Sonntag, 1. Januar 2017

33C3 - kind of works for me

Das war's. 12.000 Nerds brechen in diesen Stunden auf, um nach dem Ende des 33C3 wieder in eine Welt aufzubrechen, in der gegenseitige Rücksichtsnahme, Respekt und Mitdenken keine allgemein gelebten Werte sind, sondern Egoismus, Verlogenheit und rücksichtsloses Durchboxen. Wer es nicht glaubt, möge auf dem Congress und in einer Fußgängerzone ein Portemonnaie auslegen und sehen, was passiert.

Es war wieder einmal großartig: bunt, entspannt, ausgelassen, albern. Es gab wieder einmal eine riesige Auswahl an Vorträgen. Wer die Vorträge nicht sehen konnte oder wollte, weil Treffen in der Analogwelt größeren Seltensheitswert haben, sah entweder den Stream oder die meist innerhalb weniger Stunden hochgeladenen Aufzeichnungen, bei Bedarf auch mit Untertiteln oder Simultanübersetzungen in Englisch und Französisch. Der Kommentar eines Physikers lautete: Auf dem Congress lernt man, wie Konferenzen eigentlich sein sollten.

An der eigenen Beliebtheit ersticken

Die hohe Qualtität und die steigende Beliebtheit sind es allerdings auch, die dem Congress schon seit Jahren Schwierigkeiten bereiten und jetzt eine kritische Größenordnung erreicht haben. Seit drei Jahrzehnten lautete die Reaktion auf überfüllte Veranstaltungshäuser, dass man einfach in das nächst größere umzog. Zweimal musste man hierzu die Stadt wechseln, und in beiden Fällen stellte sich die Entscheidung als sehr gelungen heraus. Als der Congress vor vier Jahren in das größte Kongresszentrum Deutschlands umzog, lautete die allgemeine Einschätzung: Hier bleiben wir eine Weile. Das Haus fasst 12.000 Menschen, wann sollen wir diese Zahl jemals erreichen?

Die Antwort lautete: 2015. Schlimmer: noch während des Vorverkaufs Anfang Dezember. In diesem Jahr wurden deshalb begründete, wenn auch für die Benachteiligten schmerzhafte Maßnahmen ergriffen: In einer ersten Charge bekamen die Engel des 32C3 die Gelegenheit zum Ticketkauf. Erst dann konnten die Erfakreise ihre Mitglieder versorgen. Die verbleibenden 6.000 Karten wurden in drei Chargen frei verkauft. In allen drei Fällen dauerte es nur wenige Minuten, bis alle Tickets vergriffen waren. So sehr ich die Entscheidung verstehe, erst die Helfer, dann die Mitglieder und zum Schluss den Rest zu versorgen, so sehr schmerzt mich zu sehen, wie verzweifelt Leute bisweilen nach Tickets suchten. Da hat man Urlaub genommen, ein Hotel gebucht, die Bahnfahrt geplant, nur um hilflos zu erleben, wie Sekunden nach Start des Vorverkaufs schon mehrere Tausend Anmeldungen geklickt wurden und die Chancen, selbst noch eine Karte zu bekommen, praktisch auf null sinken. So absurd es klingt: Ich bin fast froh, dass durch die jetzt anstehende Renovierung des CCH es nicht möglich ist, weiter in diesem großartigen Haus zu bleiben, der Club eine wichtige Entscheidung nicht weiter aufschieben kann und jetzt Farbe bekennen muss, wohin er sich entwickeln will.

Beim Eröffnungszeremoniell wird es immer wieder betont: Schaut her, wie offen, einladend, freundlich und groß wir sind. Gleichzeitig merkt man aber auch deutlich, wie die Popularität der Veranstaltung einigen Leuten gehörig zu Kopf gestiegen und die scheinbare Offenheit tatsächlich die Eitelkeit ist, auf einer Veranstaltung zu sein, zu der viele Leute möchten, die Teilnahme aber nur einer erlauchten Elite vorbehalten ist.

Im Vorfeld und während des Congress habe ich mit vielen Leuten über die Ticketknappheit diskutiert und immer wieder die Bemerkung gehört, man solle sich nicht so anstellen. Wer ein Ticket hätte haben wollen, hätte eines bekommen können.

