Kurz bevor ich zur Besprechung mit unserem Team nach Hannover aufbrach, nahm mich ein Kollege beiseite: "Pass bitte auf, dass Dir nicht das N-Wort rausrutscht."
Was, Niedersachsen? Ja gut, ist 'ne öde Gegend, aber meine Güte, Hannover ist nun einmal in Niedersachsen. Aber keine Bange, wir reden vor allem über die neue Programmversion und den Veröffentlichungstermin übernächste Woche.
"Neineinein, das meine ich nicht. Ich meine das N-WORT."
Ach, du meinst den Navigationsbalken? Keine Bange, den Fehler haben sie inzwischen repariert. Da hat es zugegebenermaßen etwas Stress gegeben, aber keiner von uns ist nachtragend.
"Nein, doch nicht DAS. Ich meine DAS N-WORT. Zwei Silben, und endet auf 'ger'".
Jetzt, weiß ich, was du meinst: Nager. Da brauchst du dich nicht zu sorgen. Sascha weiß, dass einige ihn wegen seiner großen Vorderzähne den Nager nennen. Er sieht das entspannt. Den beleidigt so schnell keiner.
"Himmel, bist du wirklich so blöd? Ich rede von Simon und Kwabena. Du weißt doch, die sind..."
...aus Göttingen, genau. Dort haben sie studiert.
"SCHWARZ! Meine Güte, sie sind SCHWARZ! Und ich will nicht, dass du sie so nennst."
In den Harry-Potter-Romanen leiden wir mit der Hauptfigur, wenn sich alle weigern, den Namen "Voldemort" auszusprechen und statt dessen "Der, der nicht genannt werden darf" oder "Du weißt schon wer" sagen, doch in unserem teutonisch-korrekten Alltagsleben erreichen wir, was sprachliche Sensibilisierung angeht, ein Niveau, gegen das die Harry-Potter-Welt im Vergleich geradezu zügellos wirkt. Wir reden von "Schokoküssen", schreiben Passagen in Kinderbüchern auf "Südseekönig" um und plädieren dafür, wenn schon nicht ganze Ortschaften, dann doch wenigstens U-Bahnstationen umzubenennen. In unserem Eifer, endlich die koloniale Vergangenheit zu überwinden, schrecken wir auch vor technischen Fachtermini nicht zurück. Wenn mich auch einige Diskussionen etwas übereifrig geführt vorkommen, kann ich mit dem Ergebnis meist gut leben. Pippi Langstrumpf bleibt ein wunderbares Kinderbuch, ungeachtet eines leicht geänderten Königstitels ihres Vaters, Schokoküsse schmecken prima, weil sich die Bezeichnung, nicht die Zusammensetzung geändert hat, und die Primär-Sekundär-Konfiguration meines Cluster funktioniert auch mit den neuen Begriffen, und alle wissen, was technisch gemeint ist. Es gibt tatsächlich keinen Grund, irgendeinen Menschen mit dunkler Hautfarbe aufgrund dieser Eigenschaft mit beleidigenden Namen zu versehen. Nur die sprachlichen Volten, die wir schlagen, um in Diskussionen über den Gebrauch dieses Worts ebendieses zu vermeiden, nehmen bisweilen bizarre Züge an. Meine Güte, als wenn die Menschen zu doof wären, zwischen einem dokumentierenden und einem rassistischen Gebrauch dieses Worts zu unterscheiden.
Das alles wäre ich bereit, unter typisch teutonischer Überkorrektheit zu verbuchen, wenn es da nicht ein Wort gäbe, mit dem wir überhaupt kein Problem haben. Ein Wort, das seit Wochen durch die Schlagzeilen wabert, dass bis in die höchsten Höhen seriöser Berichterstattung ganz sorglos dahingeplappert wird, ohne dass irgendwer auch nur den Hauch eines Problems damit hat:
Judensau.
Und das ist das letzte Mal, dass ich dieses Wort in diesem Artikel benutze. Weil es mir unangenehm ist, als Angehörige eines Volkes, in dessen Namen sechs Millionen Juden ermordet wurden, dieses eindeutig beleidigende Wort in den Mund zu nehmen. Wer es benutzt, kann sich nicht damit herausreden, "das sage man einfach so", das "sei aber nicht so gemeint". Oh doch, das ist so gemeint. Bei diesem Wort gibt es keinen Interpretationsspielraum. Dieses Wort hat ein einziges Ziel: Menschen zu beleidigen, ihnen das Menschsein abzusprechen und Gewalt gegen sie zu rechtfertigen.
Aber nein, das sieht das deutsche Feuilleton anders. Da hat man ja studiert, und mit einem Abschluss in Germanistik darf man das. Da darf man dann Sätze in den Mund nehmen wie: "Die J darf hängen bleiben" oder "Die J muss endlich entfernt werden" oder "Für die J muss eine Lösung gefunden werden". Natürlich wird das Wort immer genussvoll in ganzer Länge ausgesprochen, und auf die Frage, ob dieses Wort nicht besser vermieden werden könnte, im selbsternannten Land der Dichter und Denker müsste es doch möglich sein, eine weniger verunglimpfende Umschreibung zu finden, heißt es: "Ja, aber die Plastik heißt doch nun mal so."
Ah, verstehe, da muss auf einmal sprachliche Genauigkeit her, da ist es auf einmal völlig undenkbar, von einem "antisemitischen Relief" oder einer "Schweinsplastik" zu reden, nein da muss das Wort her, das unsere Vorfahren über Jahrtausende schrien, wenn sie mal wieder ein Pogrom anzettelten. Obwohl nirgendwo an der Plastik das Wort zu lesen ist und es ohne Probleme möglich wäre, es im Rahmen der Debatte mit einer weniger verfänglichen und dennoch eindeutigen Bezeichnung zu versehen, nennen wir sie mit ihrem menschenverachtenden, volksverhetzenden Namen. Ordnung muss sein.
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