Jahrelang wurde gepredigt, die Nazis könne man ganz leicht an ihrer Rhetorik erkennen. Wenn jemand von "Denkverboten" spricht oder den Satz "Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen" von sich gibt, weiß man sofort: Nazi. Nehmen wir das für den Moment hin und behalten es im Hinterkopf.
Blicken wir jetzt auf den Morgen den 1. Januar 2017. Ich musste an diesem Tag nur in meine Timeline schauen, um zu wissen: Das alte Jahr mag gegangen sein, die Bescheuerten sind jedoch geblieben, und sie haben kein Bit dazugelernt. Erinnern wir uns an den Morgen des 1. Januars 2016. Da gab es ein großes Aufregerthema: Sexuelle Übergriffe auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz. Das Dumme war nur: Die Täter gehörten einer weiteren Opfergruppe an und das führt zu einem argumentativen Deadlock. Das ist ungefähr so, als wenn Tierschützer feststellen, dass Eisbären Robbenbabys essen. So zwei niedliche Tiere, die sind doch beide bedroht, wie können die sich gegenseitig auffressen? Was drucken wir jetzt auf unsere Flugblätter?
Es gab Versuche, die Situation argumentativ zu drehen, indem man von ausländisch Aussehenden auf Männer im Allgemeinen überleitete, doch das verfing nicht so recht. Für das Narrativ: "Alle Männer sind potenzielle Vergewaltiger und müssen entsprechend bekämpft werden" ist das Land noch nicht verflauscht genug. Wir arbeiten daran.
Letztlich bot das Jahr 2016 aber mehr als genug andere Säue, die man durchs Dorf treiben konnte, und so fachsimpelten wir kurz darauf über "Hate Speech", "Darknet" und "Fake News", worauf die Silvesternacht in Vergessenheit geriet.
Völlig unerwartet kam schließlich der 31.12. Diesmal jedoch wollte sich die Polizei nicht vorwerfen lassen, tatenlos zuzusehen und marschierte gleich in Armeestärke auf. Am Ende passierte: nichts.
Alles gut, könnte man meinen, aber so leicht lässt sich die Empöreria den veganen Aufstrich nicht vom Brot nehmen. Der massive Polizeieinsatz sei geradezu ein rassistisches Fanal gewesen, trötete meine Timeline. Es könne ja wohl nicht angehen, dass die Polizei diejenigen besonders kontrolliere, die denen optisch ähneln, welche im Vorjahr auffällig geworden waren und diese Leute auch noch, jetzt festhalten, "Nafris" nenne.
Sagen diejenigen, die von "Flümis" sprechen.
So bekam die Polizei reichlich Feuer. "Racial Profiling" war das Zauberwort, also das Aussortieren von Menschen allein anhand ethnischer Merkmale.
Ich weiß nicht, ob irgendwer von denen, die sich gerade so aufplustern, einmal zur Stoßzeit am Kölner Hauptbahnhof war. Laut Wikipedia laufen täglich über 280.000 Menschen da durch, das sind im Durchschnitt 200 pro Minute. Jetzt überlegen Sie einmal, wie man diese Zahl Menschen kontrollieren will, ohne gleich den ganzen Bahnhof lahmzulegen. In einer solchen Situation fängt man an, in Sekundenbruchteilen zwischen verdächtig und unverdächtig zu entscheiden, und bei dieser Geschwindigkeit ist man per definitionem rassistisch, sexistisch, was auch immer.
Das ist nicht gut, aber wie lautet der Gegenvorschlag? Hätten die Polizisten mit allen Passanten ein mehrminütiges Gespräch führen sollen, in dessen Verlauf man sich gegenseitig seiner Wertschätzung versichert? Kinder müssen für eine Viertelstunde ins Bällebad, wo sie unter pädagogischer Aufsicht zeigen müssen, dass sie keine Vergewaltigungsabsichten hegen? Jede Wette, am Ende beschwert sich jemand darüber, dass Sebastian-Maximilian eine Allergie gegen die Lösungsmittel in den Bällen und sich am linken Unterarm einen ganz hässlichen Ausschlag zugezogen hat.
So ließ die Gegenreaktion nicht lang auf sich warten, und im Verlauf des 3. Januars keilte die Konservative ebenso plump zurück, wie zuvor auf die Polizei eingedroschen wurde. Die habe nämlich "alles richtig gemacht", und diese Schlussfolgerung ist ebenfalls Quatsch. Gerade in Sicherheitsfragen lässt sich nämlich nur sehr schwer der Beweis führen, dass eine bestimmte Maßnahme Wirkung hatte - eben, weil nichts passiert ist. Auf die Silvesternacht bezogen heißt das: Vielleicht wäre auch nichts passiert, wenn kein einziger Polizist sich hätte blicken lassen. Vielleicht hat allein schon deren Präsenz gereicht, und die Kontrollen wären nicht nötig gewesen. Vielleicht haben die Kontrollen geholfen, wobei die gewählten Kriterien aber nur zufällig auch die richtigen Leute erwischt haben. Man weiß es einfach nicht, und wir werden es auch nie wissen.
Das Bizarre passiert allerdings in diesen Stunden: Diejenigen, die vor drei Tagen noch kräftig gegen die Polizei ausgeteilt haben, beklagen sich jetzt, dass die Antwort ebenso grob ausfiel. "Man muss hinterfragen dürfen", heißt es. "Die Debatte muss erlaubt sein." Na, kommt Ihnen der beleidigte Tonfall bekannt vor? Genau, so etwas kennen wir normalerweise von der Pegida.
Das Problem an der Debatte um den Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht ist nicht, dass sie geführt wird. Es geht wieder einmal darum, wie sie geführt wird und mit welchem Kenntnisstand sie geführt wird. Wir sind ja schon daran gewöhnt, ein Volk von Bundestrainern und Bundeskanzlerinnen zu sein. Jetzt sind wir also auch noch alle Experten für Polizeieinsätze bei Großveranstaltungen. Es war eine idiotische Idee, mit dem gesamten Kampfvokabular, das die linke Klamottenkiste zu bieten hat, auf die Polizei loszustürzen, weil sie den Begriff "Nafri" benutzte. Es ist eine idiotische Idee, die Polizei zu Säulenheiligen zu stilisieren. Was wir im Moment sagen können, ist: Der Einsatz hat zumindest nicht dazu geführt, dass sich die Übergriffe der Neujahrsnacht 2016 wiederholten. Jetzt kann man in aller Ruhe sehen, ob sich da etwas verbessern lässt. Wir haben ein Jahr Zeit. So lang hält kein Social-Media-Großmaul durch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen