Die Familienministerin verwechselt Sperren und Löschen, genau genommen verwechselt sie Wegschauen mit Bekämpfen, ganz böse Zungen formulieren, mit ihrer Strategie setze sie sich für die ungehinderte Verbreitung dokumentierter Kinderschändung ein und wolle nur sicher stellen, dass man ihr im eigenen Land nicht dabei zusehen kann - und in der realen Welt findet man das im Wesentlichen in Ordnung. Die Netzgemeinde sieht dies in ihrer schweigenden Mehrheit möglicherweise ebenso, aber eine kleine Gruppe Aktivisten geht auf die Palme. Wie groß diese Gruppe ist, lässt sich schwer sagen, aber offenbar erregt sie genug Aufmerksamkeit, dass sich zumindest die Onlineausgaben der Zeit, der taz, des Handelsblatts, der Süddeutschen, der FAZ und des Spiegels ihr widmen. In einem gut geschriebenen Artikel beschreibt der Spiegel jetzt dieses Phänomen und versucht bei dieser Gelegenheit, einen Begriff zu etablieren: Generation C64.
Das klingt nach 68er und nach Generation Golf. Wie bei jedem neu aufkommenden Schlagwort, man denke nur an "Web 2.0", fühlt man sich zunächst hin und her gerissen zwischen Ablehnung eines zu platten Begriffs und der Begeisterung, eine Gedankenwolke endlich mit einem Wort fassen zu können. Welches der beiden Gefühle siegt und ob die vom Spiegel vorgeschlagene Vokabel unverändert übernommen wird, zeigen die nächsten Wochen.
Der Versuch des Spiegel, sich mit einem schmissig geschriebenen Artikel als Wortschöpfer zu etablieren, ist offensichtlich, aber so funktioniert das Geschäft nun einmal: Wer ein Feld besetzen will, muss es stürmen. Anhand der Reaktionen auf den Artikel merkt man, dass der Artikel einen Nerv getroffen hat.
Um eine Idee zu bekommen, wie die Generation C64 aussieht, nehmen greifen wir uns zufällig jemanden heraus, der gerade in der Nähe ist und sich von diesem Schlagwort beschrieben fühlt - mich - und sehen nach, womit er sich den Tag über so beschäftigt:
Die morgendliche Lektüre besteht nicht in der Papierausgabe einer Zeitung, sondern im Überfliegen der wichtigsten Meldungen bei Spiegel Online und dem Heise-Newsticker. Der Gang zum Briefkasten entfällt, weil sich dort außer der alle 14 Tage erscheinenden c't ohnehin nur selten etwas befindet. Statt dessen gilt die Aufmerksamkeit den verschiedenen E-Mailkonten. Wichtig ist dabei der Plural. Spamfilter in allen Ehren, aber eine Adresse, die keiner kennt, kann man auch nicht mit Werbung verstopfen. Entsprechend gibt es verschiedene Adressen, die ich nach Vertrauenswürdigkeit gestaffelt den Leuten nenne.
Über den Chat-Client kommt eine Terminanfrage rein. Ich sehe im Online-Kalender nach und schicke eine Bestätigung. Damit ich die Sache nicht vergesse, synchronisiere ich die Verabredung auch gleich mit dem Mobiltelefon.
Bei einer Rechnung ist ein Detail unklar. Ich schreibe eine kurze Mail und habe eine Stunde später die Antwort. Die Überweisung nehme ich online vor.
Eine weitere Mail kommt rein - ob man meinen Plakatentwurf noch einmal haben könnte, an der Veranstaltung habe sich eine Kleinigkeit geändert. Die Mail mit der Datei ist Minuten später unterwegs.
Der Kassenwart des Vereins schreibt, er habe Schwierigkeiten mit den Abrechnungen für die Honorarkräfte. Die fertig ausgefüllte Tabelle bekommt er eine halbe Stunde später - selbstverständlich asymmetrisch mit GPG verschlüsselt.
Das Telefon klingelt. Ein Freund hat ein Computerproblem. Da die Ferndiagnose zu schwierig wird, melde ich mich auf seinem Rechner an und sehe nach, ob noch was zu retten ist. Nebenher lade ich mir die aktuelle Ubuntu-Installations-CD, weil ich nachher noch einen Rechner neu aufsetzen möchte. Die Frage, wie man die etwas ungewöhnliche Grafikkarte zur Mitarbeit überreden kann, hat eine kurze Forenrecherche bereits erledigt.
