Geschichte wiederholt sich - vielleicht nicht exakt, aber bestimmte Muster lassen sich erkennen. Ein Beispiel ist das Erwachsenwerden der Generation Greta.
Was haben wir sie geliebt, die heilige Johanna der Kohlemeiler, so jung, so rein, so unverwundbar, war eine Kritik an ihr doch unmöglich, ohne gleich sexistisch, behindertenfeindlich und sowieso eine furchtbare Umweltsau zu sein. Darüber hinaus kann Thunberg gut reden. Ihre Sprüche waren so knackig und auf den Punkt, dass sie sich als Artikelüber- oder Bildunterschrift fast aufzwangen. und so verkaufte sich das Narrativ der mutigen, kleinen Kämpferin, die mit nichts als einem Pappschild bewaffnet anfing und den alten, weißen Männern der UNO erklärte, wie das mit der Ökologie so geht.
Auch wenn das aus dem Vorangegangenen nicht deutlich wird: Ich habe zwar keine Sympathie für, aber Respekt vor Thunberg. Sie zieht ihre Sache durch und hat es geschafft, aus einer einzelnen, belächelten Pappschildhochhalterin eine komplette Bewegung werden zu lassen. Genau hier beginnen natürlich auch die Probleme: die Copycats.
Immer, wenn irgendwo eine bestimmte Masche funktioniert, tauchen an jeder Straßenecke die billigen Kopien auf. Erinnern Sie sich noch daran, wie nach 1989 überall mit Farbe besprayter Bauschutt zu Phantasiepreisen als Stücke der Berliner Mauer verhökert wurde? Da wir gerade bei wertlosem Müll sind: Wer von Ihnen hat in irgendwelche Cryptocoins oder, noch bekloppter, NFTs investiert, ohne auch nur einen Funken davon verstanden zu haben, was eigentlich dahinter steckt, aber fest von den astronomischen Wertsteigerungen überzeugt war? Wenn überhaupt, dann sind diejenigen jetzt reich, die vor mehr als 12 Jahren die Sache gestartet hatten und auf ihren PCs die ersten Bitcoins in die Welt zauberten, die damals noch Bruchteile eines Cents wert waren. Ohne jetzt zu sehr vom Thema abzukommen: Die Frage ist ohnehin, was der Bitcoin im realen Verkauf erzielen kann. Auf dem Papier mag es Menschen geben, die Milliardenbeträge in Kryptowährungen besitzen, aber es gibt keinen dokumentierten Fall, in dem jemand einen nennenswerten Teil dieses Vermögens erfolgreich in klassische Werte getauscht hat.
Es geht mir hier nicht um das Verprügeln der Crypto-Bros. Ich will Gegner, keine Opfer. Damit wird es allerdings eng, denn diejenigen, mit denen ich mich beschäftigen möchte, spielen die Opferinszenierung mit einem bis zur Armbeuge durchgedrückten Drama-Button. Von einer "Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze" ist da die Rede, von "friedlichen Protest durch den Dreck zu ziehen", um sich schließlich zu einem Crescendo zu steigern, das Hollywood-Autorinnen ihren Heldinnen in den Mund legen, wenn sie ganz allein dem Untergang geweiht einer Armee an Bösewichtern gegenüber stehen: "Mögen private Medien weiter zu Gewalt gegen uns aufrufen. Mögen Journalist:innen von öffentlich-rechtlichen Medien uns weiter am Telefon beleidigen." Was war passiert?
Nun, monatelang so gut wie gar nichts, und das überrascht mich besonders. Monatelang haben Aktivistinnen in Berlin Verkehrsknotenpunkte blockiert. In Berlin. Der Stadt, deren Einwohnerinnenschaft für vieles bekannt ist, nur nicht für sonderliche Sensibilität und Einfühlsamkeit. Seit Monaten habe ich damit gerechnet, dass ein entnervter LKW-Fahrer, der schon vor Stunden seine Ladung hätte abliefern sollen, aussteigt und das Problem auf sehr pragmatische Weise beseitigt - egal, ob sich da irgendwer irgendwo festgeklebt hat. Allein schon wegen des Muts, sich wenige Zentimeter von den Stoßstangen tonnenschwerer und im Zweifelsfall von meiner körperlichen Widestandskraft weitgehend unbeeindruckter Fahrzeuge entfernt auf einer Hauptstraße auf den Boden zu setzen, gebührt diesen Leuten mein Respekt. Ich könnte das nicht. Ich hätte auch keine Lust auf ein Gerichtsverfahren, an dessen Ende mir eine Geldstrafe, ersatzweise Haft drohen. Unabhängig von der Frage, worum es in dem Protest geht - den Mumm, sich in Berlin vor den Berufsverkehr zu setzen, respektiere ich.
So ging es offenbar vielen. Die Sympathie bröckelte erst, als die Proteste immer wahlloser wurden. Sich im Rahmen des Klimaprotests vor Autos zu setzen - verstehe ich, aber was haben jahrhundertealte Gemälde mit der Erderwärmung gemein?
Genau, nichts.
Warum pappen sich trotzdem Leute an ihnen fest oder beschmieren sie mit Lebensmitteln?
