In den kommenden Wochen wird das Gejammer wieder groß sein, wie es dem Totalitarismus gelingen konnte, die Macht zu übernehmen, wo linke Politik doch so eindeutig die Vorzüge des Liberalismus zeige, und genau hier möchte ich ein paar Zähne ziehen. Nichts haben wir gezeigt – außer vielleicht, dass sich mit Selbstgerechtigkeit und Herumschreien allenfalls die eigene Minderheitenklientel versorgen, keinesfalls jedoch die Masse überzeugen lässt.
Das Drama begann im Jahr 2017. Im Vorfeld des 34. Chaos Communication Congress in Leipzig wurden Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen eine Person laut. Die Congress-Organisation reagierte konfus, lud erst die eine, dann die andere, eventuell auch beide Beteiligte von der Veranstaltung aus. Am Ende stand das mutmaßliche Opfer vor den Messetoren, wurde nicht eingelassen und verfasste einen meterlangen Twitter-Thread, in dem sie der Welt ihr Leid klagte. Schon da wäre die Frage angemessen gewesen, ob Twitter das optimale Medium für solche Anlässe ist, aber immerhin schaffte es das Thema in die taz, die das planlose Vorgehen verschiedener Teile des Vereins kritisierte.
Konsequenzen
Der CCC hatte daraus gelernt und eine Schiedsstelle eingerichtet, die in solchen Fällen das einzige und ultimativ entscheidende Gremium ist. Um Streitigkeiten nicht vereinsintern breitzutreten, behandelte die Schiedsstelle vertraulich und kommunizierte nur die wichtigsten Rahmendaten nach außen. Mit klaren Regeln, hoffte der Verein, sollte für künftige Streitfälle ein für alle Betroffenen akzeptables Vorgehen gefunden sein,
Die Hoffnung trog. Sieben Jahre und eine Pandemie später sollte das Veranstaltungsverbot für den mutmaßlichen Täter auslaufen. Das mutmaßliche Opfer wollte das nicht stehenlassen und wandte sich an die Schiedsstelle. Diese beschloss, dass die vorgebrachten Anschuldigungen für ein Veranstaltungsverbot nicht ausreichten, verfügte aber der mutmaßliche Täter dürfe sich dem mutmaßlichen Opfer nicht nähern. Dem mutmaßlichen Opfer ging das nicht weit genug, weshalb es sich mit einer Gruppe namens „Keine Show fürTäter Hamburg“ zusammenschloss, das zu diesem Thema eine Instagram-Story verfasste.
Eine Instagram-Story.
Geht es noch nischiger? Natürlich ist Instagram ein relevantes Medium – für eine bestimmte Altersgruppe mit einem bestimmtem Mediennutzungsverhalten, aber sicher nicht für den kritisierten CCC, dessen Mitglieder schon mit Twitter nie ganz warm wurden und traditionell die kommerziellen Social-Media-Monolithen meiden. Auf Instagram eine Kampagne gegen eine Entscheidung der CCC-Schiedsstelle loszutreten, ist etwa so, als stelle ich mich auf dem Düsseldorfer Rathausplatz auf, um dort die Kölner Stadtregierung zu kritisieren. Selbst wenn ich auf diese Weise in Düsseldorf Reichweite erzielen sollte, was selbst dort zweifelhaft ist, wenn ich meine Veranstaltung nicht ausreichend ankündige, ist es wenig wahrscheinlich, dass jemand in Köln von der Sache erfährt, und selbst wenn das der Fall sein sollte, wird kaum jemand aus Köln nach Düsseldorf fahren, um dort mit mir auf dem Rathausplatz zu diskutieren. Wer so vehement die Nicht-Kommunikation sucht, muss sich fragen lassen, ob sie entweder einige grundlegende Regeln der Zielgruppenansprache nicht verstanden hat oder eigentlich nur den Ruhm der eigenen Blase sucht. Dass es vor allem um Selbstversorgung und nicht Diskurs geht, deutet das gesamte Umfeld an. Weder wird klar, wer überhaupt hinter den teils strafrechtlich relevanten Anschuldigungen steht, noch gibt es für Außenstehende die Möglichkeit, auch nur eine der Aussagen selbst zu prüfen. Hier zeigt sich ein linkes Narrativ, das ebenso sinnvoll wie gefährlich ist: Das Opfer bestimmt, was die Tat ist.
Ein richtiger Gedanke, der trotzdem nicht funktioniert
Im Fall eines sexuellen Übergriffs erscheint diese Forderung nur gerechtfertigt. Immerhin zieht jede ihre Grenzen anders. Hinzu kommt, dass es außer den beiden Tatbeteiligten nur in sehr wenigen Fällen Zeuginnen gibt und das Opfer sich auf einmal rechtfertigen muss, warum es den Täter überhaupt bezichtigt. Dem Opfer diese weitere Erniedrigung ersparen zu wollen, erscheint mir nur angebracht.
Auf der anderen Seite stellt sich aber auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Die Instagram-Story selbst gibt zu, dass die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft nicht ausreichten. Nun ließe sich argumentieren, die CCC-Schiedsstelle sei keine staatliche Ermittlungsbehörde und dürfe durchaus auf moralischer statt rein juristischer Basis urteilen. Immerhin darf auch Jacob Appelbaum nicht auf den Congress, auch wenn kein rechtskräftiges Urteil gegen ihn ergangen ist. Meines Wissens hat hier allerdings nicht die Schiedsstelle entschieden, sondern es gab nur eine deutliche Ausladung mit der verbundenen Hoffnung, Appelbaum möge sich daran halten und es nicht zum Eklat kommen lassen.
