Jetzt ist es offiziell: Laschet sieht keine Chancen mehr, das Rennen um die Kanzlerschaft zu gewinnen.
Das sagt er natürlich nicht so. Er verhält sich aber, wie sich die CDU immer verhalten hat, wenn sie nicht mehr daran glaubt, es aus eigener Kraft noch schaffen zu können: Er gräbt ganz tief in der Klamottenkiste herum und zerrt die schon reichlich ausgeleierte Rote-Socken-Kampagne hervor. Diese Nummer hat noch nie funktioniert, im Gegenteil: Die Warnung vor einem Linksruck hatte dem politischen Gegner stets in die Arme gespielt, hinterließ sie bei den Wählerinnen doch den (irrigen) Eindruck, durch die Wahl einer anderen Regierung wirklich einen politischen Wandel herbeiführen zu können. Das ist natürlich Quatsch, denn zumindest mit der SPD an der Macht wird es alles geben, nur keine linke Politik. Hartz IV, erster echter Kriegseinsatz der Bundeswehr, ein ganzes Bündel menschen- und bürgerrechtsverletzender Anti-Terror-Gesetze, die vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurden: SPD-Kanzlerschaft. Mindestlohn, Frauenquote in Führungsetagen, Ehe für alle, Ausstieg aus der Kernkraft: Kanzlerin Merkel, zugegeben bis auf vier Jahre zusammen mit der SPD. Ich weiß, das ist in dieser Überspitztheit nicht wahr, aber es bleibt die Feststellung, dass mehrere klassisch linke Forderungen bizarrerweise unter einer CDU-geführten Regierung umgesetzt wurden. Selbst die Streichung des § 175 StGB fand unter Kohl statt (wenngleich die CDU danach den Mut verlor und sich gegen die Rehabilitierung Verurteilter wehrte). Wie dem auch sei, wenn von einer SPD-geführten Regierung eins nicht zu erwarten ist, dann ein Linksruck.
Doch genau davor warnt Laschet. Offensichtlich traut nicht einmal er selbst sich noch genug Eigenschaften zu, um von sich zu überzeugen. Böse Zungen fragen: Hat dieser Mann überhaupt irgendwelche Eigenschaften?
Laschet gilt als absolutes Mittelmaß, und viele stellen das so hin, als sei das ein Mangel. Das sehe ich anders. Jahrzehntelang wurde dieses Land von Mackern regiert, die nicht nur selbst keine Zweifel an ihrer eigenen Göttlichkeit hatten - wir hatten sie auch nicht. Insbesondere Adenauer, Schmidt, Kohl und Schröder waren bis an den Rand der Verhaltensauffälligkeit nicht mittelmäßig. Das änderte sich erst mit Merkel, die als graue Maus sich ohne besondere Höhen und Tiefen bis zur Kanzlerkandidatur manövriert hatte und von der selbst dann, als sie das Amt innehatte, viele Leute glaubten, sie sei da nur als Kanonenfutter, das zwischen den beiden Giganten CDU und SPD verheizt wird, bis sich ein richtiger Kanzler findet. Sie sollte eine der ganz Großen werden.
Dabei war ihre Regierungszeit wenig von großen Momenten geprägt. Ihr gelang keine Wiedervereinigung, keine Geiselbefreiung, kein Wiederaufbau. Abgesehen von ihrem - wie ich finde, völlig zu Unrecht gescholtenem - "Wir schaffen das" war Merkel selten von Emotionen getrieben, entschied sich selten gegen Sachargumente, sondern meistens für Umsetzbarkeit und Pragmatismus. Ein solcher Regierungsstil birgt wenig Überraschungen, wenig glanzvolle Momente, wenn sich eine scheinbar gegen die Vernunft durchgesetzte Entscheidung als der ganz große Wurf herausstellt. Merkel wurschtelte sich durch, und das heißt nichts Anderes als: Sie sah sich eine Situation lange an - für viele zu lang -, analysierte und entschied sich dann meist für die Lösung, die sich ohnehin abgezeichnet hatte. Mit anderen Worten: Sie hörte auf ihre Beraterinnen. Kein "Basta" eines Gerhard Schröder, kein dampfwalzenartiges Durchziehen eines Helmut Kohl, statt dessen behutsames Verhandeln und nachvollziehbare Beschlüsse. Mittelmaß eben.
Laschets Problem besteht nicht in seiner Mittelmäßigkeit. Sie besteht in seiner absoluten Unfähigkeit, eine Situation ernst zu nehmen, genauer: zu vermitteln, dass er eine Situation ernst nimmt. Er ist die vollkommene Verkörperung des rheinischen "et hätt noch immer jotjejangen", einer Grundhaltung, die im Positivfall optimistisches Anpacken, im Negativfall fahrlässiges Verkennen von Gefahren bedeutet. Eine Klausur zu verbummeln, ist peinlich genug. Sich dann einfach die Zensuren auszudenken und dabei so doof anzustellen, sogar Studentinnen eine Note zu geben, welche die Klausur gar nicht mitgeschrieben haben, ist ein typisches Beispiel dafür, wie jemand die Lage komplett falsch einschätzt, sich keinen Rat holt, die Sache zu vertuschen versucht und dann leider nicht clever genug ist. Beim stundenlangen Stapfen durch ein Katastrophengebiet sich die Anspannung von der Seele zu lachen, ist vollkommen in Ordnung. Dafür den Moment zu wählen, bei dem im Vordergrund der Bundespräsident zur Nation spricht, deutet ebenfalls auf die komplette Unfähigkeit hin, in ernsten Situationen angemessen zu handeln. Das ist kein Zeichen für Mittelmaß, das ist ein Zeichen für Schönwetterpolitik. So lange alles gut läuft, kann selbst ein Ludwig Erhard das Land regieren, aber in einer Krise sind dann doch eher Leute gefragt, die kompetente, zur Not auch unpopuläre Entscheidungen treffen und für die auch einstehen. Leute wie Adenauer, Schmidt oder - trotz aller stilistischen Unterschiede - Merkel. Sie hatte schneller als viele Ministerpräsidenten bei der ersten Welle der Corona-Pandemie erkannt, dass sich dieses Problem nicht weglächeln lässt und dass wir, wenn wir Menschenleben retten und Bilder wie in Norditalien vermeiden wollen, hart handeln müssen. Ich bin zwar der Meinung, dass durch einen echten, hart durchgezogenen Lockdown mehr erreicht hätte werden können, aber wenigstens war Merkel schon im Krisenmodus, während Laschet allen Ernstes glaubte, millionenfaches Herdenschunkeln im Karneval werde das Virus schon vergraulen. Na gut, wenn ich mir die Idiotenmucke anhöre, die sie da spielen, ist die Vermutung nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Einen mittelmäßigen Kanzler zu haben, sehe ich deswegen nicht als Gefahr an. Einen unfähigen, der dann, wenn Führungsstärke gefordert ist, bei jeder kleinsten Kritik sofort einknickt, hingegen schon.
Doch so weit wird es wie schon gesagt nicht kommen. Laschet hat inzwischen selbst aufgegeben, für sich zu werben, was bei einem Mann ohne Eigenschaften auch denkbar schwierig ist. Statt dessen warnt er vor dem politischen Gegner. Das aber trägt als Argument nicht. Im Karneval übernimmt das Prinzenpaar je nach Tradition irgendwann zwischen Weiberfastnacht und Karnevalssonntag die Macht im Rathaus, um sie dann zuverlässig am Aschermittwoch wieder zurückzugeben. Gründe für den fröhlichen Putsch gibt es reichlich, und die werden bei der Erstürmung auch wortreich vorgetragen. Wir mögen Narren sein, aber die Anderen sind noch viel schlimmer. Allzu lang trägt diese Argumentation aber nicht. Sie reicht für ein paar kräftige Besäufnisse und etwas Bonbonschmeißen am Rosenmontag. Danach müssen wieder die Profis ran. Die mögen ihre Fehler haben, aber wenigstens sind sie fähig, den Karren selbst dann noch zu fahren, wenn es mehrere Tage lang regnet und die Wege matschig sind. "Wählt mich, denn die Anderen sind noch viel schlimmer" ist sowas wie der argumentative Volkssturm: das letzte Aufgebot, gerade einmal genug, um beim zügig anrückenden Gegner ein "was soll denn das schon wieder?" hervorzurufen, ansonsten aber kein ernsthaftes Hindernis darzustellen. Die Alten wissen, dass diese Strategie nichts bringt, nur die Jungen glauben an solchen Blödsinn, bis auch sie merken, dass sich damit keine Kriege gewinnen lassen.
Nur der politischen Ausgewogenheit halber: Der "Stoppt-Strauß"-Wahlkampf der SPD oder die Kampagne gegen Stoiber bei dessen Kanzlerkandidatur war keinen Deut besser. Schröder konnte die sicher erscheinende Niederlage auch erst dann abwenden, als er mit Gummistiefeln durchs Oderhochwasser stapfte und sich damit als brauchbare Alternative inszenierte. Wie wir jetzt wissen, bekommt Laschet nicht einmal mehr das hin.
Armin Laschet, mich interessiert nicht, warum ich die Anderen nicht wählen soll. Ich will wissen, was Sie auszeichnet, und ich kann Ihnen verraten, dass es nicht reicht, so zu lächeln, als wäre Regieren eine Rund-um-die-Uhr-Kappensitzung. Ich bezweifle keinen Moment, dass Sie ein feiner Kerl sind, freundlich, umgänglich und hilfsbereit, aber vom nächsten Bundeskanzler erwarte ich mehr: Konzepte, Strategien, Standfestigkeit, Kompetenz. Ich erwarte nicht, dass Sie auf jede Frage eine Antwort haben - im Gegenteil, solche Leute sind mir suspekt -, aber ich erwarte, dass Sie, wenn Sie allein nicht weiterkommen, sich gute Leute holen, Einwände abwägen und dann eine informierte Entscheidung treffen. Eine Entscheidung, zu der Sie auch stehen und sie gegen Kritik zu verteidigen bereit sind. Eine Entscheidung, bei der ich mich nicht fragen muss, welcher Wirtschaftslobbyist Ihnen das Gehirn gewaschen und welcher Klüngel die Fäden gezogen hat.
Wie verzweifelt muss ein Volk sein, das eine komplett abgewirtschaftete Partei, deren monatelang als reiner Zählkandidat geltender Spitzenmann durch Finanzskandale und einen Bürgerkrieg während eines G20-Gipfels diskreditiert ist, inzwischen als aussichtsreiche Option für die Regierung ansieht? Die SPD sollte sich allerdings nichts auf ihre derzeitige Popularität einbilden. Ähnlich wie bei der Schröder-Wahl 1998, bei der die Leute alles wollten, nur nicht vier weitere Jahre Kohl, sympathisieren die Wählerinnen mit der SPD nicht etwa, weil sie in den vergangenen Jahren so überzeugende Arbeit geleistet hat, sondern weil ihr Spitzenkandidat sich nicht ganz so deppert anstellt wie die Lachnummer von der CDU oder die Klassensprecherin der Grünen.
Das Phänomen ist jedoch nicht neu. Schon seit Jahren treten zu den Wahlen überwiegend Langweiler an, weichgewaschene, glattgebügelte Nichtse mit maximaler Massenkompatibilität. Krawallbrüder wie Boris Palmer oder Alice Weidel sind Ausnahmen, nicht die Regel. Große Figuren wie Kurt Biedenkopf gibt es entweder nicht mehr, oder ihr Ausscheiden aus der Politik ist wie bei Winfried Kretschmann absehbar. Wir können das bedauern, als Zeichen einer langsam zerbröselnden Demokratie ansehen. Vielleicht ist es aber auch gut, dass die Zeit der Platzhirsche vorbei ist, dass auch schlechte Rednerinnen wie Angela Merkel zuverlässig Wahlen gewinnen und dass ihre drei möglichen Nachfolgerinnen wie von der Resterampe wirken. Vielleicht ist es kein unglücklicher Zufall, dass kein strahlender Führer uns in eine glorreiche Zukunft zu leiten verspricht. Vielleicht ist genau die Regentschaft des Mittelmaßes ein Zeichen einer stabilen Demokratie.
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