Donnerstag, 17. November 2022

Migrationsmythen

Die strategischen Popcornreserven neigen sich angesichts der Nachrichten über Twitter bedrohlich dem Ende zu. Elon Musk fräst sich durch mit einer Grobschlächtigkeit durch das Unternehmen, zu der im Vergleich Donald Trump wie ein sensibler Feingeist wirkt. Seine letzte Eskapade besteht in Mails, in denen die Angestellten aufgefordert werden, massiven Überstunden aktiv zuzustimmen und alles Andere als Kündigung gelte. Die Plattform kollabiert derzeit mit einer Geschwindigkeit, welche die Frage aufkommen lässt, ob Twitter eine Seifenblase war und Musk sie nur zum Platzen brachte, oder ob Musk einfach nur ein Dummkopf ist, der selbst das solideste Unternehmen ruiniert, wenn ihn nicht seine Beraterinnen gewaltsam daran hindern. Gleichzeitig tritt die Twitter-Alternative Mastodon aus ihrem jahrelangen Nischendasein heraus. Ist Twitter dem Untergang geweiht, Mastodon die Nachfolge, und werden wir uns alle in einem Monat dort alle wiedersehen? Ich bin mir nicht sicher.

Noch ist nichts entschieden.

Natürlich lesen sich die Schlagzeilen über Twitter beeindruckend. Musk feuert die Belegschaft. Dann geht ihm auf, dass irgendwer noch die Arbeit erledigen muss. Also schreibt er einen Teil der Leute an, das sei alles nur Spaß gewesen. Musk will den blauen Haken, der eine Identitätsprüfung anzeigt, an eine Gebühr koppeln - ohne Identitätsprüfung. Große Werbekunden springen ab. In Panik versuchen die Banken, ihre Kredite loszuwerden - mit zum Teil abenteuerlichen Abschlägen. Musk agiert dabei derart erratisch, dass ich mich frage, wie er mit so wenig taktischem Gefühl jemals wirtschaftlich so erfolgreich sein konnte. Verzweifelte Rettungsversuche, die alle fehlschlagen, könnte ich noch verstehen, aber die Zielsicherheit, mit der er im Moment die selbst für Laien als offenkundig idiotischste erkennbare Option auswählt, nur um nach kurzer Zeit panisch zurückzurudern, überrascht mich. Ist das vielleicht das erste Mal, dass er nicht einfach den Erfolg verwalten, sondern echtes Krisenmanagement betreiben muss? Es scheint mir fast so, denn wer auch nur einmal durch eine vergleichbare Situation steuern musste, weiß, dass Musk mit solchen Aktionen gar nicht anders kann als scheitern. Auf der anderen Seite behaupte ich schon seit langem, dass die meisten Erfolgsmenschen keine Ahnung, sondern vor allem unfassbares Glück hatten, weswegen die ganzen Ratgeberbücher, welche ihre vermeintliche Strategie nachzuahmen versuchen, auch vollkommener Quatsch sind. Verwechseln sie nicht Koinzidenz und Kausalität. Wenn Sie mit Ihrem Geburtsdatum sechs Richtige im Lotto bekommen, sollten Sie lieber kein Buch schreiben, in dem Sie das als eine gute Strategie propagieren. Oder doch, schreiben Sie es, denn die Dummköpfe, die Ihnen dieses Buch abknöpfen, verstehen noch weniger von Kombinatorik als Sie und wollen geschröpft werden. Um zurück zu Musk zu kommen: Offenbar ist er von der Situation überfordert und probiert einfach alles aus, was ihm durch den Kopf schießt, egal wie sinnlos es auch scheinen mag. Wenn ich aus dem Bauch heraus schätzen müsste, wie es weitergeht, sagte ich, dass Twitter dieses Jahr nicht überlebt.

Auf der anderen Seite: Warum sollte Twitter nicht überleben? Egal, welche Schätzung wir glauben - irgendwas zwischen 300.000 und einer halben Millionen Nutzerinnen wird Twitter haben. Es gibt Menschen, deren Geschäftsmodell davon abhängt, auf Twitter gesehen zu werden. Wer auch nur ansatzweise Statistik kann, extrahiert aus den Nutzungsdaten von Twitter Persönlichkeitsprofile, die  Werbetreibenden traumhaft genaue Kampagnen ermöglichen. Niemand mit auch nur einem Funken Verstand wird die Plattform sterben lassen - insbesondere nicht die Nutzer.

