Samstag, 11. Februar 2023

Spielverderben als Argumentersatz

Den Hype um Harry Potter habe ich nie ganz verstanden. Ja, die Bücher gefielen mir, aber die Anleihen bei anderen Fantasy-Werken waren mir zu deutlich. Die ständigen Wutausbrüche Harry Potters gingen mir auf die Nerven, ebenso Harrys Stiefeltern, die sich über sechs lange Jahre hinweg keinen Millimeter weiterentwickeln, obwohl sie reichlich Anlass dazu hätten. Selbst der von vielen Fans geliebte Severus Snape bleibt seltsam statisch, und die am Ende gelieferte Erklärung reicht mir nicht aus. Auch die Filme sind weit davon entfernt, mich zu überzeugen. Optisch mögen sie überwältigen, aber das entschädigt in meinen Augen nicht für das - Entschuldigung - mittelmäßige Schauspiel Daniel Radcliffes und einige stümperhafte Schnitte mit resultierenden Handlungssprüngen, die ohne Kenntnis der Bücher nicht verständlich sind. All das führten bei mir zu einer ambivalenten Haltung dem Harry-Potter-Universum gegenüber. Ich fand es interessant und unterhaltsam, ein echter Potterhead war ich aber nie.

Entsprechend egal war mir auch immer die Autorin Joanne K. Rowling, der ich den Erfolg zwar gönne, sie aber nicht für eine handwerklich überragende Schreiberin halte. Sie hat eine gute Idee ordentlich heruntergeschrieben, aber nicht mehr. Was den Aufbau einer interessanten und konsistenten Welt angeht, sehe ich sie eher im Mittelfeld.

Deswegen konnte ich nie die Aufregung um ihre Person verstehen. Was schlug ihre Fanbase Purzelbäume, als Rowling verkündete, Dumbledore sei homosexuell. Ja und? Soll er sein. Weder in den Büchern, noch in den Filmen spielt dieser Umstand eine Rolle. An der Handlung hätte sich nicht das Kleinste geändert, wäre Dumbledore heterosexuell gewesen. Erst in den "Phantastischen Tierwesen" wird es thematisiert und beeinflusste einige Entscheidungen.

Aus diesem Grund lässt mich auch vollkommen kalt, was Rowling zum Thema Transpersonen zu sagen hat. Es ändert nicht das Geringste an ihren Büchern. Vor allem ändert es nicht an den Menschen, die sie lesen, die Filme sehen und - jetzt kommt mein eigentliches Anliegen - die Computerspiele spielen.

Es ist wahr, dass Rowling an allem mitverdient, was irgendwie mit den Harry-Potter-Erzählungen in Zusammenhang steht. Es ist wahr, dass sich Rowling in der Vergangenheit transfeindlich geäußert hat. Daraus aber zu konstruieren, dass ich mit dem Kauf eines Hogwarts-Videospiels Transphobie unterstütze, ist sachlich etwa so begründet wie die Behauptung, mit jedem Bahnticket Rassismus zu finanzieren, weil aus rein statistischen Gründen etwa 10 Prozent der DB-Belegschaft die AfD wählen.

Selbst wenn mich Rowlings Äußerungen so abstoßen, dass ich keine Harry-Potter-Sachen mehr kaufen möchte - was meine freie Entscheidung ist -, so gibt mir dies nicht das Recht, anderen vorzuschreiben, wie sie zu handeln haben. Meinen eigenen moralischen Kompass zum Gardemaß aller zu erheben, demonstriert genau die Intoleranz, die zu bekämpfen ich gerade vorgebe. Umso peinlicher, bemitleidenswerter und erbärmlicher finde ich die Kampagne, die gerade auf Mastodon abgeht - dem Medium, dessen Nutzerinnen nicht müde werden, zu betonen, wie wahnsinnig tolerant, respekt- und rücksichtsvoll sie miteinander umgingen, ganz anders als auf dem bösen Twitter, wo sich die ganzen Hater herumtreiben. Wenn sie schon nicht andere Leute daran hindern können, das Videospiel zu kaufen, so denken sie, wollen sie ihnen zumindest den Spaß daran verderben, und so plaudern sie wichtige Details des Plots verbunden mit der Bemerkung aus, was sie den Leuten an den Hals wünschen, die das Spiel kaufen wollen.

So funktioniert ein Boykott nicht. So funktioniert demokratischer Diskurs nicht. Natürlich steht es mir zu, aus moralischen Gründen etwas nicht finanziell unterstützen zu wollen, und natürlich darf ich auch versuchen, andere zu überzeugen, sich mir anzuschließen. Um das zu erreichen, muss ich allerdings Argumente benutzen, und wenn die nicht verfangen, muss ich entweder an meiner Diskussionsweise arbeiten, oder ich muss einsehen, dass mein Standpunkt nicht überzeugt - egal, wie gut ich dafür streite. An diesem Punkt auf die Trotzreaktion zu verfallen, wenn ich schon den Verkauf nicht verhindern kann, dann wenigstens den Leuten den Spaß zu verderben, dokumentiert vor allem ein: die Unfähigkeit, überzeugen zu können.

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