Samstag, 27. Januar 2018

Putschkonzepte aus der Mottenkiste

Die SPD hat sich entschieden, knapp aber immerhin. Einen Tag lang haben ihre Funktionäre in Bonn debattiert, und nach allem, was man mitbekommen hat, war von der Basta-Rhetorik vergangener Jahre diesmal wenig zu spüren. Dafür spricht auch das für Parteitage ungewöhnlich ausgewogene Ergebnis. Üblicherweise gilt der Marschbefehl, die Parteioberen mit möglichst klarem Votum versehen zurück an die Arbeit zu schicken, damit sie dort gestärkt auftreten können. Ich hatte zwar nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sich der Parteitag zu einem Nein zu Koalitionsverhandlungen durchringen könnte, aber "klar" kann man das Votum nicht gerade nennen eher: "Geht hin und verhandelt, aber seid euch darüber im Klaren, dass wir ganz genau hinsehen, wie ihr euch anstellt."

Wie auch immer: Ein Ergebnis ist ein Ergebnis. Man mag - so wie ich - von der Großen Koalition und ihrer Neuauflage nichts halten, aber unter Demokraten sollte es zum guten Ton gehören, eine Niederlage zu akzeptieren.

Umso bizarrer erscheint mir der Versuch, den die sich bisher tapfer schlagenden Jusos auf einmal unternehmen: Sie werben massenhaft für Neueintritte, damit die so gewonnenen Mitglieder beim jetzt bald anstehenden Basisentscheid mit "Nein" stimmen und so die Große Koalition verhindern können. Ich frage mich, wie tief man sinken muss, um auf solche Ideen zu kommen.

That's not how it works


Punkt eins: Die Idee ist nicht neu. Im Gegenteil, zu alter Intrigantentradition der Spezialdemokraten gehört es seit Jahrzehnten, zu wichtigen Abstimmungen die Karteileichen zu aktivieren, damit sie das eine Mal zur Mitgliederversammlung gehen und brav für etwas stimmen, was man ihnen vorher als erstrebenswert eingetrichtert hat. Ich habe Kandidatenaufstellungen für Landtagswahlen erlebt, bei denen gut betuchte Bewerber ein paar Busse gemietet hatten, deren Insassen am Abend noch schnell die Beitrittsformulare ausfüllten, für ihren Sponsor stimmten und dann auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

Punkt zwei: Die Parteibasis ist nicht so wie die Funktionärsriege gestrickt. Innerhalb gewisser Grenzen lassen die gerne die Muskeln spielen, die Basis hingegen ist disziplinierter. Die hält traditionell zur Parteiführung, und ihrem Martin wird sie meiner Einschätzung nach kaum die Schmach bereiten, nach monatelangem Hin und Her am Ende eine Absage zu kassieren. Ja, die SPD hat Lust an der Selbstzerfleischung, aber wenn es zum Schwur kommt, steht sie treu zur Spitzenriege.

Punkt drei: Die Parteispitze ist nicht dumm. Im Zweifelsfall setzt sie als Stichtag für die Stimmberechtigung den 20.1.2018 an, also den Tag vor dem Bonner Parteitag, und dann dürfen die ganzen frischgebackenen Genossen stauned den alten Hasen beim Abstimmen zugucken.

Punkt vier: Die SPD ist zwar in den vergangenen Jahren stark geschrumpft, aber 440.000 Mitglieder sind schon eine nicht zu verachtende Zahl. Um hier durch Masseneintritte Mehrheiten zu kippen, braucht man schon etwas mehr als ein paar schmollende Jusos. Selbst bei der FDP, bei der es in der Vergangenheit ähnliche Versuche gab, gelang es nicht, sie auf diese Weise ernsthaft zu ändern.

