Donnerstag, 25. Juni 2009

Man muss nicht zwischen Regen und Traufe wählen

Um sicher zu gehen, habe ich noch einmal nachgelesen: Es gibt keinen 147. Artikel des Grundgesetzes mit dem Wortlaut "Der Bundeskanlzer wird entweder von der CDU oder der SPD gestellt".

Das glaubt mir allerdings keiner. Egal, mit wem ich rede, die Frage, wer die nächste Wahl gewinnt, dreht sich um die Wahrscheinlichkeit - oder im Fall der SPD um die Unwahrscheinlichkeit - dass eine der beiden so genannten Volksparteien die Mehrheit im Bundestag bekommt. Selbst, wenn man mit einem Wähler der GrünInnen, der Linkspartei oder der FDP spricht, geht es im Wesentlichen darum, wer mit wem koaliert, um dann entweder Merkel oder Steinmeier mit Kanzlerwürden auszustatten.

Natürlich wissen das auch die CDU und die SPD, weswegen beispielsweise der Verantwortliche für den SPD-Onlinewahlkampf Sebastian Reichel dem Spiegel gegenüber erklärt: "Letztlich geht es im September um ein ganzes Spektrum von Themen und um die Entscheidung zwischen zwei Kanzlerkandidaten." Genau hier liegt der Fehler.

Das äußerste Maß an wahltaktischer Flexibilität, das in meinem Bekanntenkreis vorkommt, ist ein Wechsel zwischen CDU und SPD. Normalerweise bleibt man jedoch im jeweiligen politischen Lager und wechselt allenfalls zwischen den wahrscheinlichen Koalitionspartnern. Jeder grummelt "Die machen doch ohnehin, was sie wollen. Es ist doch eigentlich egal, wen man wählt, die unterscheiden sich ja ohnehin kaum noch", aber niemand ist bereit, daraus die Konsequenz zu ziehen. So wissen SPD und CDU: Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist für vier Jahre in die Opposition geschickt zu werden. Da sitzt man brav seine Zeit ab, wartet, bis sich das Volk an der Regierung satt gesehen hat und weiß, dass man dann auch einen Eimer Wasser zur Wahl stellen könnte und trotzdem gewönne. Was meinen Sie, warum Gerhard Schröder 1998 Kanzler wurde? Lesen Sie doch einmal genau durch, mit welchen Aussagen dieser Mann zur Wahl antrat. Unter normalen Umständen hätte ihm kein empfindungsfähiges Wesen die Stimme gegeben, aber die Leute hatten Kohl einfach satt.

Schlimmstenfalls Opposition - ich habe schon unangenehmere Dinge erlebt. Richtig betrachtet kann die Oppositionsrolle richtig lustig sein. Man sitzt einfach da und nörgelt grundsätzlich an allem herum, was die Regierung so treibt. Der Kanzler könnte übers Wasser gehen - die Opposition hätte auszusetzen, dass er es danach nicht in Wein verwandelt hat.

So brauchen sich CDU und SPD seit Bestehen der Bundesrepublik nicht groß zu sorgen, es passiert schon nichts. Gut, böse Zungen fragen sich, ob zuerst die Piratenpartei oder die SPD die Fünf-Prozent-Hürde erreicht; die Piraten seien näher dran, aber die SPD sei schneller, aber man merkt bei der SPD nicht unbedingt, dass jemand angesichts niederschmetternder Wahlergebnisse ernsthaft nervös wird. Vielleicht ist das Einzige, was die SPD noch zum Nachdenken bewegen könnte, tatsächlich der totale Mandatsverlust, doch daran glaubt natürlich keiner.

Es kann auf Dauer nicht gut für eine Demokratie sein, wenn das Regierungsamt nur zwischen zwei Parteien ausgeschachert wird. Keine dieser Parteien sieht einen Grund, mal wirklich von Grund auf zu überlegen, ob man noch richtig liegt. Im Gegenteil: Am besten bleibt man immer brav beim Bewährten. Der Wähler nennt diese Stasis "Kontinuität" und findet sie gut.

Was bräche eigentlich hierzulande zusammen, wenn beispielsweise die FDP den Kanzler stellte? Na gut, ein schlechtes Beispiel, weil Guido Westerwelle eher eine Politikersimulation als eine ernst zu nehmende Alternative zum Bestehenden darstellt, aber lassen wir dies für den Moment beiseite. Was ist eigentlich zu verrucht an der Idee, eine der bisher um die zehn Prozent abräumende Partei mit genügend Stimmen auszustatten, dass sie in der gleichen Größenordnung wie CDU und SPD spielt? Ich weiß, man denkt an die Führungsriege der kleinen Parteien und denkt "Himmel, bloß nicht die", aber mit Verlaub: Claudia Roth wirkt auch nicht so viel lächerlicher als Franz Müntefering.

Eine Stimme für eine Splitterpartei sei eine verschenkte Stimme, heißt es immer wieder. Nach dieser Logik hätten es die GrünInnen nie geschafft. Bei Wahlbeteiligungen um 50 Prozent reichen zwei bis drei Prozent der Wahlberechtigten, um eine Partei ins Parlament zu hieven; das sollte doch ein Anreiz sein.

Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich sage nicht, dass eine kleine Partei automatisch eine gute Partei ist. Einige dieser Parteien können mir gar nicht klein genug sein. Was ich aber sage, ist: Halten Sie die Augen offen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine vermeintlich aussichtslos winzige Gruppe Ideen hat, welche die gesamte politische Landschaft beleben. Reißen Sie CDU und SPD aus der selbstgefälligen Gewissheit, dass der Bundeskanzler praktisch ihnen gehört. Die Saurier waren einst die unumstrittenen Herrscher dieses Planeten, aber sie haben es nicht geschafft, sich den veränderten Bedingungen anzupassen und starben aus, während die anfangs völlig unbedeutenden Säugetiere zu Primaten entwickelten. Zwingen Sie unsere beiden Saurier zur Evolution.

Es kann den beiden nur nützen.