Sonntag, 6. März 2011

Privacy Barcamp 2011 in Hannover

"Nichts ist doofa als Hannova."

"Die etablierten Parteien haben es netzpolitisch so phänomenal verrissen, dass man sie auf absehbare Zeit vergessen kann."

Beide Sätze bringe ich immer wieder gern - Grund genug, sie gelegentlich auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Was den ersten Satz angeht: Hannover ist nun einmal städtebauliche Tristesse von der Stange, aber das sind fast alle deutschen Städte, die während der 40er Jahre von den Alliierten warmsaniert wurden. Immerhin schafft es Hannover seit Jahrzehnten, mit der CeBIT eine sehr erfolgreiche IT-Messe zu veranstalten. Die CeBIT wiederum nahm der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht zum Anlass, im Nachgang zum Privacy-Barcamp zu laden. Für weniger Anglophile: "Privacy" ist der englische Begriff, der dem deutschen "Datenschutz" noch am nächsten kommt, und ein "Barcamp" fasst das zusammen, was man früher mit "wir treffen uns einfach und reden dann erst darüber, was wir eigentlich wollen" beschrieb.

Was mein Vertrauen in die etablierten Parteien angeht, ist dies nur noch in homöopathischen Dosen vorhanden - zu oft habe ich den Messias in Spitzenkandidatengestalt Wahlen gewinnen und die darauf folgende Legislaturperiode vor allem damit verbringen sehen, dem Volk zu erklären, warum er seine Wahlversprechen bricht. Vor allem im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 haben Vertreter aller im Bundestag vertetenen Parteien alles daran gesetzt, bei mir das Bild einer von Despoten geführten Bananenrepublik zu hinterlassen. Man mag von der Piratenpartei halten, was man will, zumindest wurde durch sie klar, dass eine ganze Generation das Vertrauen in die parlamentarische Kungelei verloren hat und nach Alternativen sucht. Das wiederum bewog zumindest Teile der etablierten Parteien, panisch "irgendwas mit Medien" zu veranstalten und so verlorenen Boden wiederzugewinnen.

Wenn Parteien etwas veranstalten, gehören typischerweise viele penetrante Hinweise auf den Sponsor zum Erscheinungsbild. Fasst man das alles zusammen, versteht man vielleicht das Misstrauen, mit dem ich zum Barcamp nach Hannover fuhr. Ich erwartete massenweise Wahlplakate der Grünen und mehrere Redebeiträge, die auf das segensreiche Wirken der Partei hinweisen.

Glücklicherweise lag ich komplett falsch.

Natürlich hing auch ein Albrecht-Plakat auf der Veranstaltung, aber es war eben auch nur genau ein Plakat, und es fiel nicht weiter auf. Natürlich stellte sich Albrecht auch vor und beschrieb seine Tätigkeit als grüner Europaabgeordneter, aber erstens erwartet man so etwas auch von seinem Gastgeber und zweitens geschah dies alles sehr dezent.

Ein drittes Vorurteil kam bei dieser Gelegenheit gleich mit ins Wanken. Albrecht ist ein sehr junger Abgeordneter, und Politiker seines Alters habe ich in den letzten Jahrzehnten als ausgesprochen aufdringlich, naseweis, unausgegoren und aktionistisch erlebt. Von diesem Bild hob sich Albrecht sehr angenehm ab, indem er freundlich, sachlich, kompetent aber auch ausgesprochen bescheiden auftrat. Das Thema und der Veranstaltungstyp lagen ihm offensichtlich, und wenn er etwas mehr ins Rampenlicht trat, dann um rechtliche Hinweise oder Details aus dem Europäischen Parlament beizusteuern. Auch was das leibliche Wohl anbelangt, bewies Albrecht Stilsicherheit. Kaffee gab es gratis - sogar in zwei Stärkegraden -, Mittags brachte der benachbarte Pizzabäcker blecheweise und preiswert Pizza, und ansonsten gab es das Hackergrundnahrungsmittel Club-Mate in ausreichenden Mengen. So soll's sein.

Die Themenpalette war weit gestreut, ebenso bunt gemischt war das Publikum. Es ging um Einführungen zum Datenschutz über datenschutzkonforme soziale Netze, Zensurvermeidungs- und Anonymisierungstechniken bis hin zu einer Geschichte der Privatsphäre. Von Künstlern, Juristen, Aktivisten aus den Arbeitskreisen Zensur, Zensus und Vorratsdatenspeicherung über Piraten und sogar Vertretern der eher datenschutzkritischen Post-Privacy waren viele bekannte Gesichter aus der Netzpolitik angereist. Gerade die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Post-Privacy und Datenschützern hätten für einigen Zündstoff sorgen können, aber angenehmerweise blieben die Diskussionen sehr konstruktiv.

Nur zwei Punkte gäbe es beim nächsten Mal zu verbessern: Erstens waren die einzelnen Gesprächsrunden akustlisch schlecht voneinander getrennt. Wenn in einem Teil des Raums mit einer Lautsprecheranlage gearbeitet wurde, mussten die Teilnehmer der nur durch einen Vorhang getrennten Nachbargruppe schon sehr eng zusammenrücken, um einander noch verstehen zu können. Der zweite Punkt war die fehlende Netzanbindung. Um das Barcamp als Videostrom ins Internet einspeisen zu können, wurde die ganze Anbindung des Veranstaltungsorts in Beschlag genommen. Den Kommentar, heute könne man wohl von einem echten Nerd erwarten, eine UMTS-Anbindung zu haben, hätte sich einer der Organisatoren gut schenken können. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer Netzaktivisten ein angenehmes Umfeld bieten möchte, kann auf vieles verzichten, aber nicht aufs Internet.

Damit wären aber auch schon die negativen Punkte aufgezählt. Die von einigen Netzaktiven erhofften großen Ergebnisse wie vielleicht eine genauere Planung der nächsten Großdemonstration blieben aus, aber das war auch nicht der Zweck dieses Treffens. Im Wesentlichen war es eine Bestandsaufnahme der Themen, die in netzpolitischen Kreisen gerade diskutiert werden. Albrechts Debut bei diesem Veranstaltungstyp war gelungen und weckt Hoffnungen auf einen neuen Politikertyp, der mit dem Internet aufgewachsen ist und es  als ebenso integralen Teil des täglichen Lebens ansieht wie meine Generation Telefon und Fernsehen. Sein Anliegen, ein Bewusstsein für europäische Themen zu wecken, stieß auf große Zustimmung, hatten die deutschen Netzaktivisten doch auch seit einem Jahr ihre Fühler stärker nach Brüssel ausgestreckt.

Die Grünen sind weiterhin nicht meine Traumpartei, und so lange in Fleisch geronnene Überflüssigkeiten wie Claudia Roth und Cem Özdemir in ihr das Sagen haben, wird sich an meinem Misstrauen nichts ändern. Auf der anderen Seite treffe ich in der zweiten und dritten Reihe immer wieder Grüne, denen Ideale noch wichtiger sind als Effekthascherei und die es wert sind, konstruktiv und kritisch begleitet zu werden. Das Privacy-Barcamp war ein vielversprechender Anfang. Ich bin gespannt auf mehr.

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