Samstag, 7. September 2013

Die Partei hat immer Recht

Es sind weniger die Parteien, die mir so unendlich auf die Nerven gehen, es sind ihre Mitglieder.

Wer hat eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, ein Parteibuch gäbe es nur im Tausch mit einem Großhirn? Für alle, die jetzt überrascht aufhorchen: Das Gerücht ist falsch. Ihr dürft euren Grips behalten, ehrlich. Selbst bei den Piraten.

Oder wo auch immer. Bei denen fällt es mir nur besonders auf, weil sie einen großen Teil meiner Filterblase bilden. Tatsächlich habe ich das gleiche Phänomen auch bei den Grünen sowie der SPD beobachtet und bin mir sicher, dass es mir bei anderen Parteien genau so auffiele, wenn ich mit deren Mitgliedern mehr Kontakt hätte. Na gut, bei einigen Parteien kann es natürlich auch sein, dass deren Mitglieder nicht allzu viel Grips haben, den sie eintauschen könnten, dass also die Mitgliedschaft eher den konsequenten Abschluss eines Prozesses zunehmenden intellektuellen Dahinsiechens darstellt. Irgendwie muss man einen Ronald Pofalla oder einen Fipsi Rösler ja ertragen können.

Ich war auch 15 Jahre Mitglied einer Partei, und ich kenne das Gefühl, mit dem Mitgliedsantrag so etwas wie Blutsbrüderschaft geschlossen zu haben. Ab diesem Moment bin ich die Partei, und die Partei ist ich. Wer die Partei als Ganzes oder ihre Repräsentantinnen angreift, greift auch mich an, und zwar nicht irgendwie allgemein, diffus, weil ich als Mitglied das mit unterstütze, sondern ganz konkret mich als Mensch. Entsprechend reagiere ich dann auch: persönlich angegriffen, emotional, aufbrausend, verletzt, unsachlich.

Es reichte ein einziger Tweet, in dem ich andeutete, der Abbau des Sozialstaats sei ganz maßgeblich unter einem sozialdemokratischen Kanzler und sozialdemokratischen Bundesministern vorangetrieben worden, um eine ganze Lawine von Tweets eines Sozialdemokraten loszutreten, der meinte, die Piraten hätten ja nicht einmal vernünftige Positionen zu diesem Thema in ihrem Wahlprogramm stehen. Merken Sie, was ich meine? Ich hatte mich nicht als Piratin geäußert - wie auch, ich bin keine -, und es ging auch nicht darum, die Piraten toll aussehen zu lassen, sondern zu kritisieren, wie die SPD sich als Retterin genau des Sozialstaats aufspielt, zu dessen Beseitigung sie Monate zuvor noch selbst aktiv beigetragen hat. Darauf gingen die Tweets auch gar nicht erst ein. Wichtig war nur: Einen deutschen Sozialdemokraten greift man nicht ungestraft an.

Einen ähnlichen Effekt beobachte ich bei den Piraten - der Partei, die ich lange Zeit für die einzige Chance hielt, basisdemokratische und transparente Prozesse in einem erstarrten Parlamentsbetrieb zu etablieren. In ihrer Aufbauphase vor vier Jahren fand ich es auch völlig legitim, auf maximale Außenwirkung zu zielen. Über viele Wochen waren die Piraten die einzige Partei, welche die von CDU und SPD (sic!) eingeführte Internetzensur als allgemeine Gefahr erkannten und dagegen protestierten. Wochenlang mussten sich deren Mitglieder als Förderer dokumentierter Kindervergewaltigung beschimpfen lassen, bis sich langsam herumsprach, worum es ihnen wirklich ging. Ich fand es völlig legitim, dass sie mit Aufklebern und Fahnen darauf hinwiesen, dass sie überhaupt existieren, dass es nach dreißig Jahren wieder einen ernst zu nehmenden Ansatz gibt, neue Ideen in den Politbetrieb einzuspeisen.

Das war vor vier Jahren. Inzwischen weiß selbst meine Oma, wer die Piratenpartei ist. Sie wählt sie nicht, weil sie den Namen nicht mag, aber sie bekommt mit, was diese Partei treibt. Sie muss nicht ständig durch eine Fahne darauf hingewiesen werden.

Leider haben das die Mitglieder noch nicht begriffen. Sie ändern ihren Twitternamen von @volldepp zu @PiratVolldepp, sie ändern die Hintergrundfarbe ihres Avatarbilds auf orange und montieren noch eine kleine Parteiflagge in eine Ecke. Ich kenne offen gesagt kein Mitglied einer anderen Partei, das seinen Namen etwa in @SPDTrottel geändert hätte. Ins Foto montierte Parteilogos erlebt man allenfalls bei Kandidatinnen oder Mandatstägerinnen. Na gut, Claudia Roth ist sich für keinen Blödsinn zu schade, aber bei dieser Account ist so maßlos peinlich, dass ich eher auf einen Fake-Zugang eines übereifrigen Parteimitglieds tippe.

Manchmal habe ich den Eindruck, einen neu gewonnenen Piratenparteimitglied wird neben der Mitgliedsnummer auch gleich eine Parteifahne zugeschickt. Zumindest finde ich erstaunlich, wie viele Piraten bei Demonstrationen mit ihrer Flagge herumwedeln.

Was mich daran stört? Die Aussagelosigkeit und Penetranz. Aussagelos, weil es Leute gibt, die sich gute Parolen überlegen, die pfiffige Transparente basteln. Achten Sie einmal darauf, was die Presse fotografiert. Die interessiert sich für Sprüche wie "Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen". Fahnen nimmt sie auf Fotos mehr in Kauf als dass sie gezielt danach suchte, und genau das scheint die Fahnenträger zu animieren, zu einer Methode zu greifen, die sie sonst vehement kritisieren: Spamming. Überall, wo die Kamera hinguckt, muss ein Fahnenmeer sein. Das hat nichts mehr mit Präsenzzeigen gemein, das ist einfach penetrant. Ich kenne sogar Piraten, die mir gesagt haben, worum es bei einer Demonstration ginge, sei ihnen völlig egal, so lange sie dort ihre Fahne schwingen dürfen. Sonst gingen sie nicht hin.

Vielleicht liegt es an meiner Vergangenheit, dass ich Fahnenträgerinnen nicht ernst nehmen kann. Über 30 Jahre bin ich auf den Gewerkschaftsdemonstrationen zum 1. Mai mitgelaufen. Über 30 Jahre liefen da Leute mit, blöd wie Knäckebrot, keine Ahnung, für welche Forderungen sie gerade einstanden, aber die DGB- oder SPD-Flagge konnten sie gerade einmal noch halten. Ach ja, und gerade in den letzten Jahren durfte die Plastikweste mit dem ver.di-Aufdruck und die Trillerpfeife im Mund nicht fehlen. Trüüüü - was für eine Aussage.

Inzwischen gibt es sogar Demonstrationen mit Quotenregelungen. Eine Fahne pro Partei müsse reichen, heißt es dann. Als wenn das etwas brächte. Es geht nicht um eine genau festzulegende Zahl von Fahnen. Es geht einfach darum, nicht den Eindruck zu erwecken, eine parteiübergreifend veranstaltete Demonstration sei eine Parteiveranstaltung, aber das habe ich in der Vergangenheit leider mehrfach erlebt. Das geht gleich mehrfach schief. Erstens bleiben der nächsten Demonstration diejenigen fern, denen es um die Sache und die nicht gegen ihren Willen zu temporären Parteimitgliedern gestempelt werden wollen. Zweitens bleibt in der Öffentlichkeit der Eindruck, es ginge bei der Demonstration vor allem um Parteiwerbung, wobei das eigentliche Ziel völlig untergeht. Drittens gerät die Partei selbst in Misskredit, weil man sie vor allem als Eigenwerbeverein und nicht als Vetreterin ernst zu nehmender Anliegen wahrnimmt.

Das darf man allerdings nicht laut sagen, denn dann steigen sofort die Parteisoldaten auf die Barrikaden und verteidigen ihre Partei gegen die vermeintliche Schändung. Erinnern Sie sich noch an das Jahr 2009? Damals reichen Artikel, in denen die Piratenpartei nicht ganz so stürmisch wie sonst bejubelt wurde, um sich den Kommentarteil mit hunderten wüster Beschimpfungen zu füllen, die sich beklagten, wie man dazu käme, die Piratenpartei nicht als gottgesandte Erlösung anzusehen. Ich wurde einmal allein für die Feststellung angegriffen, dass die Piraten nicht im Bundestag vertreten seien und wir als Veranstalter einer Diskussionsrunde irgendwo eine Grenze ziehen müssten, welche Partei wir einlüden und welche nicht. Hoch schlugen die Wogen der Empörung jedes Mal, wenn die Parteichefs von CDU und SPD sich zu einem Thema äußerten, die Erklärung des Bundesvorsitzenden einer Partei mit einem bis zwei Prozent Stimmanteilen von der Presse aber "totgeschwiegen" wurde. Das riecht doch nach Verschwörung!

Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt, aber noch heute kann man davon ausgehen, auf jede noch so zurückhaltend formulierte Kritik ellenlage Tiraden zu ernten, man sei es leid, immer von der Seite angepampt zu werden, ohne die Piraten gäbe es in Deutschland überhaupt keine Netzbewegung mehr, die ganzen parteiübergreifenden Organisationen bekämen schon lang nichts mehr auf die Reihe, doch statt tränenersticktem Dank für die Rettung des demokratischen Diskurses ernte man ständig nur Beschimpfungen.

Wenn mir jetzt wieder jemand eine weinerliche Mail schreiben zu müssen meint, in der er andeutet, er könne auch gern zu hause bleiben, wenn ich ihm so blöd käme, sei ihm gesagt: wunderbar. Wenn ich Typen wie dich, die ihr ganzes Engagement für elementare Freiheitsrechte an die Bedingung knüpfen, dass man ihre Kasperletruppe ins Parlament hievt, so einfach loswerde, bin ich glücklich. Für mein Anliegen brauche ich Überzeugungstäterinnen, keine Stimmenprostituierten. Ich habe mich für Datenschutz eingesetzt, als du noch mit Mamis I-Pad um den Weihnachtsbaum gerobbt bist, und ich werde mich noch dafür einsetzen, wenn du schon längst zur AfD gewechselt bist, weil du dir dort mehr Chancen auf ein Landtagsmandat erhoffst.

Zur Ehrenrettung der Piraten sei gesagt, dass derart dünnhäutiges Gewinsel so gut wie nie von offiziellen Vetreterinnen sondern meist vom Fußvolk kommt. Das bessert die Situation leider nur wenig. Wenn ich davon ausgehen muss, dass abgesehen von einigen Mandatsträgerinnen eine Partei nur aus Bescheuerten besteht und die Entscheidungen dieser Partei durch Einbindung genau dieser Volltrottel zustande kommen, weiß ich, dass ich diese Partei daran zu hindern versuchen werde, politische Macht auszuüben. So weit bin ich noch nicht, aber allzu weit bis dahin ist es bei mir nicht mehr.

Leute, wenn ihr euch auch ohne Mandat berufen fühlt, eure Partei zu repräsentieren, lasst euch gesagt sein, dass man mit überschnappender Stimme kaum Sympathien gewinnt, dass Kritik oft auch konstruktive Elemente beinhaltet und Beißreflexe deswegen  keine angemessene Reaktion darstellen. Vor allem: Wahlen gewinnt man so nicht. Man gewinnt sie durch Überzeugungsarbeit, aber dazu braucht man mehr als eine Parteifahne.

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