Vier Jahre, ungefähr da dürfte es sein. In diesem Alter beginnen Kinder das Spiel mit den sprachlichen Verboten. Dass man bestimmte Worte nicht sagen darf und dass es dafür Ärger gibt, haben sie inzwischen gelernt. Umso interessanter ist es, wenn man sich unter seinesgleichen, also anderen Vierjährigen, befindet, einander zu zeigen, wie ungeheuer mutig man ist, wie kreativ und witzig man sich über die Verbote der Eltern hinwegsetzt. Einer fängt an: "Du Pupsi." Gekicher. Doch da ist noch was drin. "Pupsikaka", kontert ein Anderer. Noch mehr Gekicher. Aber das war noch längst nicht alles. "Pupsikakapups", legt einer drauf. Allgemeines Gepruste. Doch der König der Kleinkindcomedy ist noch nicht gekrönt. Sie glauben gar nicht, zu welchen Ausflügen in die Welt der Substantivungetümer so ein vierjähriges Gehirn fähig ist.
Doch, Sie wissen es natürlich, denn das Netz wimmelt nur so von Vierjährigen - zumindest solchen, die geistig dieses Alter niemals verlassen haben. Viele von ihnen halten sich für Politiker und diskutieren deswegen lautstark die Belange dieser Welt. Dabei schrecken sie wie ihre großen Vorbilder vor keiner Niveauunterschreitung zurück. Der Punkt, an dem mit Wucht das untere Ende der Skala erreicht ist, wurde vom US-amerikanischen Juristen Mike Godwin als der Moment identifiziert, in dem der erste Diskussionsteilnehmer Nazivergleiche zieht, etwa solche: "Du verteidigst hier ein Gesetz, das schon unter den Nazis täglich Anwendung fand." (Gemeint ist die Gravitation.) "Du zitierst Hitler" (der nämlich auch gelegentlich "guten Tag" gesagt hat). Man kann natürlich auch gleich mit dem Nazivergleich in die Debatte einsteigen, indem man beispielsweise von "Datenschutz-Nazis" spricht und sich dann lauthals beklagt, dass die Leute auf die eigene feinsinnige Argumentation nicht eingehen, sondern eine Metadebatte führen wollen. Ich finde es auch immer komisch, dass Leute, die ich mit Dreck beschmeiße, so kleingeistig darauf bestehen, dass ich ihre Kleidung reinige, dabei wollte ich mit ihnen doch über ganz andere Dinge reden. Warum stellen die sich so spießig an?
Weil die Nazinummer schon seit Jahrzehnten ausgelutscht ist. Spätestens, seit Kohl Gorbatschow mit Goebbels und Brandt Geißler mit Goebbels verglich, sollte klar sein, dass selbst betrunkene Schimpansen kurz vor der Bewusstlosigkeit solche Vergleiche anstellen können und dass der Nazivergleich den Vergleicher mehr disqualifiziert als den Verglichenen. Vor über 40 Jahren haben die 68er mit dem Versuch angefangen, den politischen Gegner zu diskreditieren, indem sie ihm geistige Verwandschaft mit Nationalsozialisten vorwarfen. Damals mag diese Strategie auch noch funktioniert haben, weil sich das Land mit einem komplett verdrängten Dritten Reich zu beschäftigen hatte, heute aber wird jeder Schüler mindestens zwei- bis dreimal in seiner Schullaufbahn mit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts getrietzt. Wissen Sie, wie die auf das Thema Nazis reagieren? Mit Gähnen.
Nazivergleiche wurden so unfassbar oft von so unfassbar dummen Menschen auf so unfassbar dumme Weise gezogen, dass man sich beim Rückgriff auf den rhetorischen Holzhammer in sehr schlechte Gesellschaft begibt. Wenn einem Komiker nichts mehr einfällt, greift er zu Sexwitzchen. So gesehen sind Nazivergleiche die Sexwitzchen des Politikers. Ich wurde über Jahrzehnte aus nahezu allen politischen Lagern als Nazi bezeichnet - weil ich für Computer war, weil ich gegen die zu leichtsinnige Nutzung von Computern war, weil ich für Gleichberechtigung eintrat, weil ich gegen Gleichberechtigung mit der Brechstange war, weil ich für Ausländerintegration war, weil ich Schwierigkeiten bei der Integration sah. Könnt ihr Dummköpfe euch endlich einmal auf eine einheitliche Definition für "Nazi" einigen und nicht einfach alles so bezeichnen, was außerhalb eures verkrusteten Weltbilds agiert? Merkt ihr nicht, dass euer Geschrei ähnlich wie in der Geschichte ist, in der jemand einmal unnütz "Feuer!" schrie? Ich warte nur auf den Moment, in dem jemand, den ihr als XYZ-Nazi bezichtigt, ganz entspannt zurücklächelt und sagt: "Na, wenn sie für XYZ waren, kann bei denen wohl nicht alles schlecht gewesen sein."
Keiner braucht zu befürchten, dass durch platte Vergleiche die Geschichte verharmlost wird. Das ist bereits geschehen, seit Guido Knopp mit Dokumentationen wie "Hitlers Müslischalen - sie fütterten den Führer" das Dritte Reich endgültig zur fetzigen Abendunterhaltung formte. Umgekehrt sollten die Nazivergleicher sich nicht in Heldenpose werfen, weil sie vermeintlich ein Tabu verletzen und damit eine längst überfällige Debatte anstoßen. Das einzige Tabu, das hier verletzt wird, besteht darin, das Auditorium zu langweilen. Keiner braucht zu glauben, mit seinen Nazivergleichen eine längst überfällige Debatte anzustoßen. Die einzige Debatte, die zu führen sich lohnt, ist die über die Frage, ob "Meinungsfreiheit" heißt, dass jeder eine Meinung haben darf, nicht dass er sie haben muss und allen mitteilen soll.
Provoziert mich, regt mich an durch neuartige Gedanken, durch interessante argumentative Wendungen, durch pfiffige Argumentationen. Hebelt meine Position aus, weist mir Inkonsistenzen in meiner Haltung nach. Ich behaupte nicht, endgültige Wahrheiten zu kennen. Aber bitte lasst euer infantiles Nazivergleichsgewäsch dort, wo ihr es her habt: im Schülerkabarett.
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