Frischzellenkur


Das einzige mir noch halbwegs einleuchtende Argument ist das einer dringend nötigen "Verjüngungskur", wobei "jung" hier nicht wörtlich zu nehmen, sondern im Sinne von "Erneuerung" zu verstehen ist. Seit der Ära Kohl weiß die SPD nicht so recht, wo sie hinwill. Schröder kopierte Ende der 90er Tony Blairs neoliberalen Kurs und nannte es "neue Mitte" Das schien damals keine  schlechte Idee und die Frage zu beantworten, wo eine Arbeiterpartei, der aufgrund wirtschaftlicher Umstrukturierung die Arbeiter abhanden kommen, künftig Wähler finden will. Allerdings hieß dies auch, dass die SPD ihr Herz verlor. Sascha Lobo bezeichnete sie sehr treffend als "Technologiebewältigungspartei", eine Partei also, die unvermeidliche Änderungen im Arbeitsleben sozialverträglich mitgvollzog. Deswegen hielt sie noch während des Zechensterbens an der Steinkohle fest, deswegen ist sie noch mitten in der Klimakatastrophe Verfechterin der Braunkohle. Selbst Schröder konnte während seiner Regentschaft daran nichts ändern, zerstöre lieber die gesetzliche Krankenkasse und sorgte dafür, dass Arbeitslosigkeit endlich wieder existenzgefährdend ist. Heraus kam eine Partei, die für Grüne zu industriefreundlich, für Ökonomen zu unwirtschaftlich und für sozial denkende Arbeitnehmer schlicht unwählbar geworden ist. Hinzu kommt die völlig konfuse Art der innerparteilichen Auseinandersetzung.

Zwischen Kuscheln und Peitsche


Auf der einen Seite liebt die Partei den Streit. Sie hatte das kindische Gefetze schon Jahrzehnte vor der Zeit drauf, in der die Piraten sich auf diese Weise komplett demontierten. Im Gegensatz zu den Piraten kennt die SPD aber auch ein Gegenmittel: Den Basta-Macker. Typen wie Schröder, Steinmeier oder Gabriel, die demokratische Prozesse nur so lange respektieren, wie sie ihre eigene Position stützen und in allen anderen Fällen so lange herumschreien, bis sie ihren Willen durchgesetzt bekommen haben. "Führungsstärke" nennt die Basis das und fühlt sich davon angemacht wie Besucher eines SM-Studios. Ab und zu hat sie dann aber auch wieder die Nase voll, und sie setzt sich eher Kuscheltypen vor die Nase wie einst Scharping und jetzt Schulz. Denen tanzt sie eine Weile auf der Nase herum, bis ein neuer Zuchtmeister den Laden zur Räson bringt.

Kurz: Die SPD hat ein Autoritätsproblem. In beiden möglichen Ausprägungen. Die Frage ist, ob eine solche Struktur ein guter Nährboden für durch Neumitglieder initiierte Änderungen ist. Ich schließe es nicht gänzlich aus, habe aber meine Zweifel. Die Probleme der SPD sind über Jahrzehnte gewachsen. Die bricht man nicht mal eben so auf, zumal längst nicht alle Mitglieder Grund zur Veränderung sehen. "Hey, wir sind, von einem kurzen schwarz-gelben Intermezzo abgesehen, seit 1998 in der Regierung. Alles läuft super. OK, die Wahlergebnisse sehen nicht so toll aus, aber das wird schon wieder." Es ist eine Binsenweisheit unter Therapeuten, dass Paradigmenwechsel nicht ohne Zwang entstehen. Suchtkranke müssen erst einmal kräftig gestürzt sein, um zu verstehen, dass sie etwas ändern müssen. So schlecht die SPD auch gerade dastehen mag - um sich von ein oaar Neueintritten aus dem Konzept bringen zu lassen, geht es ihr noch zu gut. Selbst, wenn sie jetzt auf eine Regierungsbeteiligung verzichtete, wüsste sie, dass sie sich jederzeit wieder in eine Große Koalition flüchten kann. Ich fürchte, um sich wirklich verändern zu können, muss die SPD in die Größenordnung der AfD oder FDP schrumpfen, und dann haben wir noch ein ganz anderes Problem.

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