Auf Twitter las ich vor einiger Zeit die Nachricht: "Deutschland ist, wenn neben dem Container für Grün-, Weiß- und Braunlglas einsam eine kleine, blaue Flasche steht." Treffender kann man es nicht schreiben.
Das Irre ist nur: Die meisten Leute finden das nicht komisch, das ist für sie ein ernsthaftes Problem. Suchen Sie im Internet nach dem Einleitungssatz dieses Artikels, und Sie finden reichlich, lange und engagierte Forendiskussionen zu genau diesem Thema.
Können Sie sich noch erinnern, wie seinerzeit die Mülltrennung eingeführt wurde? Natürlich gab es den üblichen Proteststurm, wie immer, wenn der Deutsche auch nur marginal seinen zwanghaften Lebensstil ändern muss. Auffällig war nur: Die Aufregung legte sich schneller als sonst, bot die Neuerung dem Deutschen doch das, was er immer schon liebte: die Möglichkeit zu sortieren. Selektieren, Gutes von Schlechtem trennen, Kategorien finden und Dinge dort einordnen, bloß kein Durcheinander, das liebt der Deutsche, egal, welcher sozialen, politischen oder ethischen Strömung er sonst angehört. Erinnern Sie sich noch, als die Piraten ihre ersten lautstarken Gehversuche auf der politischen Bühne unternahmen? Ja, natürlich ging es da auch ein wenig um Inhalte, aber was vor allem geklärt werden musste, war die Frage: Sind die nun links oder rechts? Sehen Sie sich an, was passiert, wenn politische Ämter zu vergeben sind. Am Rande kümmert man sich auch etwas darum, ob die Kandidaten etwas können, aber viel wichtiger ist doch: Mann oder Frau? Ausländer oder Deutscher? Ostdeutsch oder westdeutsch? Evangelisch oder Katholisch? Bayer oder Franke? Homo oder hetero? Erst wenn die Quote geklärt ist, kümmert man sich um Nebensächlichkeiten wie politische Programme.
Die Mülltrennung traf also mitten in die deutsche Volksseele hinein. Neue Mülltonnen wurden angeschafft - Ordnung muss sein. Merkblätter wurden herausgegeben, in denen genau geschildert wurde, wie der wertvolle Sekundärrohstoff zu behandeln sei: Schraubverschlüsse müssen selbstverständlich von den Flaschen runter, bevor sie im Container landen. Anders ist es bei Pfandflaschen, da muss der Verschluss drauf bleiben, um das Gewinde zu schützen. Joghurtbecher - ganz wichtig! - vorher auswaschen. Man kann den Müllmännern ja keinen dreckigen Müll zumuten. Ich möchte lieber nicht wissen, wieviele Kubikkilometer Spülwasser jedes Jahr bei der Reinigung von Joghurtbechern entstehen - der Umwelt zuliebe. Hat eigentlich jemals jemand darüber nachgedacht, was passiert, wenn man so einen Becher einschmilzt? Glauben Sie mir, das sind Temperaturen, bei denen etwas angekrustete Milch keine Chance hat. Davon abgesehen: Wissen Sie, was passiert, wenn die Müllwagen in die Abfallbetriebe fahren? Die sortieren den Kram, aber diesmal richtig.
In den späten Achtzigern, da mag die Vorsortiererei noch ansatzweise Sinn ergeben haben, und selbst da habe ich Glascontainer gesehen, die außen drei verschiedene Einwurflöcher, drinnen aber keine Trennwände besaßen. Ich hatte vor einem Jahr die Gelegenheit, mit einem relativ weit oben sitzenden Mitarbeiter unserer örtlichen Müllbetriebe zu reden. Wissen Sie, was der sagte: "Gelbe, blaue, braune, graue Tonne - alles Unsinn. Sie können getrost alles zusammenkippen, wir kriegen das schon getrennt. Wir planen sogar, diese ganzen verschiedenen Tonnen abzuschaffen und nur noch eine hinzustellen." Warum das nicht geschieht? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich, um die Massenpanik zu vermeiden, die ausbricht, wenn der Deutsche nicht mehr sortieren darf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen