Samstag, 22. September 2018

Bitte konservativ ranfahren

Auf der Autobahn ist die konservative Spur die Regelspur. Deswegen befindet sich die Ausfahrt immer auf der konservativen Seite. Es ist üblich, sich zum Gruß die konservative Hand zu geben. Auf vielen Rolltreppen finden Sie den Hinweis: "Konservativ stehen, links gehen."

Ob das Blödsinn ist? Natürlich ist das Blödsinn, aber nicht für Sascha Lobo. Der hat nämlich in seiner jüngsten Ausgabe seines "Debatten-Podcasts" verkündet, das Gegenteil von "links" sei nicht etwa "rechts", sondern "konservativ". Natürlich meinte er das nicht geometrisch, sondern politisch, aber auch da ist es Blödsinn, verschuldet von linker Sprachpanscherei, die sich jetzt gegen die eigenen Leute wendet.

Historisch bezeichneten "links" und "rechts" Sitzpositionen im Parlament, vom Präsidentenpult aus gesehen. Bis in die Neunziger des letzten Jahrhunderts eigneten sich diese Begriffe auch gut, um ein im Wesentlichen eindimensionales politisches Spektrum zu beschreiben. Ganz links waren die Kommunisten, dann kamen die Sozialdemokraten, irgendwo in der Mitte die FDP, dann die CDU, die CSU und irgendwo dahinter Republikaner, DVU, NPD, und wie sie alle heißen. Die Grünen habe ich eben nicht etwa vergessen, sondern bewusst ausgelassen, weil mit ihrer Gründung eine Entwicklung begann, die zu immer absurderen sprachlichen Situationen führte. Fangen wir einfach an: Wo verorten Sie die Grünen?

Links von der SPD, wegen ihrer basisdemokratischen, feministischen und pazifistischen Wurzeln? Einverstanden, aber was ist mit der Ökologie? Zugegeben, die ist auch "irgendwie links", aber Ökologie finden Sie auch in der Blut-und-Boden-Ideologie, die von "Mitteldeutschland" sprechen, wenn sie die fünf nicht mehr ganz so neuen Bundesländer meinen, und "Ostdeutschland" sagen, wenn von Polen die Rede ist. So ist es kein Wunder, dass Baldur Springmann die Grünen mitgründete, später austrat und irgendwo im rechtsextremen Spektrum endete. Es erstaunt auch nicht, dass es inzwischen viele schwarz-grüne Koalitionen gibt und dass Winfried Kretschmann ausgerechnet im stockkonservativen Baden-Würtemberg grüner Ministerpräsident ist. Die Grünen sind nicht und waren auch nie eine klar linke oder rechte Partei. Ihre Stärke besteht genau darin, Anknüpfungspunkte in alle Richtungen zu haben. Selbst einen ordentlichen Krieg kann man inzwischen mit ihnen führen.

Unter der CDU wurden die Atomkraftwerke abgeschaltet, Frauenquoten in Unternehmen und der Mindestlohn eingeführt. Die SPD hat im Gegenzug den Sozialstaat ab- und den Polizeistaat aufgebaut. Es scheint fast zufällig, welche klassischen linken oder rechten Forderungen von welcher Partei umgesetzt werden.

Nur an den politischen Rändern sind die Verhältnisse noch einigermaßen klar. Die "Linke" muss zwar ab und zu realpolitisch handeln, aber sie hat so etwas wie einen Markenkern. Noch weiter links kommen diverse kommunistischen Gruppierungen, von deren Ideen Sie halten mögen, was Sie wollen, aber wenigstens gibt es hier deutliche Positionen und Abgrenzungen. Ähnlich ist es am rechten Rand, und langsam wird auch das argumentative Dilemma klar.

Es liegt in der Natur der Sache, das jeweils weiter entfernte politische Extremum als gefährlicher als die auf der eigenen Seite liegenden Auswüchse anzusehen. Immer wieder lese ich ausschweifende Begründungen, warum die RAF besser war als der NSU, warum der Gulag besser war als die Konzentrationslager, und bis zu einem gewissen Grad bin ich sogar bereit, diese Argumente mitzutragen. Was aber gern übersehen wird: Extremismus und Intoleranz gehen miteinander einher. Der Kommunismus war in der Behandlung seiner Gegner nicht gerade zimperlich. Einen Weltkrieg mit 50 Millionen Toten und einen Völkermord, der eines der ältesten Kulturvölker der Welt in Europa nahezu ausrottete, hat er nicht durchgeführt, aber daraus den Schluss zu ziehen, der Kommunismus sei so viel besser und menschenfreundlicher, finde ich gewagt.