Die nämlich haben nicht etwa Twitter den Rücken gekehrt. Sie haben nur auf einer sich ähnlich anfühlenden Plattform namens Mastodon ebenfalls ein Konto angelegt. Die dortigen Serverbetreiberinnen vermelden wahnsinnige Zuwachszahlen, welche teilweise die Infrastruktur in die Knie zwingen. Etwas über eine Millionen Konten soll das Netz inwzischen zählen. Das mag beeindruckend klingen, aber erstens spielt sich der Zuwachs irgendwo im maximal einstelligen Prozentbereich der Twitter-Nutzungszahlen ab, zweitens brechen die Server vor allem deswegen zusammen, weil Mastodon überwiegend von Hobbyadmins betrieben wird, die sich bei irgendeinem Billighoster eine Miniinstanz zum Spielen geklickt und nie ernsthaft damit gerechnet haben, dass sich mehr als ein paar Dutzend Leute darauf tummeln. Natürlich sehen aus deren Perspektive die Zuwachsraten beeindruckend aus. Wenn sich  statt ihres Probeaccounts auf einmal hundert weitere Konten auf dem Server tummeln, hat sich die Zahl zwar verhundertfacht, aber besonders hoch ist sie in absoluten Zahlen dennoch nicht. Darüber hinaus ist nicht gesagt, dass dieser Trend anhält. Vielleicht wird aus der einen Millionen noch eine zweite -  im Vergleich zu Twitter ist das immer noch keine beeindruckende Zahl.

Die Leute werden nicht schlagartig intelligenter, nur weil sie die Plattform wechseln.

Natürlich kamen sich die Leute ganz toll vor, als sie der Twitterwelt erklärten, sie seien nun auf Mastodon zu finden. Wissen Sie, was mir passierte, als ich mir vor etwa acht Jahren mein erstes Mastodon-Konto klickte? Nahezu der erste Text, den ich las, war der beleidigte Vorwurf, was mir denn einfiele, diesen Nutzernamen zu wählen, den hätte er viel lieber gehabt. Ich habe daraufhin das Konto nicht mehr angefasst. So ein junges Medium, und schon so viele Idioten. Da kann ich auch gleich bei Twitter bleiben.

Die wichtige Lektion, die ich damals lernte, war: Egal, wohin du fliehst, die Typen, vor denen du geflohen bist, sind bereits da. Als ich vor ein paar Jahren wieder etwas aktiver auf Mastodon wurde, beschäftigte ich mich eine ganze Zeitlang damit, die ganzen Dummschwätzer zu blockieren, die ihre Erste-Welt-Probleme vor mir ausbreiten zu müssen meinten. Als Erstes verschwanden die Leute aus meiner Timeline, die alle ihre Texte hinter einer "Content Warning" (dazu gleich mehr) verbargen und mich zwingen wollten, jedes Posting mit einem zusätzlichen Mausklick zu öffnen. Lasst es mich einfach formulieren: Wenn ihr nicht wollt, dass ich euch lese, entspreche ich gern eurem Wunsch. Willkommen in meiner Blockliste.

Ich weiß, durch seinen dezentralen Ansatz bietet Mastodon die Möglichkeit, sich einen Server mit dem richtigen Stallgeruch zu suchen, aber auch dann bleibt noch einige Arbeit zu erledigen. Meine Toleranzwert war überschritten, als die Administration meiner Instanz auf die Idee kam, den Datenverkehr mit einer anderen Instanz und mehreren Tausend Nutzerinnen abzubrechen, weil eine einzige von ihnen ein Posting abgesetzt hatte, das nicht in ihren Wertekanon passte und die Administration der anderen Instanz es ablehnte, diese Nutzerin zu sperren. Ich habe das umstrittene Posting angesehen. Mehrmals. Es war nicht unbedingt nett, aber es war auch weit von dem entfernt, was auch nur eine Richterin dieses Landes ansatzweise in Richtung Hassrede einordnete. Einige mögen sogar argumentieren, dass es um Kenntnisse ging, wie sie derzeit an jeder gymnasialen Mittelstufe gelehrt werden. Kein noch so scharf formuliertes NetzDG hätte jemals Anstoß daran genommen. Dennoch ging das "meiner" Administration zu weit. Ich hingegen war nicht umsonst im Jahr 2009 auf die Straße gegangen, um gegen die von SPD und CDU geplante Internetzensur zu demonstrieren und bin deswegen auf eine Instanz gewechselt, die mich für erwachsen genug hielt, mich mich anderen Ansichten als der meinen zu beschäftigen.

