Da will beispielsweise ein Mann, Bankier und SPD-Mitglied, ein von ihm geschriebenes Buch verhökern. Das ist sein gutes Recht. Peinlich, wenngleich auch sein gutes Recht, sind die Methoden, mit denen er den Verkauf anzukurbeln gedenkt. Weil die Journalisten dieses Landes zuverlässig auf alles anspringen, was einen gewissen Bräunungsgrad erreicht hat, weiß dieser Buchautor, dass er nur die eine oder andere zugespitzte Parole absondern muss, um zu erreichen, dass sich Deutschlands Berufsbabbler an ihm abarbeiten, Dutzende Schlagzeilen und traumhafte Verkaufszahlen produzierend. Das System funktioniert, zuletzt erlebt bei einer drittklassigen Fernsehmoderatorin, die wenige Monate zuvor erfolgreich die Verkaufszahlen ihres Buchs in die Höhe trieb, indem sie wohldosiert Aufregerthemen streute. Die Republik schrie auf und kaufte brav ein ansonsten vollkommen irrelevantes Druckwerk, die Einen, um sich darüber zu echauffieren, die Anderen, weil "es endlich einmal jemand klar ausspricht, was wir alle denken."
Das Verb "denken" mag angesichts der Schlichtheit des Geäußerten etwas überraschen, aber die Nächstenliebe gebietet mir, die Sprecher solcher Sätze in ihrer Illusion zu lassen. Alles Andere führt nämlich unweigerlich zu Ausbrüchen, die mit "Man wird in diesem Land ja wohl noch einmal sagen dürfen, dass" beginnen und damit unterstellen, in Deutschland herrsche keine Meinungsfreiheit. Natürlich gibt es Leute, die unter "Meinungsfreiheit" allein die Freiheit verstehen, die Meinung zu äußern, die diesen Leuten in den Kram passt, insgesamt aber darf man in Deutschland aber schon arg viel Unsinn äußern. Man muss nur bereit sein, dafür die Konsequenzen zu tragen.
Das ist nämlich die andere Seite der Meinungsfreiheit. Das gleiche Recht, das ich in Anspruch nehme, um meine geistige Leere in die Welt zu posaunen, steht Anderen zu, um mir zu sagen, dass sie meine Meinung für ausgemachten Unfug halten. Ich muss auch damit leben können, dass bestimmte Verbände, denen ich angehöre, mit mir wegen des von mir Gesagten nichts mehr zu tun haben wollen.
Doch es geht ja, wie schon gesagt, nicht um Meinungsfreiheit oder darum, irgendetwas ändern zu wollen, es geht darum, Bücher zu verkaufen. Hätte jemand ernsthaftes politisches Interesse an der gerade laufenden Debatte, wäre er schon längst vor die Mikrofone getreten, um zu erklären, dass das Internet an allem Schuld ist, und es gäbe längst ein hastig zusammengekliertes Gesetz, das Ausländerkinder nach drei Fünfen in Serie des Landes verweist. Dass wir noch nicht einmal den obligatorischen in Gesetzesform geronnenen Verfassungsbruch vorliegen haben, belegt, dass alle froh sind, sich auf irgendeinem Nebenkriegsschauplatz austoben zu können, anstatt sich um wichtige Dinge kümmern zu müssen.
Bei einer anständigen Dadadebatte darf natürlich ein wenig Zahlenmaterial nicht fehlen, und das kommt diesmal in Form einer von Deutschlands seriösesten Nachrichtenrechercheueren RTL und Stern in Auftrag gegebenen Studie, die besagt, dass eine vom aktuellen Aufreger angeführte Protestpartei mit 18 Prozent Wählerstimmen rechnen könnte. Noch besser stünde es um eine Partei, die von Friedrich Merz geleitet wird: 20 Prozent. Der Abräumer schlechthin wäre der gescheiterte Bundespräsidentenkandidat Gauck: 25 Prozent. Nun betreiben wir mit Rücksicht auf das deutsche Wahlgesetz, das es nur erlaubt, maximal einer Partei seine Zweitstimme zu geben, ein wenig Kopfrechnen und erhalten die fantastische Zahl von 73 Prozent Stimmanteil, die zusammenkämen, träten diese drei Parteien tatsächlich gleichzeitig zur Wahl an. Spätestens hier sollte selbst dem gutgläubigsten Leser der eine oder andere Zweifel an der Seriösität der Meldung, den Antworten der Befragten oder der Studie selbst kommen. Dass eine Protestpartei aus dem Stand heraus den Sprung in ein Parlament schafft, mag ja noch angehen, dass aber CDU, SPD, GrünInnen, FDP und Linke sich um die verbliebenen 27 Prozent balgen, erscheint mir in einem Land, dessen Wähler sechzig Jahre lang nur sehr träge ihr Verhalten änderten, äußerst unwahrscheinlich. Die äußerste Form der Anarchie, die sich der Deutsche vorstellen kann, besteht darin, eine Parkuhr 30 Minuten zu überziehen, und wenn er es politisch mal so richtig krachen lassen will, geht er ganz mutig nicht zur Wahl. Das Einzige, was diese Studie wieder einmal belegt, ist die deutsche Eigenart, eine furchtbar dicke Lippe zu riskieren, im Ernstfall aber einzuknicken.
Zum Abschluss gibt es drei Weisheiten, die ich den Kollegen der Medien, die im Gegensatz zu diesem Blog von jemandem gelesen werden, gerne mitgeben möchte:
- Es besteht keine Pflicht, jeden Unsinn, der von irgendwem irgendwo abgesondert wird, jedesmal abzudrucken.
- Wenn jemand ein Buch verkaufen will, soll er gefälligst selbst dafür sorgen und nicht tagelang die Nachrichtenkanäle ernst zu nehmender Medien blockieren.
- Wer wirklich politisch etwas ändern will, sollte sich nicht in Umfragen austoben, sondern die Hufe schwingen und sich engagieren.
1 Kommentar:
Interessanter Vergleich und auch ansonsten ein sehr klug beobachteter Blogeintrag (wie so oft). Mir lag in letzter Zeit Ähnliches zu ebenjenem Fall auf der Zunge und einigen Freunden spie ich ebendies auch giftig entgegen, aber die von Dir gefundene Form ist sehr viel runder und allgemeingültiger. Chapeau!
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