Im Fall der auf Instagram nur als „X“ benannten Person kam die Schiedsstelle offenbar zum Ergebnis, dass von der auf Instagram nur als „Y“ bezeichneten Person keine ein Veranstaltungsverbot rechtfertigende Gefahr für die 14.500 Besucherinnen des Congress ausginge und es deshalb reichen müsse, die beiden gingen sich aus dem Weg. Die genauen Hintergründe bleiben im Dunkeln, da die Schiedsstelle nicht mehr sagen darf und der Rest des Vereins genauso wenig weiß wie die restliche Öffentlichkeit. Einzige Informationsquelle sind ein taz-Artikel aus dem Jahr 2017 sowie ein weiterer aus dem Jahr 2024, der ebenfalls auf die äußerst dürftigen Angaben in der Instagram-Story verweist.
Verpasste Chance
So funktioniert aber Öffentlichkeitsarbeit nicht. So verständlich der Wunsch scheinen mag, sich selbst als auch „X“ vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen – wer mit solchen Behauptungen zu überzeugen sucht, muss Fakten liefern. Einfach eine vor Empörung zitternde Instagram-Story zu posten und von den Leserinnen zu verlangen, das einfach so zu glauben, immerhin sei der Drama-Button bis zum Anschlag durchgedrückt, ist schlicht zu wenig.
Schlicht ist ein gutes Stichwort, denn damit lässt sich gut der Geisteszustand derer beschreiben, die den CCC-Jahresrückblick nutzten, um es der Vergewaltigerbande vom Club mal so richtig zu zeigen. Da standen sie nun auf der Bühne, die ohnehin schon durch Masken verhüllten Gesichter hinter einem Transparent „Betroffenen glauben!“ versteckend und Flugblätter ins Publikum werfend. Vom Moderator nach ihrem Anliegen gefragt, kam: „Der CCC schützt offen Täter und glaubt betroffenen Personen nicht. Deswegen sind wir hier. Ihr habt es alle gesehen und ihr könnt es euch alles auf Instagram durchlesen.“
Nein, das können wir eben nicht, weil da nichts Greifbares steht. Auch die Flugblätter liefern keine brauchbaren Angaben. Das Einzige, was das Grüppchen auf der Bühne zu bieten hatte, war die Parole: „F* die Schiedsstelle!“ Mit Verlaub, wenn ich plane, eine Veranstaltung zu sprengen, sollte ich etwas weiter als bis zu dem Moment gedacht haben, an dem ich mit meinem Stofffetzen auf der Bühne stehe. Was hatten diese Leute erwartet? Glaubten sie, dass die bisweilen für ihre rustikale Vorgehensweise bekannte Veranstaltungs-Security sie binnen Sekunden von der Bühne prügeln wird? Das ist Quatsch, denn dafür steht der Club grundsätzlich der in der Aktion geäußerten Kritik zu aufgeschlossen gegenüber. Das bestätigt auch der Umstand, dass die Security am Ende des Jahresrückblicks das Flugblatt vorlas – auch wenn dies nicht viel zur Erhellung beitrug.
Zielgruppenansprache
Genau hier zeigt sich in meinen Augen ein linkes Kommunikationsdefizit. Statt uns in die Zielgruppe hineinzuversetzen und zu überlegen, welche Informationen sie braucht, um unsere Botschaft zu verstehen, verlangen wir von ihr, sich auf eigene Faust ausgiebig mit dem Thema zu beschäftigen, um von uns als diskursfähig angesehen zu werden. Wir verfassen ganze Webseiten, auf denen wir das Schwurbelvokabular aufführen, dessen sich unser Gegenüber zu befleißigen hat. Wir stellen uns auf eine Bühne in einem Saal mit 4.000 Menschen und erwarten von ihnen allen Ernstes , über irgendwelche Vereinsinterna des CCC informiert zu sein, die selbst im Club nur eine Handvoll Leute kennt, und wenn wir dann sogar die Chance bekommen, den 4.000 Menschen plus Tausenden Externen im Stream plus vielen Tausenden, die später die Aufzeichnung ansehen werden, zu erklären, worum es geht und uns nicht mehr einfällt außer „Ja, pff, lies doch gefälligst Instagram“, ist das eine Kommunikationskatastrophe. Ich kann dann nicht glaubhaft behaupten, mir wäre es darum gegangen, mein Anliegen zu vermitteln und nicht etwa darum, mir von meiner Sektierergruppe Fleißbienchen heften zu lassen.
Genau das hat aber der politische Gegner viel besser als wir drauf. Um rechte Thesen zu begreifen, brauche ich kein Fachvokabular. Sie liefern genügend Kontext. Sie verlangen von mir keine lange Beschäftigung mit einem komplexen Theoriegeflecht, bevor sie mich als ihrer würdig erachten. Nun sollte es nicht unser Ziel sein, populistisch zu werden, aber es gibt noch eine Stufe zwischen arroganter Abgehobenheit und Toilettentürparolen. Jede Zeitung, jeder Fernseh- oder Nachrichtensender muss die Kunst beherrschen, in Sekunden dem Publikum alles fürs Verständnis Nötige zu liefen. Das ist keine Anbiederung, das ist das Grundhandwerk öffentlicher Kommunikation, das ist Wertschätzung meines Gegenübers. Weil du mir wichtig bist, weil ich von dir wahrgenommen werde, drücke ich mich dir verständlich aus.
Wenn wir das Allerschlimmste abwenden wollen, sollten wir das lernen. Jetzt.
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