E-Mail ist eine Technik, die je nach Rechenweise 20, 30 oder 40 Jahre auf dem Buckel hat. Auf jeden Fall stammt sie aus einer Zeit, in der Computer noch einander vertrauen konnten und in der man notfalls ins Nachbarbüro sprinten oder anrufen konnte, um wirklich wichtige Dinge zu klären.
Die Zeiten haben sich geändert, die hinter der E-Mail stehende Technik hingegen kaum. Das hat allerdings die Leute nicht daran gehindert, Mail als eierlegende Wollmichsau zu missbrauchen und Sachen damit anzustellen, für die das Medium die konzipiert war:
- HTML-Mails ermöglichen es, lustige bunte Bildchen und alle auf einem System installierten Zeichensätze in eine Mail einzubinden, ohne dass der Informationsgehalt dadurch nennenswert stiege. Dafür hat man sich eine herrliche Hintertür für Schadsoftware geöffnet.
- Verschlüsselungstechniken schaffen es wunderbar, den Inhalt einer Mail zu verschlüsseln, die Metadaten einschließlich der Betreffzeile hingegen nicht. Da Metadaten fast genau so viel über eine Kommunikation aussagen wie der eigentliche Inhalt, gibt es kaum Anwendungszwecke, in denen Verschlüsselung einen besonderen Sicherheitsgewinn bringt. Darüber hinaus gibt es mit PGP und S/MIME zwei konkurrierende und miteinander inkompatible Verschlüsselungsstandards, welche die Akzeptanz weiter senken.
- Der weit überwiegende Teil des weltweiten Mailverkehrs ist Spam. Am Anfang des Jahrtausends stand E-Mail kurz vor dem Zusammenbruch, weil die Filterprogramme es einfach nicht schafften, Ordnung in den Postfächern zu halten. Inzwischen hat man die Spamflut wenigstens halbwegs im Griff. Dummerweise ist E-Mail dadurch auch ausgesprochen kompliziert in der Konfiguration geworden und läuft ständig Gefahr, harmlose Mails aufgrund irgendwelcher Anti-Spam-Regeln kommentarlos zu verwerfen. Das mag für Privatpersonen ärgerlich sein. Für Firmen kann es den Ruin bedeuten, wenn wichtige Geschäftskorrespondenz stillschweigend nicht ankommt.
- E-Mail ist kein Dateitransferprotokoll und erst recht kein Ticketsystem. Dennoch wird es dazu benutzt. Irgendwelche Spaßvögel kommen immer wieder auf die Idee, Dateianhänge im mehrstelligen Megabytebereich zu verschicken. Mitunter haben sie keine andere Wahl, weil andere Wege des Datenaustauschs von ihrer hirnbefreiten Netzadministration gesperrt wurden. Das ändert nichts daran, dass E-Mail für diese Datenmengen nicht ausgelegt ist und bestenfalls schlecht als recht damit klarkommt. Ähnlich ist es mit Terminabsprachen, Adressdaten oder Aufgabenanfragen. Ja, ich weiß, es gibt mindestens ein Dutzend Lösungen dafür, aber genau da hängt es auch: Es gibt keinen verbindlichen Standard, sondern lauter inkompatible Nischenlösungen, und vor allem, wer schon einmal mit einem echten Ticketsystem gearbeitet hat, weiß, dass die komischen Aufgabenanfragen in Outlook allenfalls eine nette Konzeptstudie darstellen.
- Selbst das simple Beantworten und Weiterleiten einer Mail stellt die meisten Menschen vor unüberwindbare intellektuelle Hürden. Wie oft bekomme ich Mails mit der Aufforderung: "Kannst du das bitte beantworten?", bei denen meine erste Frage lautet: Ja, was denn überhaupt? Dann sehe ich die Katastrophe: Bildschirmseiten über Bildschirmseiten rängeln sich gegenseitig zitierende und kommentierende Mails, mal mit oben, mal mit unten, mal mit mittendrin eingefügtem Text, da mal ein paar Brocken Deutsch, dort ein paar Zeilen grauenhaft schlechtes Englisch, zwischendrin noch einige Seiten Signaturen (dazu gleich noch). Erwartet der Vollidiot von Absender tatsächlich, dass ich mir den ganzen Quatsch durchlese?
- Um das Medium gänzlich jeder Benutzbarkeit zu berauben, haben irgendwann die Juristen und Marketingschwachköpfe ihr Augenmerk darauf gerichtet. Besonders die Mailsignatur hat es ihnen angetan. Ursprünglich bestand ihr Sinn darin, neben der Mailadresse noch ein paar Kontaktinformationen unterzubringen - nichts, was man mit maximal vier Zeilen Text nicht erzählen könnte. Statt dessen bekomme ich jetzt Mails, die aus einer Zeile Text bestehen, erweitert um eine Signatur, die mich über sämtliche Firmendetails seit Gründung im Jahr 1837 unterrichtet, mich bittet, der Umwelt zuliebe diese Mail nicht auszudrucken und dann zu guter letzt anraunzt, ich hätte diese Mail gar nicht lesen dürfen, weil sie gar nicht für mich gar nicht bestimmt war, und ich hätte mich auf den Einfall eines SWAT-Teams einzustellen, weil der Absender zu doof war, sein Geseier an die richtigen Adressen zu schicken.
Das heißt, für sich genommen funktionieren sie schon, aber der Austausch untereinander hakt immer wieder. Außerdem wollen die Meisten nicht zehn Tools gleichzeitig geöffnet haben, sondern optimalerweise wollen sie eine zentrale Benachrichtigungsstelle, die informiert, wenn irgendwo bei einem dieser Tools etwas erledigt werden muss. Das funktioniert - na, minderprächtig, und deswegen greifen die Leute weiterhin auf Mails zurück, obwohl es streng genommen Dreck ist.
Hoffentlich ändert sich bald daran etwas.
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