In der Zwischenzeit schreibe ich noch den einen oder anderen Forenkommentar, lese bei Twitter die neuesten Schlagzeilen von Zeitungen und Bloggern und sehe beim Onlinebuchhändler nach, was es Neues gibt.
So ähnlich sehen viele Tage aus, und ich bin kein extremer Internetnutzer. Das Netz ist einfach nur ein selbstverständlicher Teil meines Lebens geworden. Zusammen mit einem Freund aus Hamburg auf einem Server in Karlsruhe zu arbeiten, während man selbst in einem Hotel in Prag sitzt, ist natürlich eine furchtbar aufregende Sache - wenn man darüber nachdenkt. In den meisten Fällen jedoch habe ich die virtuelle Omnipräsenz schon einfach als ganz natürliche Sache zur Kenntnis genommen.
Für die Generation C64 sind Computer nichts Ungewöhnliches. Das heißt aber nicht, dass sie uns nicht faszinieren. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich meiner Oma Briefe schreiben musste, weil sie kein Telefon hatte. Wenn ich mich verschrieb, musste ich noch einmal von vorn anfangen. Kommunikation über große Distanzen war Luxus. Wie weit der telefonische Gesprächspartner entfernt war, hörte man deutlich an der Leitungsqualität.
Als die ersten 64er in diese analoge und im Wesentlichen nicht von Strom durchflossene Welt eindrangen, stellten sie eine Sensation dar. Wirklich etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen konnte niemand, aber wer das Universum in der Brötchendose betrat, begab sich in eine völlig neue Welt, in der andere Gesetze galten. Das Tollste aber war: Man konnte dieses Universum ändern. Man konnte Programme schreiben und diesen Wunderkisten sagen, was sie erledigen sollten. Bedingung war natürlich, dass man sich auf ihre Welt einließ, aber wer das tat, kam sich vor wie 15 Jahre später der elfjährige Harry Potter, als er feststellte, dass er an die Gesetze der Muggelwelt nicht gebunden, sondern ein Zauberer war.
Vor allem hatten wir eine Chance, die spätere Generationen nicht hatten: Wir konnten die Kisten verstehen. Nun will ich nicht behaupten, auch nur annähernd verstanden zu haben, wie der VIC oder die CPU des 64ers funktionieren, aber ich weiß wenigstens, dass tief unterhalb der Welt der animierten Fenster, Transparenzeffekte und 3D-Engines eine Schicht liegt, in der es im Wesentlichen darum geht, Werte in Speicherzellen zu schreiben, sie auszulesen, sie umzuwandeln und gegebenenfalls an eine andere Stelle des Programms zu springen. Ähnlich ist es mit dem Internet: Ich könnte niemals eine vernünftige Homepage gestalten, aber ich weiß, dass unter dem Youtube-Video eine Ebene kommt, in der man sich über die Frage unterhält, wie ein Signalpegel auf eine Leitung geschaltet wird.
Die Generation C64 besteht nicht aus lauter IT-Experten. Die meisten von uns haben sich entschlossen, so wie ich im Mittelmaß zu versauern, doch bevor wir das taten, hatten wir zwei Jahrzehnte Zeit, uns in aller Ruhe anzusehen, wie aus einem dreiadrigen RS232-Kabel am Userport des 64ers das Internet wurde. Wir haben begriffen, wie es in seinen Grundzügen arbeitet und wir wissen, was es wert ist. Als wir jung waren, konnte man eine größere Menge Leute vielleicht erreichen, indem man in der Schülerzeitung einen Artikel schrieb. Dazu musste man die Redaktion überreden, den Artikel abzudrucken, und wenn man Glück hatte, lasen ihn in der ganzen Stadt vielleicht ein paar hundert Leute. Heute stellt man einfach einen neuen Kommentar in sein Blog ein, und wenn man sich gut dabei anstellt, kann man es im Netz zu einiger Berühmtheit bringen. Es mag ja sein, dass man bis auf wenige Promille alles, was die neue Kommunikationsfreiheit ermöglicht, vergessen kann, aber diese Entscheidung überlässt man unserer Meinung nach den Nutzern, nicht den Regierungen.
Man kann den Deutschen viel vorwerfen, aber eines nicht: dass sie sich blindlings auf jede Neuerung stürzen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was passierte, als vor einigen Jahrzehntausenden der erste Mensch mit einem Faustkeil aufkreuzte. Da ging bestimmt schon das Genöle los: "Also nee, das geht ja nun gar nicht. Rehe konnte man doch früher auch so auswaiden, wozu braucht man auf einmal so ein Ding? Das führt doch zu einer Faustkeilisierung des Denkens, und wenn ich mir erst das Missbrauchspotenzial vorstelle; ich male mir lieber nicht aus, was passiert wäre, wenn Hitler schon Faustkeile besessen hätte - überhaupt: Wo kommen die Steine überhaupt her? Da, wo du sie suchst, brütet doch bestimmt eine seltene Vogelart, und was passiert, wenn so ein Faustkeil mal kaputt ist? Wirfst du den dann einfach weg? Das dauert doch bestimmt Jahre, bis der biologisch abgebaut ist."
Als in Deutschland die Internetnutzung im großen Stil anfing, wusste noch keiner, was man damit anfangen sollte, aber alle wussten: Da sind Nazis drin. Und Anleitungen zum Bombenbauen. Und Pornos. Na gut, das Dritte dürfte der Grund sein, warum sich das Internet in Deutschland überhaupt etablieren konnte, auch wenn es keiner zugibt.
Entschuldigung, das was natürlich Quatsch, und alle Nutzungsstatistiken, die Mitte der Neunziger erstellt wurden, belegen das. Ich wollte mir nur die Pointe nicht entgehen lassen. Dummerweise gibt es weite Teile der politischen Kaste in Deutschland, die den ganzen Unsinn mit dem Sündenpfuhl glauben. Ihre Gedankenwelt hat die Siebziger nie verlassen, als man sich seine Meinung für die nächsten Stunden noch am Kiosk kaufte. Kommunikation ist herrschaftliches Wissen, das von einer Oligarchie dem Volk verabreicht wird. Untereinander redet man vielleicht am Telefon oder in der Kneipe, auf keinen Fall jedoch darf jeder einfach so ein potenzielles Millionenpublikum ansprechen. Meinungsfreiheit schön und gut, aber nur so lange, wie man mit seiner Meinung nicht mehr Leute erreicht, als in ein Wohnzimmer passen. Für die politische Kaste ist das Internet eine Art Versandhauskatalog, in dem man als Verbraucher herumblättern und sich Angebote aussuchen kann. In einer solchen Welt haben Begriffe wie Informationsfreiheit keine Bedeutung. Unterstützt wird diese Haltung von Leuten, die sich von der nahezu unendlichen Vielfalt des Internet überfordert fühlen. Sie wollen exakt drei Seiten aufrufen: die Fahrplanauskunft, ihren Webmailzugang und - immerhin geht man mit der Zeit - den Onlinebuchhändler mit den tollen Sonderangeboten. Die ständigen Berichte von Phishern, trojanischen Pferden und Viren verunsichern sie zutiefst. Wenn der Staat hier eingriffe und außer der Fahrplanauskunft, dem Webmailzugang und dem Onlinbuchhändler mit den tollen Sonderangeboten alles andere gesperrt wäre, fänden sie das großartig.
Die Generation C64 tickt anders. Sie hat gelernt, Sachen auszuprobieren, ohne sich dabei künstlich beschränken zu lassen. Barrieren dieser Art fasst sie als Funktionsstörungen auf, die man beseitigen muss.
Dass die politische Kaste schon lange über ihre Köpfe hinweg regiert, nimmt die Generation C64 seit Jahrzehnten zur Kenntnis. Sie findet das nicht weiter schlimm, solange die Politik nicht versucht, in die Sphäre der Generation C64 hinein zu regieren - doch genau das findet zunehmend statt:
- Das Kopieren von Programmen und Filmen wird immer weiter erschwert. Die Generation C64 kann verstehen, dass Autoren für ihre Arbeit entlohnt werden wollen. Was sie nicht versteht, sind die minutenlangen Vorspänne auf den ehrlich gekauften DVDs, bei denen man sich anhören muss, wie schlimm das Kopieren von Filmen ist. Man kann diesen Vorspann nicht überspringen, man darf nichts unternehmen, um ihn nicht mehr sehen zu müssen, das verbietet nämlich das Gesetz. Wer die DVD illegal kopiert, kann sich den Vorspann natürlich herausschneiden.
