Anja ist Atheistin und hat zum Thema Religion eine klare Meinung. Als sie im Fernsehen die Meldung zur angekündigten Koranverbrennung sieht, ist sie hellauf begeistert: "Großartige Idee. Ich lade den Kerl ein. Nach New York, zum Ground Zero, direkt an die Baugrube. Da werfen wir den Koran rein und verbrennen ihn - und hinterdrein auch gleich den ganzen anderen Kram: die Bibel, die Torah, den Talmud, das Buch Mormon, die Scientology-Bücher von Ron Hubbard und was es sonst noch so gibt. Das ist doch mal gelebte Ökumene." Anja weiß, wie man sich unbeliebt macht.
Aus Sicht einer Atheistin ist ihre Haltung aber nachvollziehbar. Sei es die Landnahme durch das Volk Israel, seien es die Kreuzzüge, sei es der Dschihad - immer wieder muss eine höhere Macht herhalten, um die zutiefst irdischen Bedürfnisse ihrer selbsternannten Anhänger zu rechtfertigen. Auf Twitter schrieb vor wenigen Tagen jemand: "G'tt kann sich seine Gläubigen nicht aussuchen."
Es sind aber nicht Bücher, die andere Leute totstechen, aufhängen, verbrennen, köpfen, steinigen, erschießen oder in die Luft sprengen, es sind die Leute, welche diese Bücher lesen, genauer: Leute, die aus diesen Büchern das herauslesen, was ihnen gerade in den Kram passt. Dafür können aber die Bücher nichts.
Die Apologeten der heiligen Schriften großer Weltreligionen neigen meist zu sehr einseitigen Darstellungen des darin Geschriebenen. Je nach persönlicher Vorliebe geraten die Texte zu blutrünstigen Werken der Kriegstreiberei, zu schwülstiger Kuschelliteratur oder zu beeindruckenden Werken tiefster Weisheit. Tatsache ist: All dies ist in diesen Büchern enthalten, und Aspekte hiervon auszublenden heißt, diese Bücher nicht verstanden zu haben, schlimmer noch: nicht verstehen zu wollen. Man kann bestimmte Aspekte einer Religion ablehnen, aber man darf nicht leugnen, dass es sie gibt.
Bücher können nichts dafür, wenn denkresistente Menschen sie lesen, weswegen es geradezu absurd anmutet, wenn andere denkresistente Menschen sie am Lesen hindern möchten, indem sie die Bücher verbrennen und damit auch dem Rest der Welt die Gelegenheit nehmen, sich mit diesen Büchern zu beschäftigen.
Insgesamt ist Religion ein Thema, bei dem viele Menschen das Denken gern auf die Stammhirn-Basisfunktionen einschränken. Da regte sich in den vergangenen Wochen beispielsweise vehementer Protest gegen ein muslimisches Zentrum, das einige Straßenzüge vom Ground Zero entfernt errichtet werden soll - von differenzierungsunwilligen Journalisten gern zu einer "Moschee am Ground Zero" verkürzt. Ich frage mich, wie das Weltbild derer aussieht, die so wütend gegen dieses Vorhaben angehen. Unbestritten ist, dass die Attentäter des 11. September 2001 Muslime waren. An Dämlichkeit kaum noch zu überbieten ist aber die offensichtlich in einigen Köpfen herrschende Vorstellung, deswegen seien auch alle Muslime Attentäter. Ist Ground Zero etwa heiliger Boden - einschließlich einer Bannmeile -, auf dem nur Nichtmuslime Religionsfreiheit genießen?
Damit wäre das Stichwort gefallen, mit dem ich es mir zuverlässig auch mit dem letzten Gläubigen verscherze: Religionsfreiheit bedeutet eben nur, dass man seinen Glauben frei leben darf, nicht etwa, dass die eigene Weltanschauung weltweit und für alle zwingend Gültigkeit hat. Konkret heißt das: Nur weil meine Religion ein Bilderverbot kennt, darf ich Andersgläubigen nicht vorschreiben, ob und wie sie meine Propheten darstellen. Noch mehr: sie haben sogar das Recht dazu, sich in dummer Weise darüber zu äußern, und ich darf ihnen deswegen nicht nach dem Leben trachten. Da ich diese Frage bei solchen Gelegenheiten immer wieder gestellt bekomme: Nein, ich habe keine Schwierigkeiten damit, wenn sich jemand über Jesus lustig macht. Mein Glaube hält das aus und Jesus - davon bin ich überzeugt - auch.
Wenn der 11. September zu einem Tag wird, an dem sich die Anhänger der verschiedenen Religionen zuverlässig in völlig überflüssige Scharmützel verstricken, haben die Dreckskerle von den Anschlägen im Jahr 2001 erreicht, was sie wollten.
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