Sonntag, 14. Juni 2015

Demokratie als Quengelware

Die parlamentarische Sommerpause naht, die Zeit also, in der die Doofsten - und die Konkurrenz ist hart - die Chance ergreifen, sich in mangels echter Themen in ihre Richtung gereckte Journalistenmikrofone zu erbrechen. Normalerweise werden solche Leute von der Fraktionsführung schamhaft im Keller versteckt, aber auch die ist einmal im Urlaub, und dann kommen sie hervor, um die Schlagzeilen zu bevölkern. Selten geht es dabei um wirklich drängende Themen - natürlich nicht, es ist ja Sommerpause - aber dafür sind es traditionell Dinge, zu denen jeder, aber auch wirklich jeder eine Meinung hat, egal wie qualifiziert sie ist. So wie sich jeder für einen Bildungsexperten hält, weil er irgendwann einmal zur Schule gegangen ist, jeder "Voraussetzung" fälschlicherweise mit doppeltem "r" schreibt, aber über die Rechtschreibreform schwadroniert und sowieso weiß, wie die deutsche Nationalelf endlich einmal ordentlichen Fußball spielen könnte, hat auch jeder was zur niedrigen Wahlbeteiligung zu sagen, meist etwas der Art: "Sind doch eh alles die gleichen Idioten,"

Genau damit soll nun Schluss sein, zumindest wenn es nach dem Willen der Generalsekretärinnen der CDU, CSU, SPD, Grünen, Linkspartei und FDP geht. Sinkende Wahlbeteiligungen sind zwar nicht gerade ein neues Phänomen, genau genommen gibt es sie schon seit 43 Jahren, aber irgendwann muss man ja wohl einmal anfangen, warum also nicht jetzt?

Ein wenig verwunderlich ist es dennoch, dass nun plötzlich die etablierten Parteien Handlungsbedarf erkennen, zumal ihnen auf den ersten Blick egal sein kann, wie viele Leute wählen gehen. Das Wahlgesetz sieht keine Mindestbeteiligung vor, ab der eine Wahl erst gültig ist. Im Prinzip reicht es, wenn auch nur eine einzige gültige Stimme abgegeben wird, und das sollte sich wohl noch irgendwie arrangieren lassen. Die einzige Erklärung für das überraschende Interesse könnte vielleicht die Tatsache sein, dass mit niedriger Wahlbeteiligung auch die absolute Stimmenzahl sinkt, die nötig ist, um einen Sitz ins Parlament zu erringen. Das bescherte vor einigen Jahren den Piraten den Einzug in diverse Stadträte und Landtage und lässt heute die AfD Erfolge erzielen. Zwar haben sich die Piraten mit seifenopernhafter Theatralik selbst zerlegt, und auch die AfD scheint derzeit alles daran zu setzen, sich mit möglichst großem Trara ins politische Nichts zu verabschieden, aber die nächste Protestpartei bildet sich bestimmt gerade in irgendeinem Hinterzimmer. Das wiederum deutet darauf hin, dass der Wille, zur Wahl zu gehen, schon da ist. Man will nur nicht das Vorhandene wählen.

Umso bizarrer wirken die Ideen, die der Initiative gegen Wahlmüdigkeit einfallen: Erst- und Zweitstimme sollten in Kandidaten- und Parteistimme umbenannt werden. Klar, so stelle ich mir die Welt auch vor. Die Leute gehen ins Wahllokal, schauen auf den Stimmzettel, sagen: "Nee, also Erstimme, Zweitstimme klingt doof, da gehe ich lieber gar nicht erst wählen" und gehen unverrichteter Dinge wieder heim. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wüsste nicht einmal, ob auf einem Stimmzettel überhaupt diese beiden Worte stehen.

Ebenfalls immer wieder gern in solchen Situationen hervorgezaubert wird die Forderung nach elektronischen Wahlen. Was ich vor über 6 Jahren schon schrieb, gilt auch heute noch: Frei, geheim, gleich und prüfbar lassen sich gleichzeitig nur sehr schwer - ich behaupte: gar nicht - elektronisch umsetzen.

Das Wählen für Deutsche im Ausland vereinfachen - sind inzwischen so viele geflohen, dass durch deren Stimmabgabe die Wahlbeteiligung schwindelerregende Höhen erreicht? Das Wahlrecht sei zu kompliziert - aber gleichzeitig rumjammern, mit einem einzigen Kreuzchen ließe sich der Wählerwille nicht vernünftig erfassen. Besonders krude: Stimmabgabe im Supermarkt, wahrscheinlich direkt neben der anderen Quengelware an der Kasse. Zwei Tüten Milch, ein Kilo Mehl, zehn Eier, ach ja, und einmal CDU, dafür reicht das Geld noch.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Man kann Bellos Hundehaufen nicht dadurch den Leuten als Mousse au Chocolat andrehen, indem man mehr davon hinstellt oder weniger Geld dafür verlangt oder direkt ins Haus liefert oder ein Papierschirmchen reinsteckt. Wer wirklich will, dass sich mehr Menschen am demokratischen Willensbildungsprozess beteiligen, muss schon etwas mehr unternehmen, als alle vier Jahre mit riesigem Tamtam Blankovollmachten für die kommende Legislaturperiode einzuwerben und sich dann wieder in seine parlamentarische Trutzburg zurückzuziehen, aus der man dann gelegentlich in Gesetzesform geronnene Abfälle herausschleudert. Wer eine vom Volk mitgestaltete Politik will, muss aufhören, für Geld auch das letzte Fitzelchen Anstand sausen zu lassen, muss aufhören, das eigene Volk als ständige Gefahr zu sehen, der nur mit den Mitteln des Überwachungsstaats beizukommen ist. Wer eine lebendige Demokratie will, muss aufhören, in jeder neu aufkommenden Partei eine Gefahr für die eigenen Pfründe zu sehen und geht vor allem nicht Große Koalitionen ein, die mit 80 Prozent Sitzanteil im Bundestag eine deutlich größere Gefahr für Verfassung und Grundrechte darstellen, als irgendwelche radikalen Protestparteien es je könnten.

Schließlich bleibt noch ein Faktor übrig, den wir bisher als eher passives Element vernachlässigt haben: Das Volk selbst. Leute, immer nur mimimi aber dann doch wieder die Einheitsfront CDU-SPD und für die ganz mutigen Prenzelbergmuttis ein bisschen Grün wählen reicht eben nicht. Wenn euch eine Partei ärgert, tretet ein und ändert was, und wenn in dieser Partei nur Idioten herumschwirren, dann gründet eine neue, und wenn auch da nur Idioten auftauchen, dann gründet eine Initiative, eine Lobbyorganisation, was auch immer. Ich gehöre schon seit Jahrzehnten keiner Partei an, und dennoch haben die von mir unterstützen Organisationen es geschafft, mindestens drei verfassungswidrige Gesetze zu kippen. Es gibt weit mehr Möglichkeiten, ein Land zu gestalten, als alle vier Jahre die gleiche Partei zu wählen.

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