Ja, ähm, pff, Aufmerksamkeit.
Okay, verstanden, aber wo ist dann bitte die Grenze? Was oder vielleicht wen bin ich bereit zu opfern, um in die Schlagzeilen zu kommen?
Zynikerinnen mögen sagen: eine Radfahrerin, aber das ist natürlich Quatsch. Wenn ich den Aktivistinnen eins unbesehen abkaufe, ist es deren unbedingte Absicht, nicht über Leichen zu gehen. Genau deswegen dürfen Tweets wie diese nicht vorkommen:
Ja, ich weiß, er hat sich inzwischen entschuldigt, aber es gibt nun einmal Sachen, die sich nicht aus der Geschichte löschen lassen. Armin Laschet ist im Wesentlichen über ein paar Sekunden Filmmaterial gestolpert, die ihn lachend im Hintergrund stehend zeigten, während im Vordergrund der Bundespräsident eine Stellungnahme zur Flutkatastrophe im Ahrtal abgab - ironischerweise auch dies eine Folge der Klimakatastrophe. Natürlich hat er sein Bedauern ausgedrückt und das Geschehen in einen erklärenden Kontext gerückt. Wichtig ist: Profis dürfen solche Fehler nicht unterlaufen. Annalena Baerbock wäre heute Kanzlerin, hätte sie das früher begriffen. Statt dessen ließ sie sich durch die Popularitätswelle, die ihr nach Ausrufung ihrer Kanzlerinnenkandiatinnenschaft entgegenschlug, einlullen und glaubte, der lange Marsch ins Amt sei für so perfekt Qualifizierte wie sie ein Spaziergang und es folglich unnötig, sich mit einer frisierten Biografie und fehlenden Attributierungen eines ihr zugeschriebenen Buchs angemessen auseinanderzusetzen. Tatsächlich funktioniert Demokratie anders. Erst, wer sich hartem, meist auch unfairem und unqualifiziertem politischen Feuer gewachsen zeigt, sehen die Wählerinnen als einem hohen Amt gewachsen an. Da muss ich im richtigen Moment selbst an die Front und nicht hoffen, dass meine Kampfdackel die Lage für mich schon klären. Baerbock hat jetzt die Chance, zu beweisen, dass sie mehr kann als "nur" Außenministerin, und da in meinen Augen nichts darauf hindeutet, dass die Ampelkoalition die laufende Legislaturperiode, geschweige denn die nächste Wahl überleben wird, rechne ich ihr sehr reale Chancen beim nächsten Versuch aus.
Nun werden Sie einwenden, dass es zwischen den Regierungsambitionen zweier Profipolitikerinnen und Klimaprotesten auf Berliner Stadtautobahnen einen Unterschied gibt, und in der Tat ist die Generation Greta noch ganz am Anfang ihrer - hoffentlich langen - Laufbahn. Zu den Lehren, die aber bisher alle in diesem Geschäft lernen mussten und die auch zur Adoleszenzerfahrung dieser Generation zählt, gehört die Regel: Wer austeilt, muss auch einstecken können, und erst wer nach heftigen Prügeln immer noch steht und überzeugend "Ist das alles, was ihr habt?" fragen kann, bleibt im Geschäft.
Erst lieben sie dich, dann hassen sie dich, und wenn es dich dann noch gibt, dann respektieren sie dich. Das mussten die Piraten erfahren, als sie im Jahr 2009 völlig überraschend zur Speerspitze der Netzpolitik wurden und die Öffentlichkeit fasziniert von ihrer unkonventionellen Art, online geführten Debatten, Wikis, Mitmachparteitagen, Tweets und Liquid Democracy war. Im Rampenlicht waren einige Mitglieder ganz benebelt von ihrer vermeintlichen Wichtigkeit. Es entwickelte sich der Schreibstil auf Twitter, der dieses Medium bis heute so schwer erträglich sein lässt: bedeutungsschwer, aufgeblasen, selbstverliebt sich das Millionenheer vorstellend, welches die Nachricht lesen und ihre Verfasserin in die Sabbelsendung am Sonntagabend im Ersten hieven wird. Heraus kommen publizistische Totalkatastrophen wie der Tweet oben.
Natürlich gibt es für sowas Prügel, und die einzige Möglichkeit, aus dieser Sache herauszukommen, besteht in guter Pressearbeit, einfacher gesagt: im genauen Gegenteil dessen, was gerade bei der "Letzten Generation" stattfindet und was in ähnlicher Form vor einem Jahrzehnt den Piraten das Genick brach. Wenn die Aktivistinnen in ihrer Erklärung vom 4.11. von telefonischen Beleidigungen durch öffentlich-rechtliche Medien schwadronieren, spielt das vermutlich auf Interviews wie dem am 2.11. im Deutschlandfunk geführten an, bei dem ein Sprecher der Bewegung zwar genug Pressetraining erfahren hatte, um zu wissen, dass es wichtig ist, unangenehme Fragen zu drehen, um die eigentlich wichtige Botschaft zu vermitteln, aber wie das genau funktioniert, hat ihm offenbar niemand beigebracht, und so spulte er dem geduldig zuhörenden Reporter über zehn Minuten seine vorbereiteten Pressebausteine ab. Wer den Deutschlandfunk kennt, weiß: Das war seitens des Journalisten keine Beleidigung, das waren Samthandschuhe, denn wenn der Sender jemanden nicht leiden kann, geht er ganz anders mit ihm um, wie zum Beispiel am 4.11. im "Interview" mit dem AfD-Politiker Steffen Kotré - in Anführungszeichen gesetzt, weil während dieses siebenminütigen journalistischen Tiefpunkts praktisch keine Information herauskam, weil sich Reporter und Interviewpartner ständig gegenseitig ins Wort fielen. Der Sender nutzt diese Taktik, weil er das für besonders harten Journalismus hält und den Gegner aus der Reserve locken will. Das hat die Gegenseite allerdings ebenfalls begriffen und quatscht deswegen einfach weiter. Heraus kommt Verbalschrott, auf den keine Seite stolz sein kann und es aus mir unbegreiflichen Gründen dennoch ist. Denen haben wir es aber mal gezeigt. Quatsch. Das Einzige, was Ihr gezeigt habt, ist ein Mangel an Erziehung.
Was in der Außenwirkung gar nicht gut ankommt, sind Opferinszenierungen. Die beeindrucken vielleicht die eigene Klientel, aber sie überzeugen die Gegenseite nicht. Als die Piraten Anfang des letzten Jahrzehnts das erste Mal Gegenwind bekamen, erzählten sie auch was von einer Medienverschwörung, die sie angeblich durch den Dreck zieht, ganz ähnlich, wie die "Letzte Generation" gerade argumentiert. Das gleiche Narrativ benutzen übrigens populistische Akteure wie die Quer"denker", die AfD, Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan, Viktor Orbán und bezeichnenderweise auch die Leugnerinnen des Klimawandels, die das Feindbild der "Lügenpresse", hierzulande gern noch "linksgrün versifft" und "staatlich gelenkt", aufbauen. Damit ich das richtig verstehe: Die Presse lügt also den Klimawandel her, um gleichzeitig gegen die ihn bekämpfenden Aktivistinnen zu hetzen? Kann mir bitte jemand den Verschwörungsmythos nennen, der das beides logisch zusammenbringt?
Nein, was wir gerade erleben, ist keine Verschwörung, sondern ein politischer Lasttest, der genau dazu da ist, die Souveränität einer Bewegung auch unter unfairen Umständen zu prüfen. Nichts Anderes passiert bei jedem Examen an der Schule oder Universität. Da wird künstlicher Druck aufgebaut, unter Stress werden größtenteils blödsinnige Fragen gestellt, die danach nie wieder jemand stellen wird, und das alles hat nur den einen Zweck: herauszufinden, ob die Behauptung "ich kann was, ich weiß was" einer Belastung standhält. Natürlich ist der Vorwurf, die Straßenblockiererinnen hätten den Tod einer Radfahrerin verschuldet, Blödsinn, aber statt über "öffentliche Hetze" zu jammern, heißt es, souverän mit der Frage umzugehen, ob das bewusste Blockieren von Hauptverkehrsadern einer Millionenstadt nicht auch mitunter diejenigen behindert, die nicht behindert werden sollten. Wie das genau aussieht? Weiß ich nicht, brauche ich auch nicht zu wissen, denn ich klebe mich nicht auf Autobahnen fest.
Irgendwann wird das publizistische Sperrfeuer ein Ende haben. Das wird die Betroffenen jedoch nicht davon abbringen, eine Verschwörung zu wittern. Waren es vorher die negativen Schlagzeilen, die ihren Ingrimm erregten, wird danach genau deren Ausbleiben als Indiz einer perfiden Pressekampagne gewertet, nunmehr mit dem Ziel, großartige Taten durch Nichterwähnung künstlich aus der öffentlichen Wahrnehmung fernzuhalten. Auch diese Behauptung ist Unsinn. Wenn die Presse mich nicht wahrnimmt, liegt es nicht an deren böser Absicht, sondern an der Unfähigkeit meines Presseteam, Neugier zu wecken.
Was wir gerade erleben, ist das Erwachsenwerden einer Bewegung. Wir haben es erlebt, als Ende der Neunziger die Überbleibsel der APO ins Bundeskabinett einzogen und gleich zu Beginn über Kriegseinsätze auf dem Balkan zu entscheiden hatten. Wir erleben es jetzt, da die Grünen nach langer Oppositionszeit wieder in einer Bundesregierung sitzen, eine Pandemie, einen Krieg mitten in Europa verbunden mit einer Wirtschaftskrise, eine Energiekrise und eine Klimakatastrophe managen sollen. Natürlich vergeigen sie es, so wie es ihre Vorgänger vergeigt haben und so wie es auch jede andere Regierung vergeigt hätte. Die Frage ist weniger eine des Scheiterns, sondern wie sie mit der Diskrepanz zwischen überhöhten Erwartungen und der Realität umgehen. Ein Tipp: Niemand mag weinerliche Verliererinnen.
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