Bullshit.

Selbst clubintern fließen Informationen mitunter durch reichlich versumpfte Kanäle. Wer nicht ständig in Hackspaces herumhängt, musste zumindest dessen Mailinglisten aufmerksam lesen, und selbst dann kam es vor, dass Vouchercodes trotz mehrfacher Bitten einfach nicht zugeschickt wurde, weil die Zuständigen einfach unzuverlässig waren. In diesem Zusammenhang ist die Behauptung geradezu zynisch, man hätte einfach nur ein Clubmitglied kennen müssen und hätte einen Voucher bekommen. Noch schlimmer war die Lage für diejenigen, denen der Club allgemein egal ist, die aber auf die viertägige Veranstaltung Lust haben. Wenn der Club wirklich so offen ist, wie er es gern von sicb behauptet, ist der Congress auch für diese Leute da. Von Externen zu verlangen, ständig auf irgendwelchen Eventblogs herumzuklicken, um die neuesten Kniffe zu lernen, wie man noch an Tickets kommen kann, ist keine Offenheit, sondern die Arroganz der Eingeweihten.

Die wieder einmal erreichte Kapazitätsgrenze führte zu den bereits bekannten Effekten absurd langer Schlangen beim T-Shirt-Verkauf und überfüllten Vorträgen, in denen garantiert nicht wegen des Themas so viele Leute saßen, sondern um für Stunden später stattfindende Veranstaltungen Plätze zu ergattern. All das kannte man schon aus den vergangenen Jahren, allerdings waren diesmal die Warteschlangen noch länger, die Säle noch früher überfüllt. Eine weitere Blüte trieb das Engelteam. Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass die Engel des letzen Jahres ein Vorkaufsrecht auf die 33C3-Tickets hatten, T-Shirts bekamen und darüber hinaus extrem gutes Essen bekamen. Als Ergebnis schrieben sich so viele Engel ein, dass die Registrierung geschlossen werden musste. Freie Schichten waren kaum zu haben, bei der Essensausgabe stauten sich die Wartenden fast bis auf den Gang hinaus, und bei den Essensmarken kam es zur Inflation. Waren die Engel früher eine verschworene Gruppe, sind sie jetzt eine gegeneinander konkurrierende, anonyme Masse, und wenn der Andrang auf den Congress in den nächsten Jahren anhält, wird sich dieser Effekt noch mehr verstärken. Natürlich könnte man die vielen kleinen Belohnungen streichen, aber was für ein Signal wäre das für diejenigen, die wirklich helfen wollen und Dank mehr als verdient haben?

Größer oder kleiner?

Zumindest offiziell ist die Entscheidung noch nicht gefallen, wo der nächste Congress stattfinden wird. Ich bin gespannt, denn in der Wahl des Veranstaltungsorts wird sich zeigen, wie wichtig dem Club das Image ist, nicht ein elitärer kleiner Hackerverein, sondern gesellschaftlich relevant zu sein. Wählt man einen kleineren oder zumindest nicht größeren Ort als das CCH, heißt das: Wir kuscheln uns in unsere Hackspaces, bilden uns wer weiß was auf unsere schwarzen Hoodies ein, und die Welt um uns herum hat uns gefälligst zu bewundern. Das wäre ein Schritt zurück in die Anfangsjahre. Das wäre vor allem nicht der Club, der mit einer Meldung in den Hauptnachrichten eine gesellschaftliche Debatte beeinflussen und mit Gutachten in Verfassungsgerichtsprozessen die Politik des Landes ändern kann. Wählt man einen größeren Ort, verfolgt man damit einen Weg, den der Club schon seit Jahren geht. Er wird sich ändern, so wie er sich in der Vergangenheit mehrfach geändert hat. Ich finde das gut so. Der Club ist keine Blinkenlight-Version der AfD, die am liebsten wieder zurück in die Fünfzigerjahre möchte. Der Club steht wie kaum eine andere Organisation für die Zukunft, und da sehen Dinge nun einmal anders aus.

