Samstag, 17. August 2024

Hybris gewinnt keine Wahlen

Seit neun Jahren werden wir nicht müde, es uns gegenseitig einzuhämmern: Trump ist dumm, Trump ist primitiv. Trump lügt, Trump trickst. Der Subtext lautet durchgehend: Angesichts dieses Ausmaßes an menschlicher, intellektueller und moralischer Verkommenheit werden alle erkennen, dass sie Trump nicht wählen können.

Doch, können sie, und ich verstehe auch, warum.

Es ist die linkliberale Hybris, diese hochnäsige Selbstverliebtheit, die Wählerinnen in Trumps Arme treibt. Seht her, wir sind klüger als die Anderen, wir drücken uns gewählter aus, wie könnt ihr nur Leute wählen, die weniger aalglatt lächelnd auf euch herabblicken?

Hinzu kommt die Annahme, dass Trumps Wählerinnen weder dessen geistiger Defizite noch des Umstands gewahr sind, dass sich Trump um Wahrheiten nicht zu kümmern braucht. Er interessiert sich für Geschichten, die Emotionen wecken, und es sind genau diese Geschichten, die seine Fans hören wollen. Es geht nicht darum, ob sie der Realität entsprechen, es geht darum, ob sie berühren. Erzählungen dieser Art kennen wir seit Jahrhunderten. Von Kolumbus zum Beispiel erzählen wir, dass er einst, von seinen Kritikern auf die vermeintliche Unmöglichkeit seines Vorhabens angesprochen, einen neuen Seeweg nach Indien zu finden, sie vor die Aufgabe gestellt habe, ein Hühnerei auf die Spitze zu stellen. Nachdem sie daran scheiterten, habe er das Ei etwas härter auf den Tisch geschlagen und danach auf die eingedrückte Seite gestellt. Wahrscheinlich hat diese Szene nie stattgefunden, genauso wie Alexander der Große wahrscheinlich nie mit seinem Schwert den Gordischen Knoten zerschlagen und Nero nicht musizierend das brennende Rom betrachtet hat. Das wissen wir auch, und dennoch erzählen wir diese Legenden weiter, weil sie eine gute Geschichte sind. Ähnlich geht es Trumps Fans. Sie bejubeln und wählen ihn, genau weil sein Vokabular an den frühen Schwarzenegger und seine Wahrheitsliebe an Baron von Münchhausen erinnert. Die vermeintliche Enthüllung ihres Idols als dumpfsinniger Lügenbold wird sie nicht zur Abkehr bewegen, im Gegenteil: Wer erst einmal den trumpschen Ereignishorizont überschritten hat, wird das linksliberale Genörgel als persönlichen Affront begreifen. Niemand wird gern als Idiot hingestellt,und die Botschaft, jeder, der Trumps peinliche Freakshow, unterstütze, sei genau so ein peinlicher Freak wie seine Idole, wird möglicherweise nicht überall gleich positiv aufgenommen.

Das alles ließe sich als Randnotiz ignorieren, nett zu wissen, aber wirkungslos. Ich dagegen befürchte, dass unser linksliberales Sich-in-die-Tasche-Lügen alles Andere als wirkungslos, wahrscheinlich sogar gefährlich ist. Die Hardcore-Trump-Fans werden die Angriffe aud die Integrität ihres Kandidaten in ihrer Überzeugung festigen, das einfache, bodenständige, zupackende Amerika gegen weltfremde akademische Schnösel verteidigen zu müssen. Das liberale Lager wiederum lullt sich in selbstgewisser Siegeslaune ein, weil sie glaubt, mit jeder in Trumps Reden aufgedeckter Lüge scharenweise Wählerinnen auf ihre Seite ziehen zu können. Jeder halbwegs intelligente Mensch hat gar keine andere Wahl, als für die Demokraten zu stimmen, nicht wahr?

Genau. Nicht wahr.

Das spielt sich alles im fernen Nordamerika ab und könnte uns egal sein. Gut, den Quellkopf mit der blonden Haartolle und der falsch gebundenen Krawatte weitere vier Jahre im Präsidentenamt ertragen zu müssen, ist herausfordernd. Ich sehe auch die Gefahr, dass Trump die Zeit zu nutzen weiß und dafür sorgt, dass nie wieder eine Wahl gestohlen wird. Alle Demokratien sind Schönwetterkonstrukte und setzen bei ihren großen Akteuren Skrupel voraus. Was passiert, wenn sich eine Regierung einfach nicht an die Regeln hält, sehen wir in Polen, in Ungarn, in der Türkei, in Russland und vielleicht auch bald hier. Wir müssen annehmen, dass in den kommenden Wochen mehrere Bundesländer von einer rechtsradikalen Partei regiert werden, und auch eine Bundesregierung mit entsprechender Beteiligung halte scheint mir nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Unsere bisherige Strategie, mit dieser Gefahr umzugehen, ist vom gleichen Überlegenheitsgefühl geprägt wie in den USA. Wir halten uns für so viel klüger als die Rechtsradikalen. Unbarmherzig fertigen wir Bildschirmfotos ihrer idiotischsten Social-Media-Postings and und zeigen sie herum. Seht her, wie linientreu wir sind. Uns entgeht nichts. Schon wieder haben wir einen Faschisten beim Verbreiten faschistischer Sprüche erwischt. Wen soll das beeindrucken? Die Rechtsradikalen? Ratet einmal, wofür die ihre Leute wählen. Soll es die Linken beeindrucken? Warum? Hätten die vielleicht doch aus Versehen rechts gewählt? Das kann doch nicht sein, die sind doch so intelligent.

Vielleicht sollten wir unsere Strategie noch einmal überdenken.

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