Doch lassen wir den Taten Worte folgen. Die Pressemitteilung beginnt:
Brüssel stellt gar nichts in Frage. Es sind unter anderem deutsche Datenschützer, die nach ihrem Teilerfolg vor dem Bundesverfassungsgericht versuchen, die Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene zu kippen. Die Botschaft dieser leichten Verwechslung von Ursache und Wirkung ist daher: Ihr weinerlichen Alemannen und Terroristenfreunde, lasset alle Hoffnung fahren, die Feste Brüssel wanket nicht."Es ist ein fataler Trugschluss zu glauben, Brüssel würde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich in Frage stellen."
Wenn es wirklich so unbestritten ist, frage ich mich, was der FoeBuD, der CCC, die Humanistische Union, die DVD, Teile von Grünen und der FDP, die Piratenpartei, diverse Landes- sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in den letzten Jahren für ein Theater veranstaltet haben. Es mag ja sein, dass sich die Abgeordneten Krings und Weber einig sind, aber über 34.000 Beteiligte an der größten Verfassungsklage seit Bestehen der Bundesrepublik sind nicht das, was man sich gemeinhin unter "völlig unbestritten" vorstellt."Es völlig unbestritten, dass die Vorratsdatenspeicherung ein notwendiges und geeignetes Mittel ist, um schwere Straftaten, Organisierte Kriminalität und Terrorismus zu verfolgen."
Nur weil juristische Texte in zähem Deutsch verfasst sind, sollte man nicht darauf vertrauen, dass sie ohnehin keiner liest und munter behaupten, was einem gerade in den Kram passt. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts war es, über die Verfassungsmäßigkeit einer bestimmten Ermittlungstechnik zu entscheiden. Wäre der Fortbestand unserer Zivilisation in der behaupteten Weise bedroht, hätten die Karlsruher Richter in einer Güterabwägung die Vorratsdatenspeicherung für rechtmäßig erklärt. Ganz so zweifelsfrei kann die Feststellung also nicht sein. Wer es anders sieht, möge die genaue Stelle in der Urteilsbegründung nennen."Dies hat das Bundesverfassungsgericht ohne jeden Zweifel festgestellt!"
"Es hat lediglich höhere Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit vorgeschrieben."
Vielleicht hat die CDU ja auch ein ganz anderes Urteil gelesen. In der mir vorliegenden Kopie heißt es nämlich: "Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden." Das ist mehr als einfach nur ein bisschen Herumgeschraube an der Panzertür, hinter der man die Magnetbänder wegschließt. Das geht ans Wesen des bisherigen Gesetzestextes.
"Daher kann jetzt das Gesetz unverzüglich entsprechend nachgebessert werden."
Da ist er wieder, der blinde Aktionismus, der spätestens seit 2001 an die Stelle besonnenen und nachhaltigen Handelns getreten ist. Wie oft muss man denn noch von Deutschlands obersten Richtern die laienhaft zusammengeschmierten Gesetzesimitate um die Ohren gehauen bekommen, bis man endlich begreift, dass Gesetze nicht hastig zwischen zwei Linien Koks auf der Bundestagstoilette hingehuddelt werden sollen?
"Damit kommt Deutschland auch seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie nach."
Der Trick ist alt, nennt sich "über Bande spielen" und funktioniert so: Eine Regierung will ein Gesetz verabschieden und stellt es im eigenen Land zur Diskussion. Ein Sturm der Entrüstung erhebt sich. Selbst üblicherweise regierungstreue Experten sind sich einig: Man hat ja schon viel Blödsinn aushalten müssen, aber dieses Gesetz schaffe es souverän, die bisherigen Eseleien in den Schatten zu stellen. Angesichts dieses Gegenwinds beschließt die Regierung, das Vorhaben scheinbar einzustampfen. "Wir haben verstanden" heißt es medienwirksam, und leise fügt man hinzu "dass wir auf demokratischem Weg das Gesetz nicht durchgesetzt bekommen und wir deshalb nach Brüssel gehen müssen." Noch während der Pressekonferenz saust schon ein Regierungsvertreter zum EU-Ministerrat, im Gepäck das gerade grandios gescheiterte Gesetz. Im Ministerrat wiederum sieht die Angelegenheit schon viel entspannter aus. Hilfst du mir bei meinem, helfe ich dir bei deinem Unsinnsgesetz, heißt es, und wenn sich der Regierungsvertreter beeilt, schafft er es, noch vor Ende der Pressekonferenz wieder in Berlin zu sein, um dort mit Dackelblick zu verkünden, man stimme den Kritikern zu, das neue Gesetz sei der letzte Blödsinn, aber da sei diese zutiefst ärgerliche EU-Richtlinie mit zufälligerweise dem gleichen Wortlaut, und man habe nun leider keine andere Wahl, man müsse dieses Gesetz in Kraft treten lassen. Um eine Vorstellung zu vermitteln, wie dringend "müssen" in Wirklichkeit ist: Erich Möchel zufolge liefen Ende 2009 fünfzig Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich. Haben Sie irgendwo gelesen, dass die EU kurz davor ist, in Österreich einzumarschieren, um die renitente Ostmark zur Raison zu bringen?
Falls Sie glauben, das europäische "Über-Bande-Spiel" sei ein Hirngespinst: Ist es nicht ein erstaunlicher Zufall, dass die EU-Kommission just in dem Moment, da das Internetzensurgesetz in Deutschland auf der Kippe steht, mit einem Vorstoß für einen europaweiten Ansatz kommt?
"Es kann nicht hingenommen werden, völlig tatenlos zuzusehen, dass etwa widerliche Straftaten wie die in Internetblogs beschriebene Vergewaltigung eigener Kinder über die Auflösung der IP-Adresse nicht mehr verfolgt werden können."
Die hier getroffene Unterstellung ist derart weit von der Realität entfernt, dass ich mich frage, ob die Herren Krings und Weber so dumm sind, dass sie selbst die niedrigen Ansprüche unseres Landes arg strapazieren, oder ob sie mit einer ans Kriminelle grenzenden Dreistigkeit lügen. Damit es auch der Letzte merkt: Natürlich speichert Ihr Internetanbieter in diesem Moment Ihre IP-Adresse. Er merkt sie sich nur nicht für ein halbes Jahr. Vor allem merkte er sich selbst zu Zeiten des gekippten Gesetzes eines nicht: die von Ihnen aufgerufenen Internetadressen. Wenn man Ihnen also ein Verbrechen nachweisen will, brauchte und braucht man neben den Verbindungsdaten des Internetanbieters eine Protokolldatei des Servers, auf dem Sie vermeintlich zugange waren, in der die IP-Adressen der zugreifenden Rechner standen. Ohne diese Datei kann Ihr Internetanbieter Vorratsdaten speichern, bis ihm die Platte überquillt - sie nützen den Behörden nichts.
Interessant ist auch der rhetorische Kniff, der bei Argumentationen dieser Art gern angewendet wird: geblufftes Expertenwissen. Gerade Ziercke und von der Leyen fabulieren munter drauflos, wenn es darum geht, in plastischen Bildern die Gefahren des Internet zu schildern. Dabei ist es völlig egal, dass die Realität deutlich langweiliger daher kommt, wichtig ist nur die Botschaft: "Das Internet bedroht auch dich, lieber Wähler, aber unsere Superhelden können dich retten. Hör nicht auf die zotteligen Typen vom CCC, die immer so ein kompliziertes Zeugs reden. Du verstehst es nicht, wir verstehen es nicht, also vergessen wir es." Diesmal verbreiten sich Kindesmissbraucher also in "Internetblogs" - womit einmal mehr der Nachweis geführt wäre, dass dieses "Web 2.0" Teufelszeug ist. Erst bedrohen die Blogger mit ihren Artikeln die armen Zeitungen, und wenn sie damit fertig sind, vergewaltigen sie ihre Kinder. So einfach kann die Welt sein, wenn man sie mit den Augen der CDU sieht.
"Andere Wege, so auch der BKA Präsident Jörg Ziercke, stehen schlechthin nicht zur Verfügung."
Wenn man Experten zitieren möchte, dann sollte man am besten auch einen Experten hinzuziehen, nicht jemand, der von seinem Dienstherrn bescheinigt bekam: "Es ist so aufwändig, dass der Chef des Bundeskriminalamts, der Herr Ziercke, der versteht e bissel was davon." E bissel? E bissel versteht jeder Informatiklehrer was vom Internet. Wenn ich Eingriffe in die Menschenrechte fordere, wäre "sehr viel was davon verstehen" ein angemessener Anspruch an einen Experten. Statt dessen bemüht man einen klangvollen Namen, den Chef des Bundeskriminalamts, der in der Vergangenheit vor allem durch rhetorische Tricksereien und nicht durch besondere Sachkunde auffiel.
"Daher muss diese Schutzlücke schnellstmöglich geschlossen werden."Erneut erfolgt der Griff in die sprachliche Werkzeugkiste. Eine Lücke hat sich aufgetan. Blank und schutzlos liegt das deutsche Volk da. Durch die Lücke hindurch strömen "schwere Straftaten, Organisierte Kriminalität und Terrorismus" und fallen über uns her. In einer solchen Situation darf man nicht lang nachdenken, erst recht keine Zeit damit verschwenden, sich an die Verfassung zu halten, nein, da muss man schnell von drinnen was dagegen nageln - hastig, hässlich, stümperhaft, auch nicht unbedingt lange haltbar, Hauptsache, man bekommt die Lücke irgendwie geschlossen. "Schnellstmöglich" eben. Sie kennen so etwas vielleicht, wenn der Glaser eine kaputte Fensterscheibe mit einer Notverglasung versieht, deren einzige Funktion darin besteht, so lange eine geschlossene Fläche wieder herzustellen, bis eine richtige Scheibe zur Hand ist. Für Fenster mag dies auch eine sinnvolle Taktik sein, aber in der Politik schafft man Gesetze für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Da klebt kein Herr Krings auf die Schnelle ein Hilfsgesetz hin, das nur so lange halten muss, bis ein richtiger Politiker vorbei kommt und die Sache richtig formuliert.
"Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein." Ist es das, was die beiden Abgeordneten sagen wollen, aber nach einer anderen Formulierung suchen, weil die alte hoffnungslos überstrapaziert wurde? Niemand stellt eine solche Selbstverständlichkeit in Frage, aber indem man sie nennt, erweckt man den Eindruck, als gäbe es hier ein Defizit. Mal sehen, ob ich das auch kann:"Unsere Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass der Staat sie schützt und mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen schwere Straftaten wirksam vorgeht."
Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihre gewählten Volksvertreter sorgfältig ausgearbeitete Gesetze verabschieden, die sich an die im Grundgesetz garantierten Menschen- und Bürgerrechte halten.
1 Kommentar:
trefflich geschrieben!
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