Freitag, 9. Februar 2018

Fertiggezockt

Am Ende der Koalitionsverhandlungen wurde noch einmal kräftig Pseudospannung aufgebaut. Oh nein, die erste Verlängerung, dann die zweite - es wird doch nicht etwa?

Natürlich nicht. Allen Beteiligten war klar: Diese Koalition kommt zustande, egal wie. Es kam nur noch darauf an, wer besser pokert.

Und besser gepokert haben, sehr zu meinem Erstaunen, die Spezialdemokraten. Natürlich kann man nicht sagen, sie hätten ihre Überzeugungen durchsetzen können. Dazu müssten sie welche besitzen. Außer der natürlich, dass sie um jeden Preis regieren wollen. Was ich nicht vermutet habe, ist, dass die CDU so sehr mit dem Rücken zur Wand steht, dass sie sich im Postengeschacher so weit runterhandeln lässt. Außenministerium: SPD. Finanzministerium: SPD. Innenministerium: CSU.

Besonders putzig finde ich das neu eingerichtete "Heimat"-Ressort. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass man die CSU so leicht  mit einem Verballeckerli ruhiggestellt bekommt. "Komm, darfst dich jetzt auch um die Heimat kümmern, wirst du wahrscheinlich genauso toll, wie ihr euch in den letzten vier Jahren ums Internet gekümmert habt, jetzt geh spielen." Natürlich ist es besorgniserregend, dass Seehofer Innenminister wird, aber wir haben auch Zimmermann, Schily, Schäuble und Kanther überstanden, da sollte es selbst Seehofer schwerfallen, einen neuen Negativrekord zu schaffen.

Andrea "Ätschi-Bätschi bis es quietscht" Nahles wird Parteichefin. Dann wird wohl bald das Pippi-Langstrumpf-Lied die Parteihymne. Zugegeben, mit einer siebenminütigen Rede auf dem SPD-Parteitag die Stimmung pro Koalition kippen zu können, ist eine Meisterleistung. Eine rhetorische Meisterleistung. Inhaltlich war die Rede dünn. Doch offenbar ist es genau das, was die Basis liebt: inhaltsleeres Gewäsch, emotional vorgetragen, und Claudia Roth war leider schon vergeben.

Den humoristischen Höhepunkt setzte ausgerechnet der ansonsten nicht gerade für Feinsinnigkeit und Sensibilität bekannte Noch-Außenminister Sigmar Gabriel, welcher der SPD "Wortbruch" vorwarf. Siggi, alter Freund und Chefstratege, kann es sein, dass du dich da ein ganz kleines bisschen verzockt hast? Ja, es war ein brillianter Schachzug vor dir, damals, vor einem Jahr als ungeliebter Parteichef beiseitezutreten, den bis dahin nahezu unbekannten Martin Schulz aufs Podest zu heben und sich zum Ruhestand ins Außenministerium zu verabschieden, einem Posten, auf dem selbst Klaus Kinkel nicht komplett inkompetent rüberkam. Schön hattest du es dir ausgemalt, denn so lange die SPD nicht ganz aus der Regierung fliegt, wird dein Nachfolger ja wohl kaum so undankbar sein, dich von diesem Posten wegzukicken.

Doch, ist er. Was überrascht dich daran? Du solltest deine Partei doch besser kennen, die SPD, deren oberste Würdenträger keine Überzeugung kennen, die sie noch nicht verraten haben. Wie viele Stunden hat es Heiko Maas gekostet, um vom großmäuligen Gegner der Vorratsdatenspeicherung zu deren glühenden Verfechter zu werden? Wer hat dafür gesorgt, mit der Agenda 2010 den Sozialstaat zu demontieren und damit die eigene Stammwählerschaft in die Armut zu treiben? Wer - ach egal, die Liste ist lang, und jetzt auf einmal jammerst du herum, dein Politclub, der sich den Wortbruch praktisch auf die Parteifahne gestickt hat, hielte seine Versprechen dir gegenüber nicht ein. Merkst du jetzt, wie sich das anfühlt? Dann weißt du, wie die Millionen Wähler fühlen, die euch inzwischen den Rücken gekehrt haben.

Auf Twitter werden in den kommenden Wochen noch die politischen Zaungäste herumtönen und den Eindruck erwecken, beim anstehenden Mitgliederentscheid sei die Entscheidung nicht schon längst gefallen. Leute, diese Befragung ist ungefähr so aufregend wie die Einkaufszone von Wanne-Eickel. Die Basis war immer schon für die "große" Koalition, und sie wird nicht so dumm sein, das erzielte Verhandlungsergebnis noch zu kippen. Sie feiern noch einmal die große Party am Vorabend der möglichen Katastrophe. Im Moment können sie nur verlieren. In vier Jahren (oder wie lange die Koalition hält) kann vieles passieren, und bei dieser Postenverteilung hat die SPD sogar eine wirkliche Chance, zu zeigen, dass sie mehr wert ist als 20,5 Prozent. Sollte der Versuch schiefgehen, dann zögert sich das Ende wenigstens um ein paar Jahre hinaus. Ich tippe auf mindestens 70 Prozent Zustimmung beim Mitgliederentscheid. Daran ändern die 24.000 Neueintritte auch nicht viel.

Wie vor vier Jahren häufen sich auch jetzt wieder Stimmen, die es für ein Unding halten, dass 463.723 Parteimitglieder die Geschicke des Landes bestimmen dürfen. Das sei verfassungswidrig. Freiheit des Mandats, Sie verstehen?

Ehrlich gesagt, nein. Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, dass der Mitgliederentscheid wieder eine Farce ist, weil die Parteiführung wider einmal mit Rücktritt droht, sollte das Parteivolk nicht nach ihrer Pfeife tanzen. Aber wenigstens gibt es überhaupt eine Möglichkeit, als Basis seine Meinung zu sagen. Ich finde es zwar auch befremdlich, dass Führungsgremien immer dann ihre Liebe zum Plebiszit entdecken, wenn sie keine Lust haben, eine Entscheidung zwischen mehreren gleichermaßen schlechten Optionen zu treffen und die Verantwortung dafür lieber dem Fußvolk in die Schuhe schieben, aber der Koalitionspartner kam ja nicht einmal auf eine derartige Idee. Da entscheidet irgendein Führungskader, und das soll demokratischer sein, oder wie sehe ich das?

Wenn ihr schon in die Verfassung guckt, dann lest bitte auch die Stelle über die Parteien. Die sind da nämlich ebenfalls erwähnt. Was ihr also theatralisch in 5 Verfassungsbeschwerden anprangert, ist ein Dilemma, das unserer Verfassung seit Staatsgründung innewohnt: Die Abgeordneten sind in ihrer Entscheidung frei, aber im Zweifelsfall lassen sie sich von der Fraktion oder der Partei vorschreiben, wie sie zu denken haben. Toll finde ich das auch nicht, aber wer sich mit Politik etwas mehr beschäftigt, als wichtigtuerisch im Grundgesetz zu blättern, merkt schnell: Für dieses Verhalten sprechen mehrere pragmatische Gründe. Nur ein Beispiel: Keine Abgeordnete hat auch nur die Chance, sich in alle Themen einzuarbeiten, über die sie im Plenum entscheidet. Sie hat ihre Spezialgebiete, beim Rest bleibt ihr gar nichts Anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass die anderen Spezialisten in der Fraktion über die anderen Themen Bescheid wissen. Natürlich ist das nicht ideal, aber setzt euch auch nur für eine Legislaturperiode in ein Parlament, dann wollen wir sehen, ob ihr euch immer noch so aufplustert.

Was mich viel mehr interessiert: Wie lang geht die Party? Bei allem Respekt vor dem, was die SPD herausschlagen konnte - der Erfolg ist riskant. Die CDU weiß, dass sie von einer Splitterpartei über den Tisch gezogen wurde, und diese Unzufriedenheit wird sich durch die kommenden Jahre hindurchziehen. Darüber hinaus wimmelt der Koalitionsvertrag nur so vor Wischi-Waschi-Bekundungen. Das ist einerseits gut, weil damit jetzt nicht einfach ein Vier-Jahres-Plan verabschiedet wurde, bei dem man nur noch ergeben ein Thema nach dem nächsten abhakt, auf der anderen Seite gibt es reichlich Konfliktstoff, wenn es irgendwann zum Schwur kommt und sich die Koalitionsparteien darüber einigen müssen, was sie da eigentlich vereinbart haben. Einfach Nasebohren und Aussitzen wird diesmal nicht funktionieren, denn im Parlament sitzen mindestens zwei populistische Parteien, die keine Gelegenheit auslassen werden, die tatenlose Regierung vorzuführen. Es werden also Entscheidungen verlangt, und was dabei herauskommt, wenn man schnell noch auf den letzten Drücker irgendein Gesetz durchpeitscht, haben wir zuletzt beim NetzDG gesehen.




Update:

Hömma, Genosse Schulz, das ist nicht lustig. Gerade habe ich mich auf deine letzte Volte eingeschossen, klicke "veröffentlichen", das trittst du zurück. Nicht, dass ich das nicht angemessen fände, aber hättest du das nicht etwas früher bekanntgeben können, vielleicht am Wahlabend?

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