Sehr wohl begründet hingegen ist die Aussage, der hierzulande gelebte Linksextremismus führe sich deutlich menschenfreundlicher auf als der Rechtsextremismus. Zugegeben, auch bei Linken fliegen Steine und Brandsätze und es wird auch einmal ein Supermarkt geplündert, aber es brennen eben keine Flüchtlingsheime. Der hierzulande gelebte Linksextremismus kennt auch Gewalt gegen Menschen, aber er sucht sich seine Gegner sorgfältiger aus. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich verachte es, sich Straßenschlachten mit der Polizei zu liefern, aber wenigstens sind das Menschen, die für diese Situation ausgebildet und ausgestattet wurden. Das ist etwas Anderes, als auf Menschen loszugehen, weil sie oder ihre Vorfahren die Landesgrenze übertreten haben.

Aus diesem Grund gibt es bis weit ins Bürgertum gehend eine klare Abneigung gegen Rechtsextremismus, und wer Zeit sowie sprachliche Sorgfalt besitzt, spricht das Wort in voller Länge aus. Irgendwann in den Neunzigern hatte sich aber eingeschliffen, nur noch von "rechts" zu sprechen. Konzerte wie "Rock gegen rechts" gab es sogar schon seit 1979, aber die sprachliche Unsauberkeit, "rechts" zu sagen, aber "rechtsextrem" zu meinen, ging erst um die Jahrhundertwende in den allgemeinen Gebrauch über. Den Linken war es nur recht (verzeihen Sie bitte das dumme Wortspiel), konnten sie damit sprachlich eine ganze politische Richtung diskreditieren. Da sich in dieser Zeit sowieso alle in der "Mitte" zu tummeln begannen, widersprach auch niemand.

Was bei dem ganzen sprachlichen Herumgeschmiere verloren ging, war ein vernünftiger Begriff für diejenigen, die sich, grob gesagt, auf klassischen CDU-Positionen finden, die Krieg als ultima ratio akzeptieren, die wirtschaftliche Interessen höher priorisieren als ökologische, die eine starke Polizei wollen, hartes Durchgreifen des Staats, Elitenförderung an Schulen und ein traditionelles Familienmodell. So etwas hätte man früher "rechts" genannt. Da jetzt aber mit "rechts" das bezeichnet wird, was einmal "rechtsextrem" hieß, kommt man in absurde Situationen, wenn man überlegt, das dann konsequenterweise "links" wäre, nämlich "linksextrem". Das wiederum ärgert diejenigen, die sich als "links" bezeichnen und eher Vorstellungen vertreten wie Pazifismus, Ökologie, einen starken Sozialstaat, der sich aber ansonsten zurückhält, Einheitsschulen und Patchworkfamilien. Sie wollen nicht in einen Topf mit den Steineschmeißern und Barrikadenbauern gesteckt werden, mit denen sie zwar heimlich sympathisieren, es aber nicht zugeben. "Rechts" soll ihrer Vorstellung nach also weiter synonym mit "Nazis" sein, während "links" dem Wahren, Schönen, Guten vorbehalten ist und "linksextrem" die Schmuddelkinder bezeichnet. Als Ersatzbegriff für "rechts" schlagen Leute wie Lobo "konservativ" vor, aber "links" soll gefälligst weiter "links" sein. Das aber ist sprachlicher Blödsinn. Das Gegenteil von "rechts" ist seit Jahrtausenden "links", das von  "konservativ" ist "progressiv", und ich weiß ehrlich gesagt nicht, was Lobo an diesem Begriff stört. Sind es vielleicht die sich selbst als "progressiv" Bezeichnenden, die sich mit bemalten Oberkörpern für die Bombardierung Dresdens bedanken und sich stundenlang über die Frage ereifern, ob mensch korrekterweise mit Stern, (Doppel-)punkt, Ausrufezeichen oder Unterstrich gendert? Sind ihm diese Leute etwa peinlich? So peinlich, wie zuzugeben, dass es eine dumme Idee war, herumzuschludern, weil die Schluderei jetzt auf die eigene Klientel zurückfällt? Schlägt er deswegen lieber logische Volten, statt einfach Begriffe wieder korrekt zu benutzen? Oder noch besser: Wie wäre es, das alberne Links-Recht-Schema zur politischen Verortung aufzugeben, sich einzugestehen, dass die Welt in den letzten 30 Jahren komplizierter geworden ist und dass man von liebgewordenen Denkmustern Abschied nehmen muss? Eine Dimension allein reicht offensichtlich nicht mehr aus.

Keine Kommentare: