Samstag, 15. September 2018

Make love, not Warcraft

Es gibt eine Southpark-Folge, in der Cartman, Kyle, Stan und Kenny beim Versuch, ihre Avatare bei Warcraft auf ein höheres Erfahrungslevel zu hieven, wochenlang Wildschweine schlachten. Wildschweine sind die wahrscheinlich einfachsten Gegner, die das Spiel zu bieten hat. Entsprechend wenig Punkte bringt es ein, sie zu töten, was dazu führt, dass die vier Jungs jeden Tag 21 Stunden und insgesamt zwei Monate aufwenden, Gegner, die streng genommen keine sind, zu besiegen.

Jetzt sehen wir uns im Vergleich dazu die Netzgemeinde an. Egal, welcher -ismus dort gerade Mode ist, die Szene spaltet sich sehr schnell in diejenigen, die dort wirklich etwas zu erzählen haben, und die Wannabes, die sich in ihrem verzweifelten Ringen um ihre persönlichen 15 Minuten Ruhm irgendwie in Szene setzen wollen. Um sich ernsthaften Aufgaben zu widmen, welche die Sache wirklich voranbringen, fehlt es ihnen sowohl an Wissen als auch an Energie. Wie bekommt man dennoch Aufmerksamkeit? Indem man sich einen Gegner konstruiert, ihn möglichst theatralisch bekämpft und sich von allen nicht nur für diesen heroischen Kampf, sondern vor allem für die Tatsache bewundern zu lassen, diesen Gegner überhaupt als solchen erkannt zu haben. Oder kurz: Warcraft-Wildschweinschlachten.

Zwei Beispiele hierzu: Die "Zeit" stellte vor einigen Wochen die Frage, ob und in welchen Grenzen die Rettung ertrinkender Menschen im Mittelmeer vertretbar ist. Die Titelzeile "Oder soll man es lassen?" war provokoant und zugegebenermaßen am Rand des ethisch Vertretbaren formuliert, aber letzlich ging es um genau diese Frage, und sie wurde differenziert betrachtet. Einigen Netz-Menschenrechtsaktivisten stellte aber allein schon die Frage eine Grenzübertretung statt. Die empörten Reaktionen gingen so weit, die seit Jahren ob ihrer bildungsbürgerlich-behäbigen Art belächelte Wochenzeitung in den Rang einer AfD-Hetzpostille zu erheben.

Zweites Beipiel: Der "Spiegel" widmete das Titelblatt der Ausgabe 37/2018 dem anscheinend unaufhaltsamen Aufstieg der AfD und wählte als Schlagzeile die Frage "Und morgen das ganze Land?" Auch hier hagelte es sofort empörte Reaktionen. Der "Spiegel" betreibe Wahlwerbung für die AfD hieß es. Warum? Na, weil, weil, ja weil die AfD viel zu positiv auf dem Titelbild dargestellt werde.

OK, es muss ja nicht jeder die Schule noch zu anderen Gründen besucht haben, um in den Pausen Panini-Bildchen zu tauschen. Denjenigen, welche dort wenigstens noch Fragmente von Bildung abgriffen, wird vielleicht die Nähe der Schlagzeile zum Refrain des Baumann-Lieds aufgefallen sein, einem sehr bekannten Propagandalied des Dritten Reichs. Aber auch alle Anderen sollten den "Spiegel" gut genug kennen, um zu erkennen, dass eine provokante Fotomontage verbunden mit einer mehrdeutigen Titelzeile ein oft verwendetes Stilmittel dieses Magazins ist. Um daraus AfD-Propaganda zu konstruieren, muss man entweder intellektuell so zurückhaltend ausgestattet sein, um Ironie nicht zu erkennen, oder aber man will sie gar nicht erkennen, sondern sich lieber Lorbeeren mit dem Kampf gegen einen einfachen, weil nicht vorhandenen Gegner verdienen.

Das ist nämlich eine der großen Schwierigkeiten mit der AfD. Natürlich wimmelt es da von den üblichen Schwammköpfen, die ihre Bildungsferne bereits durch Orthografie der Abenteuerichkeit eines Indiana-Jones-Films demonstrieren, aber es gibt dort eben auch Leute, die im Deutschunterricht aufgepasst haben und sich nicht mit jedem einzelnen Satz der kompletten Lächerlichkeit preisgeben. Sich mit denen verbale Gefechte zu liefern, ist ebenso frustrierend wie aussichtslos, weil sie nicht aufgeben. Weil sie sich geschickt formulieren, den Stachel reizen, während sie selbst verbal auf dem Teppich bleiben. Weil sie auf jeden Fall das letzte Wort behalten wollen.

Einen solchen Gegner besiegt man nicht. Im Zweifelsfall ist er fanatischer und geduldiger. Wer ein Erfolgserlebnis haben möchte, sucht sich also auch hier Wildschweine. Mit anderen Worten: die "Zeit" oder den "Spiegel". Die nämlich legen noch Wert auf ihre Reputation. Deren Reichweite schadet es, der rechtsradikalen Szene zugerechnet zu werden. In deren Refaktionen sitzen Leute, die sensibel genug sind, selbst bei den absurdesten Anschuldigungen zu überlegen, ob nicht doch ein Funken Wahrheit in ihnen steckt. Die Wahrscheinlichkeit, beim Lostreten eines völlig abwegigen Shitstorms irgendeine Reaktion bei diesen Magazinen zu erreichen, ist deutlich höher, als wenn man versucht, eingefleischte AfD-Aktive zum Einlenken zu bewegen.

When your only tool is a hammer, every problem looks like a nail to you. Dieser Satz stimmt auch bei Ideologien. Wer erst einmal ein neues Feindbild zu identifizieren gelernt hat, wird dazu neigen, künftig auch dort den Feind zu wittern, wo er beim besten Willen nicht existiert. Das ist schlimm für die Betroffenen, die Bewegung selbst schnürt es jedoch zusammen. Siehe die Spanische Inquisition, die Hexenverfolgung, die Jakobinerherrschaft, den Volksgerichtshof, der McCarthyismus oder die stalinistischen Schauprozesse.

Was haben all diese Säuberungsaktionen gemein? Sie wendeten sich am Ende gegen ihre Protagonisten.

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