- Der Besitz von "Hackerprogrammen" ist strafbar. Hier herrscht bei der Generation C64 vor allem Kopfschütteln über die unglaubliche Schludrigkeit, mit der das Gesetz formuliert wurde. Niemand hat etwas dagegen, wenn der Staat gegen elektronische Einbrüche vorgehen möchte, aber dann soll er doch bitte nachdenken und nicht ein Gesetz verabschieden, das theoretisch den Besitz eines funktionierenden Betriebssystems mit Gefängnis ahndet.
- Jeder, der sich im Internet bewegt, ist ein potenzieller Terrorist. Wieder einmal hat die Generation C64 nichts gegen die der Vorratsdatenspeicherung zu Grunde liegende Idee, sie hat nur etwas gegen die Brachialmethoden, mit der sie durchgesetzt wird. Die Bundesregierung soll gern gegen Terroristen vorgehen, aber sie soll dabei nicht Millionen Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und von jedem ein Kommunikationsprofil anlegen.
- Dein Gehirn gehört mir: Viele Menschen verwenden ihren Computer als Auslagerungsdatei für Gedanken, darunter fixe Ideen und unbedacht geäußerte Wünsche, die nie auch nur in die Nähe der Realität kommen werden. Selbst davor schreckt die Bundesregierung nicht zurück und behält sich das Recht vor, Spionageprogramme auf fremden Rechnern zu installieren um herauszufinden, was das Volk so alles denkt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht diesem Treiben sehr hohe Hürden vorgeschoben, aber wirklich beeindruckt hat dies die Innenminister nicht.
- Wahlurnen zu Losbuden: Im Zeitalter, in dem man mit Highspeed auf dem Informationsuperhighway surft, nimmt sich eine papierbasierte Wahl natürlich popelig aus, zumal in einigen Gegenden ein Wahlrecht herrscht, das den Wahlhelfern fast ein Hochschulstudium abverlangt, um auch nur die Gültigkeit des Stimmzettels feststellen zu können. Die Idee, diesen Vorgang zu automatisieren, lag nahe, und wieder einmal schaffte es die Politik, aus einer im Grunde sinnvollen Idee völligen Blödsinn werden zu lassen. Das Argument, eine schwarze Kiste, die um 18.00 Uhr freudestrahlend das Wahlergebnis verkündet, könne ja wohl kaum ein über Jahrzehnte bewährtes und vor allem für Laien nachprüfbares Zählverfahren ersetzen, wurde mit der Bemerkung beseite gewischt, die so genannten Experten sollten mit ihrem akademischen Genörgel aufhören, der TÜV habe sich einen Prototyp angesehen und der habe prächtig funktioniert. Eine Generation, die mit Computerfehlern groß geworden ist, kann über derart naiven Optimismus allenfalls den Kopf schütteln.
- Das Fass zum Überlaufen brachte der Gesetzesentwurf zur Sperrung von Internetseiten. Ohne jetzt auf die technischen und politischen Details einzugehen: Wenn einer Ministerin auf wissenschaftlicher Ebene ein Fehler nachgewiesen wird, sollte sie dazu mehr argumentatives Material als das Wort "unterirdisch" haben.
Auf Kritik reagiert die politische Kaste unwillig. Für den SPD-Politiker Wiefelspütz besteht die politische Auseinandersetzung aus den Worten: "DNS, TLD, GAGA, GOGO, TRALAFITTI oder was?" Der CSU-Bundestagsabgeordnete Uhl findet die Einwände des CCC "juristisch ohne Sinn und Verstand und moralisch verkommen". Die Familienministerin unterstellt Leuten, die ihr technisch überlegen sind, kriminelle Absichten: "Wen kenne ich, der Sperren im Internet aktiv umgehen kann? Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle."
Dass Politiker mitunter einfach Unsinn schwätzen, nimmt ihnen niemand ernsthaft übel. Auch wenn mancher Diätenbezieher dies nicht gern hört: Politiker sind auch nur Menschen und damit fehlbar. Was die Generation C64 aber ganz und gar nicht leiden kann, sind Politiker, die eine über Jahrzehnte gehende technische Entwicklung verschlafen haben und nun auf einmal im Bundestagswahlkampf mit Aktionismus punkten wollen. Minister, die auf der einen Seite damit kokettieren, dass sie dieses Internet, von dem die Leute neuerdings alle reden, auch nicht begriffen haben ("Es ist so aufwändig, dass der Chef des Bundeskriminalamts, der Herr Ziercke, der versteht e bissel was davon. Ich versteh nix davon." Wolfgang Schäuble zur Onlinedurchsuchung), auf der anderen Seite aber eine Statistik nach der nächsten herunterbeten, die angeblich besagt, dass außer Terroristen und Kinderschändern praktisch niemand das Netz benutzt, wirken unglaubwürdig, wenn nicht gar anmaßend. Es ist keine Schande, das Internet nicht begriffen zu haben, aber dann soll man sich bitte auch nicht als Experte aufspielen und das Internet regieren wollen.
Die Generation C64 hat "Per Anhalter durch die Galaxis" gelesen und kennt die Stelle mit dem Gefräßigen Plapperkäfer von Traal auswendig ("Ein zum Verrücktwerden dämliches Vieh, es nimmt an, wenn du es nicht siehst, kann es dich auch nicht sehen – bescheuert wie eine Bürste, aber sehr, sehr gefräßig.") und fühlt sich dabei unwillkürlich an die Bundesfamilienministerin und ihre Pläne erinnert, durch eifriges Wegsehen die dokumentierte Kinderschändung zum Verschwinden zu bringen. Sie fragt sich, wie im realen Leben jemand so verblüffend nah an die Satire kommen kann.
Wer eine politische Karriere anstrebt, dient sich in der Parteihierarchie hoch, klebt Plakate, verteilt Flugblätter, sitzt sich auf zahlreichen Parteitagen eine Kreislaufschwäche an und versucht mit einem Politologie- oder Jurastudium den Sprung in die Staatskanzlei. Er weiß, dass scharfe Profile polarisieren und damit notwendigerweise auch Leute abschrecken. Als Konsequenz bezieht er nur selten Position und richtet sich vor allem nach dem, was ihm persönlich den größten Gewinn verspricht.
Diese vor allem von Durchhaltevermögen geprägte Welt ist der Generation C64 fremd. Sie denkt in Projekten. Zusammen mit Gleichgesinnten schließt man temporäre Bündnisse, die aber auch sofort wieder zerfallen, wenn die Aktion vorbei ist. Klassische Beispiele sind der "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" und der "Arbeitskreis Zensur". Beide verstehen sich als Arbeitskreise, nicht als Vereine oder Parteien. Ihren jeweiligen Bereich sehen sie so scharf, dass der AK-Vorrat am Anfang der Zensurdebatte öffentliche Stellungnahmen zu diesem Thema ablehnte, weil man seine Mitglieder nicht vereinnahmen wollte. Man konzentriert sich auf einzelne Punkte. Eine sich über Jahre hinziehende politische Arbeit fand bislang nicht statt.
Das könnte sich jetzt ändern. Die politische Kaste hat einfach zu oft und zu gründlich nicht verstanden, was die Generation C64 will. Sie klagt zwar über Nachwuchsmangel, schreckt aber jeden ab, der in Computern mehr sieht als eine aufgetakelte elektrische Schreibmaschine. Die durchs Netz tobenden Entrüstungsstürme hält sie für ein rein auf dieses Medium beschränktes Phänomen, das sich nicht in Wahlergebnissen niederschlägt und damit nicht der Beachtung wert ist. Möglicherweise hat sie mit dieser Einschätzung sogar Recht. Was aber, wenn wie vor dreißig Jahren genug Leute so genervt sind, dass sie außerparlamentarische Themen in den Bundestag hinein tragen wollen? Ähnlich wie damals tritt heute eine Partei an, deren Mitglieder sich auf ein bestimmtes Thema fixiert haben, von dem sie sehr viel verstehen und das ihnen äußerst wichtig ist. Wie vor dreißig Jahren handelt es sich um ein kleines Häufchen, das von den Etablierten für völlig durchgedreht, politik- und regierungsunfähig und somit unwählbar gehalten wird. Damals wie heute hat die Politik keine Antworten auf die Fragen dieser Gruppe und versucht, ihre Ratlosigkeit mit Verunglimpfungen zu übertünchen. Es ist nicht gesagt, dass die Piraten die neuen Grünen sind, aber die Parallelen drängen sich auf.
Vielleicht wird die Generation C64 jetzt erwachsen.