Jedes Mal, wenn der Westen sich auf ein größeres militärisches Abenteuer einlässt,verfolgt er publizistisch die gleiche Strategie, den Gegner als sabbernden Idioten hinzustellen. Die Idee dahinter ist klar: Wir sind die Guten, rational, von objektiven, ethischen Werten geleitet, während der Gegner ein verachtens-, ja fast schon bemitleidenswerter Trottel ist, testosterongesteuert, unfähig zu einer rationalen Entscheidung. So war es beim Krieg gegen Saddam Hussein, so ist es mit Wladimir Putin. Zwar hat der Westen nie Krieg gegen ihn geführt, weil er selbst Teil des Westens war, aber: So war es auch mit Donald Trump in den Medien außerhalb der USA.
Diese Strategie ist nicht nur plump, sie ist sogar gefährlich, weil sie dazu verleitet, den Gegner zu unter- und sich selbst zu überschätzen. Kein Mensch schafft es allein mit übersteigertem Selbstbewusstsein an die Spitze eines Staats, nicht einmal in der Bundesrepublik, die 16 Jahre Kohl und sieben Jahre Schröder hinbekommen hat. Die Linke unter Kohl war, von der eigenen intellektuellen Überlegenheit überzeugt, immer davon ausgegangen, dass niemand so jemanden wählen könnte und dass sie deswegen die größten Pfeifen gegen ihn ins Rennen schicken könnte, weil sie die Wahl fast automatisch gewönnen. Taten sie nicht. Kohl mag vielleicht nicht der intellektuell herausragendste Kanzler gewesen sein, aber er hatte ganz offenbar genug Geschick, sich an der Macht zu halten. Ein zu großes Ego reicht als Erklärung nicht aus. Unter meinem Fenster randalieren jede Nacht irgendwelche Bubis ohne Fähigkeiten, dafür jedoch mit grenzenloser Selbstüberschätzung. Spoiler: keiner von denen ist Kanzler.
Spätestens nach vier Jahren Trump hätte eigentlich der letzten Linksintellektuellen aufgegangen sein müssen, dass gerade in Ländern mit bröckelnder Demokratie niemand danach fragt, ob der Staatschef sämtliche Genderschattierungen mit dem korrekten Kürzel bezeichnen kann oder ob er die aktuelle Sprachregelung kennt, mit der wir die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe endgültig beseitigt haben. Wir messen Leute wie Trump mit unseren moralischen Kriterien und übersehen dabei völlig, dass diese Regeln für sie nicht gelten.
Es hat mich verstört, wie die westliche Medienlandschaft mit dem Einmarsch in die Ukraine in den verbalen Kriegsmodus gewechselt ist. Hatten sie in den Monaten und Jahren zuvor Putin noch als intelligent und skrupellos bezeichnet, stellen sie ihn inzwischen vor allem als auch körperlich kranken Irren hin, dem es vor allem um das eigene Gesicht geht. Diese Aspekte mögen eine Rolle spielen, aber sie verstellen die Sicht auf den in meinen Augen wichtigsten Punkt: Putin weiß genau, was er will, er handelt zielstrebig und überlegt. Sein moralischer Kompass ist einfach nur ein anderer als der unsere.
Die Fehleinschätzung geht schon mit den Meldungen los, Putin verlöre daheim an Zustimmung. Entschuldigung, aber: ja und? Putin muss sich keinen Wahlen stellen, zumindest keinen, deren Ergebnis er nicht vorher festgelegt hat. Niemand muss ihn mögen, die Leute müssen einfach nur nicht so von ihm angeödet sein, dass sie eine Revolution beginnen. Selbst, wenn sie eine Revolution begönnen, müsste es eine mit Erfolgsaussichten sein, mit anderen Worten: ein Putsch. Putin kann also ohne Schwierigkeiten Protestaktionen aussitzen, so lange sein Staatsapparat zu ihm hält. Allenfalls ein Generalstreik könnte ihm gefährlich werden, aber das halte ich nur wegen eines Kriegs gegen einen ehemaligen Vasallenstaat für unwahrscheinlich.
Die zweite Fehleinschätzung hängt mit dem angeblich nicht nach Wunsch verlaufenden "Blitzkrieg" gegen die Ukraine zusammen. Jetzt schießen sie schon eine Woche lang da alles zu Klump und haben Kiew immer noch nicht eingenommen. Putin ist so gut wie erledigt?
Exkrement eines männlichen, geschlechtsreifen Hausrinds. Wissen Sie, was ein "Blitzkrieg" war? Der Überfall auf Polen, und der dauerte über einen Monat. Keine Armee erobert ein Gebiet von der Größe der Ukraine in einer Woche, auch die russische nicht. Deswegen erlebt Putin dort auch nicht sein Vietnam, auch nicht sein zweites Afghanistan, ganz davon abgesehen, dass dieser Krieg auch nicht nach einer Woche, sondern fast 12 Jahren vorbei war. Auch die Tatsache, dass die Westalliierten dort zwei Jahrzehnte lang eine an ihren Werten orientierte Staatsform zu etablieren versuchten, nur um sie Stunden nach ihrem Abzug kollabieren zu sehen, verschleiert die Tatsache, dass die Ukraine weder ein mit Dschungel überzogenes, noch ein von Bergschluchten zerklüftetes Land ist, in dem sich Guerillas über Jahre verschanzen können, um eine reguläre Armee auszubluten. Nein, in die Ukraine marschiert man ein, besetzt die wichtigsten Infrastruktur- und Machtzentren und wartet ab, bis die Leute sich mit der neuen Regierung so arrangiert haben, wie sie sich bislang mit jeder Regierung abfanden. Das liefe hierzulande übrigens nicht anders.
Die ukrainische Armee mag motiviert sein. Die Waffenlieferungen aus dem Westen mögen ihre hoffnungslose Unterlegenheit etwas mildern, am Ende werden sie die Niederlage aber vielleicht um ein paar Wochen hinauszögern. Verhindern werden sie nichts.
Der Westen hat auf all dies keine passende Antwort. Wir befinden uns in einem Hasenfuß-Rennen, in dem zwei Autos aufeinander zurasen und derjenige als Verlierer gilt, der ausweicht. So ein Rennen funktioniert aber nur, wenn beide Seiten ungefähr gleich (un-)entschlossen sind. In diesem Fall aber sagen wir uns - aus höchst ehrenwerten Motiven: "Egal, was kommt, wir weichen aus. Wir wollen gar nicht wissen, wie weit der Andere geht, weil wir keine Lust haben, bei dem Spiel zu Tode zu kommen." Genau das weiß die Gegenseite und hält drauf. Beim Poker wäre es All-in mit einem Ramschblatt. Vielleicht habe ich wirklich nichts auf der Hand, vielleicht doch, aber willst du es wirklich wissen oder lieber raus, so lange es noch möglich ist?
Die Ukraine ist verloren, da können wir uns an noch so viele Strohhalmmeldungen klammern. Die Frage für mich lautet eher, welcher Staat als nächster dran ist und ob der Aufkleber "Hey, wir gehören zur Nato, uns darfst du nicht angreifen" irgendwen beeindruckt. Zur Zeit des Kalten Krieges stritt sich der Westen darum, was schlimmer sei: rot oder tot. Ich halte beide möglichen Antworten für vertretbar.
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