Eine mögliche Expansion wird logistisch erstmals wirklich herausfordernd. In den bislang verwendeten Kongresszentren musste man vielleicht die Vortragsräume mit Stühlen versehen. Die wesentliche Infrastruktur war aber schon vorhanden. Jetzt muss man aber zumindest teilweise auf Messehallen zugreifen, und da müsste eine Bühne her, Stühle, eine Lautsprecheranlage und nicht zuletzt Stühle von einem externen Anbieter, weil sie lokal nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Darüber hinaus sind Messehallen hoch, sie haben eine schlechte Akustik, und im Winter sind sie auch noch schlecht zu beheizen. Auf der anderen Seite ist es nicht so, als gäbe es keine Ideen, mit solchen Situationen umzugehen. Der CCC ist in der Lage, innerhalb weniger Tage auf einer Wiese mitten im Nichts ein Camp für 4.000 Menschen anzubieten, komplett mit Vortragszelten, Strom, Wasser, Duschen, Toiletten und Internet. Da fällt es mir schwer, zu glauben, im fiele nicht etwas zu ein paar Messehallen ein. Zur Not fragt man bei den Veranstaltern des evangelischen Kirchentags nach. Die wissen, wie das geht.

Kinder, Hoverboards und Händewaschen

Was gab es auf dem 33C3 Neues? Viele Kinder, mehr als in den vergangenen Jahren, und die hatten ihren Spaß. Ich werde immer etwas sentimental, wenn ich das sehe, weil das meiner Meinung nach die schönste Entwicklung ist. Die Hacker der ersten Congresse sind in die Jahre gekommen und haben Kinder in die Welt gesetzt, die nun ihrerseits zum Congress gehen. Der Kreis schließt sich. Der Club wird langsam an die nächste Generation übergeben. Abgesehen davon kann das Klischee vom ewig einsamen, asexuellen Nerd nicht stimmen.

Eine zweite Entwicklung ist zwar weniger relevant, aber auch sehr augenfällig: Hoverboards. Waren auf dem 32C3 vielleicht ein oder zwei unterwegs, waren es diesmal Dutzende, und wie immer, wenn man chronisch nicht Erwachsenen ein Spielzeug hinstellt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dabei Blödsinn herumkommt. So gab es Versuche, was passiert, wenn man mehrere Getränkekisten auf der Trittfläche stapelt und sich darauf stellt. Es gab eine Polonäse. Ich finde zwar immer noch, dass man auf den Dingern komplett dämlich aussieht, aber Spaß bringen sie auf jeden Fall.

Die dritte Entwicklung war kaum augenfällig, aber enorm relevant: Händewaschen. Jahr für Jahr haut die Congressgrippe etliche Teilnehmer mit durch Schlafmangel geschwächtem Immunsystem außer Gefecht. Vor zwei Jahren war es besonders schlimm, als eine Magen-Darm-Infektion schon glech zu Beginn Hunderte erwischte. Ärzte sagen es immer wieder, aber auf dem Congress kann man es besonders gut belegen: Gegen die üblichen Infektionen helfen keine Zuckerkügelchen, Vitamintabletten oder Medikamtentencocktails, sondern ganz schlichtes Händewaschen. Nach Möglichkeit mit warmem Wasser. Mit einer ordentlichen Portion Seife und vor allem: lang, also mindestens 20 bis 30 Sekunden. Häufig und selbstverständlich nach jedem Toilettengang. Natürlich vor jedem Essen. Ich kenne zwar keine offiziellen Zahlen, aber nach dem, was ich an den Waschbecken beobachtet und in Gesprächen gehört habe, blieb die große Infektionswelle in diesem Jahr aus, und das mit Sicherheit auch, weil die Leute einfach gelernt haben, dass gründliches Händewaschen hilft.

Fazit

Es war ein schöner, gelungener, aber nicht der schönste, gelungenste Congress. Ich bin gespannt, wohin er sich entwickeln wird. Wieder einmal haben 12.000 Menschen gezeigt, wo unsere Gesellschaft sein könnte, wenn die Leute mehr mitdenken, mehr Rücksicht nehmen und mehr Initiative zeigen. Gleichzeitig wird klar, dass der Congress sich wieder einmal ändern muss. Ich bin gespannt, wohin die Reise geht.

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