Gratuliere, Sie haben eben Tempo 100 auf Autobahnen zugestimmt.
"Ja, also, nee, das ist ja was Ganz Anderes. Man darf nicht Äpfel mit Birnen- freie Fahrt für freie Bürger*innen. Einself."
3.377 Verkehrstote im Jahr 2014 in Deutschland. Das ist ungefähr 25mal Paris, also etwa alle zwei Wochen ein Terroranschlag dieser Größenordnung. Sehen Sie deswegen massenweise in den Nationalfarben gehaltene Twitter- und Facebook-Avatare? Gibt es dazu auch nur einen ARD-Brennpunkt? Wann hat die Bundesregierung anlässlich eines Verkehrsunfalls zuletzt landesweit Trauerbeflaggung angeordnet? Ruft die Kanzlerin den Notstand aus? Findet auch nur eine Zeitung dazu mehr als ein paar nüchterne Zeiten im Lokalteil? Wo ist das sozialmediale Wetteifern um den betroffensten Tweet, das trauerndste Facebook-Posting? Wer bleibt angesichts dieser furchtbaren Todesdrohung daheim und schreibt schwülstige Blogbeiträge über das Klima der Angst, das über der Nation liegt? Wo bleibt die Forderung der CSU, alle BMW-Fahrer vorsorglich in Haft zu nehmen, besser noch: des Landes zu verweisen?
Na gut, man kann den Leuten nicht vorschreiben, welche Emotionen sie haben sollen. Trotzdem befremdet mich die Hysterie, Planlosigkeit und Dummheit, mit der die die Meisten gerade auf die Anschläge reagieren. Besonders befremdet mich das unprofessionelle Verhalten des Bundesinnenministers.
Dass sein Vorgänger Friedrich mit schon fast mitleiderregender Trottelhaftigkeit durchs Amt stolperte, muss an dieser Stelle nicht wieder ausgewalzt werden. Von de Maiziere war man aus dessen erster Amtsperiode allerdings Besserers gewohnt. Er galt nicht gerade als liberal, aber sachkundig und besonnen. Was er sich aber als Krisenmanager nach den Pariser Anschlägen leistete, ist ein Musterbeispiel dafür, wie man in solchen Situationen auf keinen Fall handeln sollte:
- Den Mund ordentlich voll nehmen. Noch hat man keine Ahnung, worum es eigentlich geht, aber das Fußballspiel des deutschen Nationalteams gegen das niederländische findet statt. Als Zeichen, dass sich die freie Welt nicht dem Terror beugt.
- Nachdem man so richtig doll die dicke Hose markiert hat, hastig zurückrudern und das Spiel doch absagen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich finde es völlig in Ordnung, eine Gefahr als so konkret einzuschätzen, dass man eine Veranstaltung absagen lässt. Ich möchte im Zweifelsfall auch nicht in der Haut desjenigen stecken, der nach einem Anschlag erklärt, warum man ihn nicht verhindert hat, wenn die Hinweise doch so deutlich waren. Ich hätte allerdings vorher nicht den Fehler begangen, das Ereignis zum Fanal gegen den Terrorismus zu stilisieren. So hingegen sendet die Absage nur eine einzige, dafür aber besonders klare Botschaft: Der Terrorismus ist stärker als die Demokratie.
- Das allerletzte, wozu ich mich hinreißen ließe, wäre eine Pressekonferenz, bei der ich diese an Dummheit nicht zu überbietenden Sätze fallen ließe: "Die Quelle und das Ausmaß der Gefährdung möchte ich nicht weiter kommentieren." [...] "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Auf keinen Fall bäte ich dann noch die "deutsche Öffentlichkeit um einen Vertrauensvorschuss".
OK, es geht noch dümmer als de Maiziere. Beispielsweise hat sich ein gewisser Alan Posener zu Wort gemeldet und verkündet, ein Krieg, so ein richtig schicker Krieg, der sei es, mit dem man dem Muselmann zeigen könne, wo es langgeht: "Man kann mit einem Krieg nämlich viele Terroristen töten, was eine gute Sache ist. [...] Man kann den Terroristen zeigen, dass wir viel stärker sind als sie, was eine gute Sache ist und Möchtegern-Terroristen abschrecken dürfte, was auch eine gute Sache ist."
Für alle, deren IQ leider nur reichte, um ein paar Artikel für die "Welt" zusammenkritzeln zu dürfen: Die Erfolgsstatistik von Kriegen ist miserabel. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen haben sie keine Probleme gelöst, sondern allenfalls dafür gesorgt, dass der Gegner sich eine Weile lang nicht rühren konnte. Besonders schlecht hingegen sieht die Bilanz aus, wenn Kriege gegen Terroristen geführt wurden. Das hat die Sowjetunion gegen die Taliban in Afghanistan versucht - und verloren. Deswegen haben es die USA gleich darauf noch einmal probiert - und haben die Sache nicht im Griff. Die USA waren im Irak - nicht einmal, sondern gleich zweimal. Auch hier kann nicht einmal im Ansatz die Rede davon sein, die Situation unter Kontrolle zu haben.
Wenn Staaten Kriege führen, brauchen sie irgendetwas staatenähnliches als Gegner, sonst greift ihre Taktik nicht. Deswegen war es möglich, den zweiten Weltkrieg zu gewinnen, und deswegen scheiterten die technisch weit überlegenen USA in Vietnam. Armeen brauchen andere Armeen als Gegner. Soldaten müssen als solche klar erkennbar und von Zivilisten unterscheidbar sein. Terroristen halten sich aber nicht an diese Regel. Sie tauchen unter, und oft erkennt man ihre Absicht erst, wenn es zu spät ist. Wer wie Posener fordert, in einem Krieg viele Terroristen zu töten, nimmt in Kauf, gleichzeitig massenweise Zivilisten zu töten, deren einziges Verbrechen darin bestand, zufällig in der Nähe gewesen zu sein, als man die Terroristen tötete. "Tötet sie alle! Gott kennt die Seinen schon (Caedite eos! Novit enim Dominus qui sunt eius)" ist eine Geisteshaltung aus dem Albigenserkreuzzug 1209. Man hätte hoffen können, dass Posener die 806 seitdem vergangenen Jahre in irgendeiner Form zur Kenntnis nimmt.
Noch peinlicher ist nur noch der Anspruch, den Terroristen zeigen zu wollen, wer der Stärkere ist. Die Welt ist kein Marvel-Comic, in dem Superhelden sich tüchtig gegenseitig eins auf die Omme geben, und dann die Sache geregelt ist. Zivilisatorische Überlegenheit zeigt man nicht, indem man wie pubertierende Teenies unter der Dusche das Lineal hervorholt. Wer Terroristen mit Krieg antwortet, lässt sich genau auf deren Provokation ein und kann aus den oben genannten Gründen nicht gewinnen.
So schwer es im Moment auch zu glauben sein mag: An der Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag ums Leben zu kommen, hat sich durch die Ereignisse in Paris nichts geändert. Sie rangiert immer noch unter ferner liefen, weit abgeschlagen hinter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs mit 578.335 Toten in Deutschland im Jahr 2013. Statt wie 91 Prozent der Deutschen den Überwachungsstaat herbeizubeten, könnten Sie einfach weniger fettes Zeug in sich hineinstopfen und sich mehr bewegen.
Aber das wäre vernünftig, und damit hat's der Deutsche nicht so.
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