Lieber Sascha,
auf der re.publica '14 hast Du es uns mal wieder so richtig gegeben. Wir seien unorganisiert, sagtest Du, ach was: wir haben versagt. Puh, das trifft uns aber.
Neu ist diese Botschaft nicht. Du verkündest sie seit Jahren immer wieder auf der re:publica. Wir sind alle Idioten, wir haben's begriffen. Ohne Dich - wo wären wir da?
Wir wären auch nicht viel weiter. Ja, Du schreibst seit Monaten jede Woche sehr kluge und lesenswerte Artikel bei Spiegel Online. Auch Deine Bücher kann man ohne vorher reingelesen zu haben kaufen. Auch da stehen kluge Dinge drin. Vor allem: Wenn irgendwo eine Zeitung, ein Rundfunksender, eine Fernsehstation jemanden braucht, der ein paar knackige Sätze in ein Mikrofon raunzt, greifen die Journalisten gern auf den allseits bekannten unrasierten Schnurrbartträger mit dem lustigen Irokesenhaarschnitt zurück. Keine Experimente, der Lobo sieht markant aus, kann reden, und außerdem hatten wir den letzte Woche schon mal im Interview.
Für uns alle ist das Netz ein Lebensraum, für Dich im wörtlichen Sinn: Du verdienst Dein Geld hier, genauer: Du lebst davon, über das Netz zu reden. Darin bist Du auch unbestritten gut. Du kommst aus der Werbung, das merkt man. In der Werbung ist es häufig besser, mit irgendwelchem Blödsinn Aufmerksamkeit zu erregen als mit sinnvollen Äußerungen unbemerkt zu bleiben. Das weißt Du auch.
Du hast in den letzten Jahren viele intelligente Dinge gesagt. Du hast Debatten vorangebracht. Dafür mögen wir Dich, und dafür danken wir Dir. Ein wenig aber, scheint mir, ist Dir die Sache zu Kopf gestiegen. Im Januar beispielsweise, als Du verkündetest, Du hättest Dich geirrt. Was hattest Du erwartet? Einen Aufschrei? Um Himmels Willen, Lobo hat sich geirrt. Jetzt können wir einpacken. Das ganze Internet muss neu geschrieben werden. Wenn wir uns auf Lobo nicht mehr verlassen können, worauf dann?
Was soll's, Schlagzeile ist Schlagzeile, und ein bezahlter Artikel ist ein bezahlter Artikel. Womit wir bei Deinem diesjährigen re:publica-Vortrag wären, der sich, wenn ich es so sagen darf, nicht wesentlich von denen der Vorjahre unterschied. Mittendrin ein wenig knallige Publikumsbeschimpfung, drum herum die Litanei, wir, die "Netzgemeinde" stellten uns wie die letzten Deppen an, und nur Du, Sascha, seiest Profi genug, aber es langsam leid, für uns immer wieder den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Professioneller sollten wir werden, mehr Geld in den Netzaktivismus pumpen.
Mehr Geld - Du meinst nicht etwa die mehr als 500 €, die mich der Besuch der re:publica mit Anreise, Übernachtung, Eintritt und Verpflegung kostet? Ich weiß, für Dich sind das Erdnüsse, zumal für Dich als im hippen Berlin wohnender Referent diese ganzen Kosten nicht anfallen, sondern im Gegenteil diese Veranstaltung wegen der Eigenwerbung und der vielen sich daran anschließenden Aufträge sogar noch Gewinn abwirft, aber es gibt Leute, die für diesen Betrag mehrere Monate arbeiten müssen. Solche Leute haben wohl, um es mit deinen Worten auszudrücken,"versagt". In den Achtzigern gab es dafür den schönen Satz: "Eure Armut kotzt mich an."
Wir sollen uns professionalisieren, forderst Du. Es mag Dich nicht aufgefallen sein, weil Deine Vermarktungsmaschine perfekt läuft, aber: Genau das versuchen viele von uns. Leider bietet der Markt nicht viel Platz. Von Internetaktivismus können nur sehr wenige leben. Du offenbar. Markus Beckedahl gerade einmal so. Tim Pritlove und Michael Seemann auch, aber nicht gerade üppig. Dann wird es aber auch schon schnell dünn. Padeluun hat einen beträchtlichen Teil seines Privatvermögens in digitalcourage gepumpt, und selbst bei dieser altehrwürdigen Institution kann von Reichtum keine Rede sein. Die meisten von uns engagieren sich als Freizeitaktivität - teilweise, weil die großen kommerziellen Platzhirsche wie Du ihre Reviere bereits markiert haben, teilweise aber auch als bewusste Entscheidung. Wir wollen gar nicht davon abhängig sein, unser Gesicht von einer Unterhaltungssendung zur nächsten tragen und Honorar dafür kassieren zu müssen. Wir sind so zufrieden, wie es läuft, und so organiseren wir eine Podiumsdiskussion nach der anderen, richten Demonstrationen aus, veranstalten Datenschutzseminare, wühlen uns durch Gesetzesvorlagen, sprechen mit Abgeordneten, betreuen Informationsstände, unterrichten IT-Sicherheit - alles gratis. Oft genug legen wir sogar drauf. Aus Deiner Sicht ist das freilich nichts wert, denn nur wenn man für seine Arbeit Geld nimmt, mit anderen Worten: sich professionalisiert hat, kann man ernst genommen werden. Für uns aber ist es völlig selbstverständlich, sich in der Gesellschaft, in der man lebt, zu engagieren - in der analogen so wie in der digitalen.
Du hast Deinen Weg gefunden, in der Netzwelt zu überleben, wir unseren. Dein Weg ist gut, die Ergebnisse stimmen, und wir respektieren Dich dafür. Wir wissen selbst gut genug, dass es im Netzaktivismus Aufgaben gibt, die so aufwendig sind, dass man dafür bezahlt werden muss - schlicht, weil man andernfalls nicht die Zeit dafür aufbringen kann. Dass alle ein funktionierendes Internet haben wollen, aber kaum jemand bereit ist, dafür auch Geld in die Hand zu nehmen, ist ärgerlich, aber ganz offensichtlich ändert es auch nichts, wenn man sich Jahr für Jahr anlässlich der re:publica auf die Bühne stellt und den Leuten erzählt, wie unfassbar doof sie sind.
Im Gegenteil - es langweilt.
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