Es muss schon einiges zusammen kommen, bis in diesem Land Wähler einen nahezu unbekannten Kandidaten ins Ministerpräsidentenamt hieven. Das geschah jetzt in Schleswig-Holstein, wo die CDU es schaffte, einen Rückstand von sechs Prozentpunkten in den Umfragen in einen soliden Vorsprung von beinahe fünf Prozent am Wahlabend zu verwandeln. Nun wissen wir alle, dass Meinungsforscher sich bisweilen Methoden bedienen, mit denen man auch die Horoskopspalte der Hörzu schreiben könnte, aber dass die Wahl derart deutlich ausfallen könnte, hätte vor wenigen Wochen niemand ernsthaft geglaubt.
Mit dem Debakel in Schleswig-Holstein droht der SPD das, was sie monatelang gemieden hat wie der Teufel das Weihwasser: Wahlkampf mit Inhalten. Mit klaren Positionen und Abgrenzungen. Das fällt den Spezialdemokraten schwer, haben sie doch in ihrer Gier nach Regierungsmacht so viele ihrer Überzeugungen verraten, dass sie in Ermangelung eigener Werte inzwischen welche verraten, die vor 10 Jahren noch nicht einmal die ihren waren. Darüber täuscht auch das zehnte Schulzzug-Lied auf Youtube nicht hinweg, über das wir alle pflichtschuldig einmal gelächelt haben, obwohl es ganz schön peinlich war.
Noch herber als die SPD hat es die Piraten erwischt. Erklärungsversuche gab es hierfür viele, klarer wird es, wenn man sich die Wählerwanderung ansieht. Hier erkennt man, dass 45.000 der 76.000 AfD-Wähler von den "Sonstigen", also größtenteils von den Piraten kommen. Heißt dies, dass zigtausend Nazis vorher die Piraten unterwandert haben, bevor sie zur AfD wechselten? Nein, das heißt, dass es ein Potenzial von etwa 50.000 Menschen gibt, die mit dem Parteienangebot so unzufrieden sind, dass sie in ihrer Verzweiflung alles einmal durchprobieren, was irgendwie neu aussieht. Das heißt aber auch, dass die AfD in vier Jahren auch wieder verschwunden sein kann, weil sie aus Sicht der Protestwähler dann auch zu "denen da oben" gehört, denen man "es mal so richtig zeigen" muss. Gänzlich überflüssig scheinen die Piraten in Schleswig-Holstein nicht gewesen zu sein, brachten sie die gemütliche Sitzungsrunde zumindest so durcheinander, dass sie mit Ausfällen wie „Ich bedaure die Menschen, die vor Ihnen stehen, wenn Sie wieder Richter sind.“, „Ich frage mich einmal mehr, wer Sie zum Richter gemacht hat.“ und „Ich glaube, dass Sie in Teilen autistische Züge haben.“ zeigte, wie es hinter der würdevollen Fassade der erlesenen Parlamentarier aussieht. Von langjährigen Politik-Profis hätte ich etwas mehr Selbstbeherrschung erwartet, auch wenn sie infantil provoziert werden. Aber na gut, das ist von Provinz-Possenreißern wie Ralf Stegner und Wolfgang Kubicki wohl zu viel verlangt. Wir dürfen gespannt sein, ob sich ähnlich wuchtig in den Kampf gegen die AfD werfen werden.
Interessant wird auch die jetzt anstehende Wahl in Nordrhein-Westfalen. Hier deutet derzeit vieles auf eine SPD-Mehrheit hin, wobei das bisherige Rot-Grün-Bündnis nicht ausreichen wird. Zusammen mit dem Loser-Image, das der SPD inzwischen wieder anhaftet, könnte es für Ministerpräsidentin Kraft eng werden, und sollte sie es nicht schaffen, zuckelt der Schulzzug überall hin, aber nicht ins Kanzleramt.
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