Everywhere you go, always take the weather with you. Mastodon hat zwar einige technische Mechanismen, um die schlimmsten Auswüchse der Twitterwelt zu erschweren. Verhindern lassen sie sich meiner Einschätzung nach nicht. Eine Binsenweisheit der Haecksenkultur besagt, es sei ein Irrtum zu glauben, gesellschaftliche Probleme mit technischen Mitteln lösen zu können. Wir schaffen es damit maximal, sie zu mildern. Wenn Mastodon jemals relevant sein möchte, muss es damit klarkommen, dass von Twitter nicht nur angenehme Leute hinüberwandern. Nein, wir werden uns zwangsläufig auch Leute eintreten, die uns bereits auf der alten Plattform genervt haben und uns auch auf der neuen nerven werden. Wie schon gesagt: Ein Teil von ihnen ist schon da.

"Aber das kann doch gar nicht sein, Mastodon ist doch föderiert und open source."

Ja und?

Niemand will sich von euch Mastodon erklären lassen.

Wenn es an einem auf Mastodon gerade nicht mangelt, sind es irgendwelche aufgeblasenen Wichtigtuer, die glauben, nur aufgrund der Tatsache, einen seit acht Jahren ungenutzten Account herumliegen zu haben, wahnsinnig viel darüber zu wissen und den neu Hinzugekommenen erzählen zu müssen, wie sie die Plattform zu nutzen haben. Seitenlange Threads verfassen sie, in denen sie genau jede Einstellmöglichkeit, jedes Metazeichen erläutern und was wann wie eingesetzt wird.

Wer. Will. Das. Wissen?

Schon um das Jahr 2009 herum sind mir diese Typen auf den Nerv gegangen, diese sich "Social Media Berater" titulierenden Dummschwätzer, die allen Ernstes herumliefen und den Leuten einzureden versuchten, sie nutzten Facebook und Twitter falsch und müssten sich unbedingt von ihnen erklären lassen, wie es richtig geht. Bitte füllen Sie Ihre Kontonummer hier ein und unterschreiben auf der gepunkteten Linie.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist Mastodon wirklich so wahnsinnig kompliziert, dass ich mir tatsächlich das stundenlange Gesülze der Altvorderen anhören muss, um meinen ersten "Toot" (für Deutschtümler meinetwegen auch "Tröt", auf keinen Fall aber "Tweet", das birgt die gleiche Lynchmobgefahr, wie in Köln "Helau" zu rufen) abzusetzen, dann ist die Plattform aber schlicht unbenutzbarer Dreck und muss dringend überarbeitet werden, bevor sie massenkompatibel ist. Oder - und das ist die in meinen Augen wahrscheinlichere Option - Mastodon ist im Kern doch ganz ähnlich wie Twitter (ein entsetzter Aufschrei geht durch die Reihen: Er hat "Jehova" gesagt), hat natürlich ein paar Besonderheiten, die für den Anfang aber vollkommen egal sind und sich in der Folgezeit schon irgendwie von selbst vermitteln. Vergleichen Sie es mit dem Handbuch eines Fotokopierers. Natürlich ist es sinnvoll, sich den Wälzer vor Benutzung durchzulesen, weil dann erst einmal klar wird, was für fetzige Dinge sich mit dem Gerät anstellen lassen. Auf der anderen Seite will ich doch nur den Tankbeleg für die Fahrtkostenabrechnung einmal schnell kopieren, und sobald das komplizierter ist als Klappe auf, Beleg aufs Glas, Klappe zu, grünen Knopf drücken, ist mir der Akt zu blöde, und ich fotografiere das Ding mit meinem Smartphone, wo diese Funktion inzwischen leichter aufrufbar ist als einen Anruf zu tätigen. Unschärfekorrektur, linksbündig heften, Ausschnittsvergrößerung, Mailversand - alles fein, aber das lese ich nach, wenn ich es brauche. Nicht jetzt.

Ihr könnt euch nicht aussuchen, wer migriert.

Die neue Beliebtheit von Mastodon ist noch keinen Monat alt, da kommen schon die ersten Beschwerden. Ganz schlimm sei, was da passiert ist. Daran müsse sich unbedingt etwas ändern. So könne es nicht weitergehen. Was war passiert?

Männer.

Männer hatten die Unverschämtheit besessen, sich auf Mastodon anzumelden. Und auf Postings zu antworten. Einfach so. Ohne vorher zu fragen. Unfassbar.

Wir können jetzt lange überlegen, ob Sexismus nicht auch Sexismus ist, wenn er sich nicht gegen Frauen richtet. Ich habe schon allen Ernstes die Argumentation gelesen, Sexismus und Rassismus seien voll in Ordnung, wenn die Zielgruppe stimmt, nämlich Weiße und Männer, und es handle sich dann auch nicht um Sexismus, sondern Bekämpfung von Privilegien. Wir können auch weiterhin überlegen, ob diese Argumentation nicht über fast 2000 Jahre als Rechtfertigung für Judenpogrome herhalten musste, aber das führt uns zu weit. Mir geht es vor allem um die kindlich-putzige Idee, Mastodon sei eine Art Kindergeburtstag, zu dem sich das Geburtstagskind auswünschen dürfe, wer kommen darf. Bibi und Babsi sind okay, aber der doofe Ulf, der soll gefälligst wegbleiben, auch wenn er noch so gern dabei wäre. Gleichzeitig soll die Party der absolute Kracher werden, eine Riesennummer, zu der alle kommen. Sie sehen den Widerspruch?

Wenn das Leben auf Twitter wirklich so unerträglich ist (warum ich das nicht so recht glauben kann, kommt gleich), ich es nicht mehr aushalte und deswegen lauthals verkünde, meine Sachen zu packen und Richtung Mastodon zu verschwinden, muss ich damit rechnen, dass andere auf die gleiche Idee kommen, und dann ziehen eben nicht nur meine drei Kuschelbuddies mit, sondern, Root sei's geklagt, Leute, die mir nicht in den Kram passen, zum Beispiel Männer. Das soll vorkommen.

Was ich an der Klage nicht verstehe: Wenn Mastodon so wahnsinnig toll und dezentral und selbstverwaltet ist, sich jede ihre eigene Instanz mit ihren eigenen Regeln aufsetzen kann, warum greift dann keine zur Tastatur, klickt sich beim nächsten Billighoster einen Server und lässt auf den nur ein ihre handverlesene Peergroup rauf? Zwei Gründe: Erstens fehlt ihr dann die Masse, die ihr zujubelt und mit ihre gemeinsam herumjammert, zweitens stellt sich bei der so zusammengestellten Mastodon-WG heraus, dass die unerträglichste Type, mit der du es keine fünf Minuten alleine aushältst, genau eine Person ist: du selbst.

Jetzt ist nicht die Zeit für Luxusprobleme.

Doch nicht nur die fehlende Deiwössitite (einmal beifallsheischend umgucken, ob auch alle mitbekommen habe, wie wahnsinnig wichtig mir das ist) sehen die Masturbierodonden als welterschütterndes Problem an, nein, noch viel schlimmer: Man kann so einen Tröt lesen. Vollkommen ungeschützt. Einfach so. Triggeralarm!

Aus diesem Grund wurde bei Mastodon die CW, ausgeschrieben "Content Warning" oder ganz platt Ausblendfunktion eingeführt - eine an sich sinnvolle Idee. Wenn ich gerade von einer Demonstration berichte, auf der Menschen zusammengeprügelt werden, wollen vielleicht nicht alle die Bilder von blutigen Schädeln sehen. Deswegen kann ich sie auf Mastodon mit einer Markierung versehen, so dass sie nur dann angezeigt werden, wenn die Leserin explizit auf eine Schaltfläche klickt. Doch so wie jede Erfindung ist auch die Inhaltswarnung nicht so idiotensicher gebaut, dass es nicht irgendwen gibt, der alles kaputtfrickelt. In diesem Fall kamen ein paar ganz besonders Schlaue auf die Idee, sie könnten gar nicht abschätzen, wer wovon getriggert wird. Vielleicht gibt es ja irgendwen da draußen, die sich von Katzenbildern oder Sonnenuntergängen gestört fühlt. Um dem vorzubeugen, versehen besonders Umsichtige grundsätzlich jeden ihrer Tröts mit einer Inhaltswarnung und schreiben vor die Markierung, worum es im ausgeblendeten Teil geht.

Bin ich die Einzige, die das idiotisch findet?

Wer jeden noch so banalen Text für möglicherweise gefährlich hält, sollte sich und der Welt den Gefallen erweisen und den Text gar nicht erst schreiben. Alternativ wäre es angebracht, sich mit diesem Konzept des "Draußen" genauer zu beschäftigen. In der so genannten "Realität" interessiert sich niemand dafür, ob mich gelbe T-Shirts triggern. Niemand (naja, zumindest niemand, mit dem ich mich abgeben möchte) käme auf die Idee, alle Blümchenwiesen zu betonieren, weil eine Pollenallergikerin vorbeikommen könnte. Egal, was ich anstelle, irgendwer wird sich immer aufregen. Natürlich kann ich versuchen, unnötige Provokationen zu vermeiden, aber spätestens, wenn die Schere in meinem Kopf bei alltäglichen Banalitäten zu überlegen beginnt, wer sich hiervon wieder aufgefordert fühlen mag, sich heulend auf den Boden zu werfen, bin ich genau in der totalitären, diktatorischen Gesellschaft gelandet, die zu bekämpfen ich einst zu Mastodon gewechselt bin.

