sein.
Dann kommt die Bezahlung. Die findet mit Bitcoin statt. MIT BITCOIN. Eine Währung, die unabhängig von staatlicher Kontrolle funktioniert und darüber hinaus auch noch anonym ist. Wie Bargeld. Ungeheuerlich. Dass Bitcoin nur bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen echte Anonymität bietet und man, um an Bitcoins zu gelangen, staatliche Währungen auf meist nicht-anonymen Wegen eintauschen muss, wird dabei oft vergessen.
Dann kommt die Lieferung. Im Fall des Münchner Attentäters fand sie über die Packstationen der Deutschen Post statt. ÜBER PACKSTATIONEN. Na gut, die haben Probleme mit gestohlenen Nutzerkonten, aber abgesehen davon ist dieses letzte und entscheidende Glied in der Kette so eindeutig in der Analogwelt mit ihren seit Jahrhunderten immer wieder verfeinerten Ermittlungsmethoden, dass das Narrativ vom rechtsfreien Raum hier beim besten Willen nicht verfängt.
Hoffentlich findet niemand heraus, wie der Mann in das Einkaufszentrum gefahren ist, sonst kramt wieder jemand die an Idiotie kaum noch zu überbietende Forderung heraus, an Bahnhöfen, besser noch an Bushaltestellen, Gepäckschleusen zu errichten.
Selbst für die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung sind sich die Superspezialexperten der CSU nicht zu schade. Sekunde, die haben wir doch schon? Die sollte uns doch aber vor allem Bösen bewahren, wenn uns auch nicht ganz klar ist, wie. Ja, das lag daran, dass sie nicht vorrätig und speicherig genug war. Wenn wir das Pferd totgeritten haben, kaufen wir uns einfach eine größere Peitsche.
Damit es auch denen klar wird, deren IQ gerade einmal zum Union-Wählen reicht: Gegen Küchenmesser, Autos und Rucksäcke hilft kein noch so ausgeklügelter Polizeistaat. Es ist nicht so, als hätten wir nicht 56 Jahre lang ausprobiert, ob uns die totale Überwachung nicht von allem Übel erlöst. Wir haben sogar zwei verschiedene politische Richtungen sich an der Aufgabe versuchen lassen - nur um sicher zu gehen. Am Ende der Versuchsreihe 1989 waren wir uns einig: hat nicht funktioniert. Die Überwachung war zwar so gut, dass wir sogar Leute ins Gefängnis steckten, die den falschen politischen Witz rissen, aber Kriminalität gab es trotzdem. Gesetze sind in erster Linie für die Gutwilligen, die Dummen und die Faulen. Alle Anderen finden immer einen Weg, sie zu umgehen. Natürlich bekommen wir das Darknet irgendwie abgeschaltet oder zumindest den Zugang dazu erheblich erschwert. Die Chinesen zeigen, wie es geht. Das hindert aber niemanden, an den staatlichen Sperrmaßnahmen vorbei dennoch ins Onion-Netz zu gelangen. Was wir (oder die meisten von uns) durch ein Tor-Verbot verlieren, ist eine der letzten Möglichkeiten, frei und anonym zu kommunizieren. Was wir gewinnen ist - nichts. Nicht einmal Sicherheit vor Terroristen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen