Damals, in den Achtzigern, da war die Welt noch in Ordnung.
Natürlich war sie nicht in Ordnung. Wir hatten sauren Regen, Helmut Kohl, den Kalten Krieg, der jeden Moment ein Atomkrieg werden konnte, und wir hatten Rudi Carrell.
Rudi Carrell war nicht wirklich schlimm, er war eher sowas die der deutsche Disney: omnipräsent, solide und ein bisschen langweilig. Wann immer das deutsche Fernsehen eine familientaugliche Unterhaltungssendung brauchte, in der es was zu Lachen gab, musste der freundliche Niederländer mit der Barrettfrisur auf die Bühne. Er war lustig, aber nicht zu lustig. Sein Humor war harmlos und leider auch vorhersagbar, mit anderen Worten: ideales Familienprogramm.
Ein Wort mochte der Moderator besonders gern: toll, oder wie er es mit seinem leicht nuschligen Akzent gerne sagte: "doll". "Doll" war das Universalattribut der Anerkennung, welches Carrell hervorzukramen pflegte, wenn er versuchte, aus seinen meist zutiefst bürgerlichen Gästen interessante Details ihres Lebens herauszukitzeln. Die Büroangestellte hat drei Katzen? "Oh, daschischdoll." Der Lohnbuchhalter einer Kartonagenfabrik sammelt Bierdeckel? "Daschischdoll." Die passionierte Skatspielerin hat die Kreismeisterschaftgewonnen? "Daschischunglaublischdoll."
Sie merken schon, "toll" ist ein Wort, das nicht gewählt wird, weil es einen Sachverhalt besonders präzise beschreibt. Es ist eher eine Platzhaltervokabel für: "Mir fällt gerade nichts Besseres ein, die Leute erwarten von mir irgendein Wort der Anerkennung, aber leider gibt es nichts Konkretes, was ich hervorheben könnte - weil es wirklich nichts gibt, weil ich mich nicht informiert habe oder weil es mich einfach nicht besonders interessiert. Also sage ich etwas Unverfängliches."
Gegen das Wort an sich ist nichts einzuwenden, nur gegen dessen inflationären Gebrauch gerade im politischen Bereich. Da sprechen die Grünen von einem "tollen Spitzenduo". Christian Lindner hat auf einem "tollen Parteitag" ein "tolles Team geformt". Friedrich Merz betont, dass wir in einem "tollen Land" leben. SPD-Politikerinnen schwärmen von einem "tollen Wahlkampf" und die "Unternehmensdemokraten" von "tollen Podiumsgästen". In eher linken Kreisen ist ein Podium dann "toll" besetzt, wenn es ungeachtet jeder fachlichen Qualifikation gelungen ist, eine Homosexuelle, eine Trans-Person, eine "Person of Color" und maximal ein sich als männlich identifizierendes Wesen auf die Bühne zu bekommen, das aber keinesfalls älter als 30 sein darf, weil sonst die Veranstaltung wieder patriarchal von alten weißen Männern dominiert wird.
Überboten wird die Leervokabel "toll" allenfalls noch von "spannend". Google liefert knapp 83.000 Treffer auf "spannende Diskussion" und sagenhafte 968.000 für "spannende Themen". Im Gegensatz zu "toll" hat "spannend" sogar eine Bedeutung. "Spannung" tritt dann auf, wenn es irgendwo Unterschiede gibt. Elektrische Spannung ist die Ladungsdifferenz zweier Pole. Mechanische Spannung beschreibt das Wirken unterschiedlicher Kräfte in verschiedene Richtungen auf einen Punkt. Gesellschaftliche Spannungen herrschen zwischen Arm und Reich, links und rechts sowie verschiedenen religiösen Auffassungen. Es geht also um Konflikte, die in irgendeiner Weise aufgelöst werden müssen. Das kann weit variieren, angefangen bei der für Schülerinnen eher schwer zugänglichen Spannung, in der sich Goethes Werther befindet bis hin zur etwas massenkompatibleren Spannung der beiden Antagonisten in "Stirb langsam".
So, und jetzt überlegen Sie einmal, wann Sie zuletzt bei einer Podiumsdiskussion Spannung erlebt haben, wann Sie nägelkauend einem Vortrag gelauscht haben, weil er so spannend war oder wann sie um ihre ach so spannende Kreistagskandidatin gebangt haben. Merken Sie's? Das war so gut wie nie "spannend", viel öfter "interessant", "horizonterweiternd", "überraschend", "meinungsverändernd", "kenntnisreich", "anregend" oder "die eigene Haltung herausfordernd". Das soll nicht heißen, dass Sie sich aus den von mir vorgeschlagenen Alternativen eine neue Lieblingsvokabel heraussuchen sollen, zumal einige davon auch schon reichlich ausgelutscht sind. Das soll heißen, dass Sie die rund 12.000 Begriffe Ihres aktiven Wortschatzes auch nutzen und sich nicht hinter Nichtaussagen verstecken. Wenn Sie Ihr Wahlkampfteam schätzen, speisen Sie es nicht mit der gleichen Vokabel ab, mit der Sie Ihre Lebenspartnerin, Ihre Partei, Ihr Land und die Qualität der Pizzeria an der Ecke beschrieben haben. Das sind Menschen, die wochenlang (schlechtbezahlt) wenn überhaupt viele Stunden pro Tag mit dem Verteilen von Flugblättern, Plakatieren und Standbetreuung verbringen. Irgendwas muss doch speziell dieses Team auszeichnen, was mehr rechtfertigt als ein pauschales "toll". Das gebietet allein schon der Respekt.
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