Dienstag, 20. September 2011

Buchkritik: Zielperson außer Kontrolle

Die McBrown Advertising GmbH, ein mittelständisches Werbeunternehmen aus Düsseldorf, befindet sich finanziell auf der Kippe, als sie sich an der Ausschreibung für ein europäisches Großprojekt beteiligt: Die EU plant eine allumfassende europäische Datenbank und will das nicht ganz ununmstrittene Vorhaben dem Volk als möglichst segensreiche Erfindung vermittelt wissen. Für McBrown steht viel auf dem Spiel. Entweder bekommt man den Auftrag oder es drohen massive Entlassungen. Das Ausschreibungsverfahren läuft zunächst gut, dann aber sieht es ganz danach aus, als bedienten sich die Mitbewerber unlauterer Mittel, weswegen McBrown sich seinerseits entschließt, dem Entscheidungsprozess mit unauffälligen finanziellen Zuwendungen auf die Sprünge zu helfen. Die Firma schickt dazu ihren Geschäftsführer Tom Simon nach Brüssel, der dort zusammen mit dem für seine zwielichtigen Geschäftspraktiken bekannten Anwalt Dr. John die Bestechungsverhandlungen führen soll. Auch hier scheinen sich die Dinge anfangs wie gewünscht zu entwickeln, schließlich aber platzt auch dieser Deal, und eine andere Firma bekommt völlig überraschend den Auftrag. Wütend stürmt Simon in Johns Kanzlei und findet den Anwalt erschossen vor. Alles deutet auf Mord hin. Entsetzt will Simon noch schnell die Akte beiseite schaffen, in der neben seinem auch andere Bestechungsfälle aufgelistet sind, aber der Tresor, in dem der Ordner sich befinden sollte, ist bereits leergeräumt. In diesem Moment betritt auch schon die Polizei das Büro und verhaftet Simon wegen Mordverdachts.

Die Lage ist denkbar schlecht. Allzu viel kann Simon naheliegenderweise nicht erzählen. Auf der anderen Seite hat die Polizei auch keine stichhaltigen Beweise gegen ihn in der Hand und muss ihn zunächst laufen lassen. Unter Verstoß gegen die Polizeiauflagen reist Simon wieder nach Deutschland und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Offenbar kommt er dabei einigen in die Quere. Seine Firma entlässt ihn, er wird entführt und gefoltert, und natürlich zeigen sich die deutschen sowie die belgischen Behörden nicht gerade erbaut über die Flucht aus Brüssel. Langsam findet Simon heraus, was hinter der Sache steckt: Nicht nur eine europäische Großdatenbank soll aufgebaut werden. Es geht um die Totalerfassung aller EU-Bürger. Mit neu entwickelten Ortungschips, die man den Menschen injiziert, soll es möglich werden, jederzeit den Aufenthaltsort beliebiger Personen festzustellen. Für die Herstellerfirma, die europäische Politiker mit Überwachungsfetisch als ihre Marionetten missbraucht, steht ein traumhaftes Geschäft in Aussicht, das sie sich unter keinen Umständen verderben lassen will. Simon muss davon ausgehen, dass seine Umgebung verwanzt ist und jeder seiner Schritte überwacht wird. Möglicherweise hat man ihm auch einen Prototyp des Überwachungschips eingepflanzt, so dass er bei seinen Nachforschungen doppelt auf der Hut sein muss.

Jetzt können Sie sich vielleicht auch vorstellen, warum ich in diesem Blog auf einmal über Krimis schreibe. Das Genre an sich interessiert mich zwar nicht besonders, aber wenn es um meine Lieblingsthemen Datenschutz und Überwachungsstaat geht, kann ich ja ruhig etwas flexibel sein.

Es mag nun daran liegen, dass ich mich mit Krimis nicht besonders auskenne, aber speziell an diesem Buch stören mich mehrere Dinge: Der Schreibstil wirkt merkwürdig uninspiriert. Beim Lesen hatte ich immer wieder den Eindruck, als hätte der Teilnehmer eines VHS-Kurses für kreatives Schreiben den Auftrag bekommen, eine Kriminalgeschichte zu schreiben, die im Rheinland spielt, deren Hauptfigur irgendeinen Spleen hat und in der es um Datenschutz geht. So zählt der Autor brav mit der Präzision eines Routenplaners Straßen und Plätze in Bonn auf, aber man fragt sich: wieso? Was tragen diese Schilderungen zur Handlung bei? Man muss Dan Brown nicht mögen, aber wenn er die Figuren seiner Thriller durch Rom rennen lässt, dann lässt er sie so spezifische Dinge erleben, dass man unmöglich durch Austauschen einiger Bezeichnungen alles beispielsweise nach London verlegen könnte. Bei "Zielperson außer Kontrolle" ist dies keine Schwierigkeit. Ob man Bonn, Köln, Düsseldorf oder irgendeine andere Stadt in der Nähe der belgischen Grenze gewählt hätte - mit der Textverarbeitung die Straßennamen austauschen und die Passagen mit pflichtschuldigen Schwärmereien zu Bonn durch analoge Zeilen über eine andere Stadt ersetzen - schon spielt die Geschichte woanders, ohne dass es jemandem auffällt. Ebenso sinnentleert erscheinen mir die Passagen, in denen es ums Essen geht. Mit der gleichen seelenlosen Präzision, mit der die Infrastruktur Bonns beschrieben wird, finden sich Schilderungen des Essens, das die Akteure des Buches gerade zu sich nehmen, zubereiten oder schmerzlich vermissen, und wieder stellt sich die Frage, was das Ganze soll. Falls es darum geht, einer Szene mehr Atmosphäre zu verleihen, wäre es möglicherweise günstig, die Schilderungen nicht mit der emotionalen Beteiligung eines Kochbuchs zu schreiben.

Leider sind es genau diese Schwächen, welche die Lektüre des sehr gut recherchierten Krimis erschweren. Auf der reinen Sachebene ist das Buch nämlich tadellos. Man merkt immer wieder, dass sich der Autor sowohl gründlich mit deutschen und europäischen Sicherheitsgesetzen beschäftigt hat als auch genau weiß, welche Überwachungstechniken derzeit möglich sind. Als Techniker kenne ich die Momente des Fremdschämens, die ich immer dann erlebe, wenn jemand offenkundigen Unsinn schreibt. Diese Momente blieben erfreulicherweise bei "Zielperson außer Kontrolle" aus. Besonders gelungen sind die Passagen, in denen es darum geht, wie der Überwachungsstaat und seine Techniken in den Köpfen der Leute etabliert werden. Diese Stellen könnte man auch ohne weiteres in Flugblättern des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung finden.

Das ist auch der Grund, warum ich trotz des mir nicht sonderlich gefallenden Schreibstils der Meinung bin, man sollte zumindest in das Buch hineinsehen, um festzustellen, ob man es mag: Gute Sachbücher, in denen Spezialisten ihre Meinung über die Gefahren des Überwachungsstaats schildern, gibt es reichlich. Was fehlt, sind Geschichten, die man einem netzpolitisch eher Desinteressierten hinlegen und ihm sagen kann, in diesem Buch bekäme er neben einer netten Erzählung auch noch einige Kernthemen der Datenschützer präsentiert. "Zielperson außer Kontrolle" ist ein Beispiel, wie so etwas aussehen kann.

Wolfgang Kinnebrock, "Zielperson außer Kontrolle", Droste, 10 €

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