Ich habe erwachsene Menschen ernsthaft die Frage diskutieren sehen, ob politische Texte nicht immer mit einer Inhaltswarnung versehen werden sollten. Mit Verlaub, geht's noch? Schaut mal ins Grundgesetz und zwar nicht auf den exakten Text, sondern auf den Geist, den unsere Verfassung atmet. Seht ihr, was da in Dutzenden Artikeln immer wieder geklärt wird? Die politische Ordnung dieses Staates, die Grundfeste, auf der dieses Land basiert. Politik ist kein netter Luxus, den wir uns gönnen, wenn wir gerade zwischen Nachmittagskaffee und Fernsehabend etwas Langeweile verspüren. Politik ist etwas so Fundamentales, dass es nicht nur unser Recht ist, sich daran zu beteiligen, eigentlich ist es unsere Pflicht. Politik ist so allumfassend, dass es nahezu unmöglich ist, nicht politisch zu handeln. Das haben wir spätestens seit dem Ukrainekrieg gelernt, als wir merkten, dass es beim Heizen darauf ankommt, von wem wir das Gas beziehen; als wir merkten, dass es beim Brotkauf darauf ankommt, wer das Getreide liefert; als selbst bei einem simplen Glas Milch die Frage aufkam, ob wir uns den enorm energieaufwendigen Produktionsweg künftig noch leisten können. Let's face it: Es gibt nichts Unpolitisches, und ihr wollt allen Ernstes Politik zu einem Tabuthema ernennen, etwas, das ihr hinter Sperrtafeln verstecken versteckt, damit sich bloß niemand dadurch gestört fühlt?

Ehrlich, ich finde das ganz schön faschistoid.

Auf Twitter hat sich nichts geändert.

Wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass sich auf Twitter jede Menge Idioten herumtreiben. Das sollte aber nicht weiter verwundern. Sehen Sie sich in der Bahn, auf der Straße, im Supermarkt um. Überall, wo sich die Massen drängen, gibt es einen Bodensatz Bescheuerter. Warum sollte das in der elektronischen Welt anders sein? Zu genau diesem Behufe gibt es auf Twitter (und übrigens auch auf Mastodon) die Blockierfunktion. Wenn Sie die nicht nutzen, weil das ja irgendwie Zensur ist (oder welche Ausrede Sie auch immer finden, Ihre Sichtbarkeit nicht künstlich zu verringern), sollten Sie sich nicht wundern, wenn Sie hin und wieder in menschliche Abgründe blicken. Ich für meinen Teil habe mir damit die Welt so zurechtgeschnitten, dass mir der gröbste Blödsinn erspart bleibt. Der Fairness halber muss ich hinzufügen: Ich bin auch nicht prominent. Mir folgen auf Twitter gerade einmal 1000 Accounts, von denen wahrscheinlich drei Viertel inzwischen nicht mehr aktiv oder Spambots sind. Wenn ich auf Twitter etwas schreibe, was den Leuten nicht passt, verliere ich schlimmstenfalls ein paar Follower, aber so etwas wie einen Shitstorm treten uninteressante Leute wie ich nicht los. Anders ist das bei Konten mit Reichweite und Followerzahlen im hohen fünfstelligen Bereich. Wenn die etwas sagen, locken sie natürlich die ganzen Typen an, die ohnehin und immer alles besser wissen - was okay ist, denn so denken wir alle von uns selbst. Schlimm wird es erst, wenn sie ihr übersteigertes Ego nicht wie ich in ein Blog rülpsen, sondern in Spiegel-Forenbeiträge oder Antworttweets. Solche Dinge bekomme ich nicht zu sehen - wie nahezu alle anderen Twitternutzerinnen auch nicht. Warum? Weil wir nicht prominent sind. Die These, seit Musks Machtübernahme sei praktisch ein Nazi-Fackelzug auf der Plattform unterwegs, wird nahezu niemand aus eigener Erfahrung bestätigen können, so lange wir nicht selber Nazis sind. Ansonsten sollte unser sorgfältig selbstgesponnener Kokon halten.


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