Sonntag, 25. April 2010

Vom Unsinn des Ungültigen

Wieder einmal stehen Wahlen vor der Tür, und wieder einmal stellt sich das mittelschwer genervte Volkssouverän die Frage, welcher Partei es am wenigsten gelungen ist, die zu bewältigenden Aufgaben zu ignorieren und deswegen eine Chance haben sollte, ihre Inkompetenz zu falsifizieren.

Falls Ihnen das eben zu viele Verneinungen waren: Welcher Depp hat's am wenigsten vermasselt?

Die pragmatischen unter den Wählern sagen sich, dass man an einem Sonntag so viele interessante Dinge unternehmen kann, dass Wählengehen ganz bestimmt nicht zu den Kernaufgaben dieses Tages gehört, und man den frisch begonnenen Mai doch am besten im Grünen verbringt - weit weg von der beunruhigenden Vorstellung, dass gerade wieder eine neue Koalition des Grauens in Amt und Würden gewählt wird. Die politisch Engagierteren plädieren dafür, in die Wahllokale zu gehen und die Stimmzettel ungültig zu markieren, am besten noch mit einer schriftlichen Notiz zu versehen, warum man die ganze angetretene Riege für ungeeignet hält.

Ich weiß nicht, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, damit etwas bewegen zu können, aber wer sich mit dem Wahlrecht beschäftigt, sieht schnell, warum die Aktion nichts bringt.

Ich habe über ein Jahrzehnt als Wahlhelfer in Wahllokalen gesessen und so manche Art der politischen Unmutsbezeugung erlebt. Glauben Sie mir: Leere oder ungültig markierte Zettel beeindrucken niemanden.

Warum?

Weil sie in der Statistik nicht an der Stelle auftauchen, an der Sie diese Zahl vermuten. Wahrscheinlich glauben Sie, am Wahlabend gäbe es im Fernsehen einen weiteren Balken, der neben den üblichen Spaßvögeln auch die ungültigen Stimmen zeigt, etwa: CDU 35 %, SPD 24 %, FDP 7%, Grüne 8 % und so weiter, bis: Ungültige 17 %. Das ist aber nicht der Fall. Die Sitzverteilung der Parlamente richtet sich allein nach der Anzahl abgegebener gültiger Stimmen. Natürlich werden auch die ungültigen erfasst, aber die werden eine Stufe vor der Balkengrafik im Fernsehen aussortiert. Auch wenn 99 % der Stimmzettel durchgekreuzt sind - egal, dann setzt sich das Abgeordnetenhaus eben aufgrund des übrig gebliebenen einen Prozents zusammen. Nirgendwo in den Wahlgesetzen steht etwas davon, dass eine bestimmte Mindestanzahl an Menschen zur Wahl gegangen sein muss, um diese gültig werden zu lassen. Glauben Sie wirklich, eine Regierung schere sich um ihre demokratische Legitimation? Sehen Sie sich doch aktuelle Wahlergebnisse an: Wenn eine Koalition bei ungefähr 70 % Wahlbeteiligung etwa die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen kann, heißt dies, dass sie in absoluten Zahlen nur knapp 35 % der Wahlberechtigten hinter sich hat. Sehen Sie sich Kommunal- und Europawahlen an, da ist die Wahlbeteiligung meist noch wesentlich schlechter. Haben Sie je erlebt, dass ein Regierungschef daraufhin sein Mandat ablehnte, weil er meinte, zu wenig Rückhalt im Wahlvolk zu haben? Geben Sie sich keinen Illusionen hin, so lange auch nur ein gültigter Stimmzettel abgegeben wird, gibt es etwas, das man auszählen kann, und wenigstens die Kandidaten selbst werden immer zur Wahl gehen.

Glauben Sie auch bitte nicht, irgendwer lese sich die Pamphlete durch, die bisweilen auf die Wahlzettel geschrieben werden. Das wird nirgendwo gefordert, dafür ist auch keine Zeit. Auf die Gefahr hin, ihr Bild von der Demokratie ins Wanken zu bringen: Ich habe es in meinen über zehn Jahren als Wahlhelfer nicht erlebt, dass der Wahlleiter einen ungültigen Stimmzettel ansah, blass anlief, sagte: "Verdammt, der hat ja Recht" und zum Telefon rannte, um den Regierungschef anzurufen, damit die Wahl abgeblasen wird. Nein, der Kommentar lautete allenfalls: "Noch so'n Verrückter."

Natürlich ist es Ihr gutes Recht, mit dem Stimmzettel anzufangen, was immer Sie wollen, aber mit Durchstreichen erreichen Sie nichts. Wenn Sie Demokrat sind, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, warum Sie nichts dagegen unternehmen, dass - aus Ihrer Sicht - keine wählbaren Leute antreten. Man mag ja von der Piratenpartei halten, was man will, aber an ihrem Beispiel sieht man doch, dass es immer wieder genug Leute gibt, denen die Sache zu dumm wird und die sich engagieren. Natürlich sind sie ein kleiner, unerfahrener Haufen, aber im letzten Jahr haben sie für eine Menge Wirbel gesorgt. Ihr Stimmanteil irgendwo zwischen einem und zwei Prozent mag lächerlich sein, aber ihre Themen werden inzwischen in den Kreisen der großen Parteien diskutiert. Vielleicht funktioniert unser demokratisches System doch besser als befürchtet.

Wenn Sie zu denen gehören, die kein Vertrauen in den Parlamentarismus besitzen - eine nicht ganz abwegige Haltung übrigens - sollten Sie nicht meinen, sich mit einem durchgestrichenen Stück Papier aus der Affäre stehlen zu können. Einfach nur dasitzen, über den bösen Staat meckern, aber selbst keinen Hammerschlag zu unternehmen, um etwas zu ändern, ist offen gesagt etwas wenig. Wer sich über den Dreck auf der Straße aufregt, darf ruhig einmal zum Besen greifen und fegen - angefangen vor der eigenen Haustür. Wenn wir alle nur darauf warten, dass die Anderen für uns aktiv werden, unternimmt niemand etwas. Herumhocken und Meckern ist genau die Haltung im Volk, mit der jede Regierung hervorragend leben kann. Ein bisschen Genörgel hat noch keinen Kanzler gestürzt. Wer nicht versucht, die Verhältnisse zu ändern, hat kein Recht, sich darüber zu beschweren.

Wenn Sie wollen, verweigern Sie Ihren Kandidaten die Zustimmung, aber wenn Ihnen etwas nicht passt, sind Sie derjenige, der es zumindest zu ändern versuchen muss. Bei Bedarf habe ich ein paar Adressen von Organisationen, die froh über Ihre Hilfe wären.

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