Donnerstag, 19. August 2010

Keine Todesstrafe - in der Schweiz oder irgendwo sonst

In der Schweiz versucht man, einen Volksentscheid zur Wiedereinführung der Todesstrafe herbeizuführen. In der an Themen gewöhnlich armen Sommerferienzeit hätte man damit zwei Aufregerthemen, mit denen sich so manche Kommentarspalte füllen ließe: Volksentscheide und Todesstrafe. Gleichzeitig aber haben wir eine Ölkatastrophe vor den USA, eine Flutkatastrophe in Pakistan, und - Schrecken über Schrecken - die Horrorvision, dass unsere für allen sichtbaren Hausaußenseiten künftig auch im Internet bestaunt werden können, dass selbst mit Schlagzeilen eher unterversorgte Journalisten die gerade in der Schweiz laufende Diskussion nicht gerade hoch priorisiert behandeln.

Zum Thema Todesstrafe ist auch schon viel, fast könnte man sagen: alles gesagt worden, aber offenbar ist es nicht genug, denn immerhin in der Schweiz gibt es dem Anschein nach noch Diskussionsbedarf. Doch nicht nur in der Schweiz wird diese Frage diskutiert, sondern auch mein befreundeter Islamblogger beschäftigt sich mit dieser Frage, bezieht klar Stellung für die Todesstrafe und reizt mich damit zum Widerspruch.

Um das Wichtigste vorweg zu nehmen: Ich lehne die Todesstrafe strikt ab und werde entgegen meiner sonstigen Gewohnheit im Folgenden auch nicht relativieren. In kaum einem Punkt sah ich in den letzten Jahrzehnten weniger Anlass, meine Position zu hinterfragen wie dieser. Es steht Ihnen im Kommentarbereich frei, eine andere Meinung zu vertreten, aber sparen Sie sich die Mühe, mich argumentativ eines Anderen überzeugen zu wollen.

Einigkeit herrscht bei uns wohl in der Frage, dass Mord zutiefst  verabscheuenswürdig ist. Um es klar zu sagen: Man tötet einfach nicht andere Menschen gegen deren ausdrücklichen Willen. Doch dann ist es auch Mord, einen Mörder zu töten, und daran ändert auch ein von einem ordentlichen Gericht gefälltes Todesurteil nichts. Der Mörder, der sein Opfer aussucht, die Tat plant, durchführt und danach die Spuren zu verwischen versucht, unterscheidet sich meiner Überzeugung nach in nichts von einem Henker, der den Todeskandidaten vorgeführt bekommt, ihn auf mehr oder weniger bestialische Weise umbringt und sich danach bescheinigen lässt, dass bei diesem Akt alles mit rechten Dingen
zuging. Genauso verlogen, wie der Mörder seine Tat rechtfertigt, erzählen wir davon, wie human doch unsere Hinrichtungsmethoden sind - doch human geht es allenfalls für die Zeugen zu. Ob der Hingerichtete angenehm aus dem Leben geschieden ist, kann er uns systembedingt nicht mehr mitteilen.

Die Zeit vor der Hinrichtung freilich verbringt der Todeskandidat unter äußerst  fragwürdigen Umständen, sperren wir ihn doch besonders sorgfältig weg, damit er uns bloß nicht vorzeitig wegstirbt. Bei seinen letzten Jahren, Wochen, Tagen oder Stunden lassen wir es korrekt zugehen, damit kein Makel auf den Rechtsstaat fällt. Doch gerade diese aufgesetzte Menschlichkeit ist es, die mir die
Todesstrafe besonders widerwärtig vorkommen lässt.

Es gibt natürlich auch Staaten, die auf geheuchelten Humanismus keinen gesteigerten Wert legen. Hier stopft man die Hinzurichtenden in die letzten Löcher, karrt sie auf LKW-Ladeflächen in Fußballstadien oder auf Marktplätze, wo man die Betroffenen auf besonders spektakuläre Weise umzubringen trachtet. Man versucht gar nicht erst, den Tod möglichst schnell eintreten zu lassen, sondern nutzt auch gern einen Baukran als Galgen. Wer sich mit den  verschiedenen Hinrichtungsmethoden schon einmal beschäftigt hat, weiß: So dauert es lang.

Keiner versuche mir bitte zu erzählen, hier ginge es um schnelle und reibungslose Urteilsvollstreckung. Hier geht es auch nicht um Abschreckung, denn die hat ja nachgewiesenermaßen nicht funktioniert. Hier geht es darum, sadistische Triebe auszuleben. Wenn man einen Beleg braucht, dass sich die vermeintliche  Rechtspflege in Sachen Bestialität keinen Deut von der Bestialität des  hingerichteten Mörders unterscheidet - hier hat man ihn.

Unser Rechtssytem schütze mehr die Täter als die Opfer, wird mir vorgeworfen, ich fokussiere mich auf Nebensächlichkeiten bei der Strafdurchführug und vernachlässige das dem Mordopfer angetane Unrecht und das Leid der Angehörigen. Ich vernachlässige niemanden, ich unterscheide nur zwischen Recht und Rache.

Dass ein Verbrechensopfer oder dessen Angehörige sich bisweilen am Täter rächen wollen, ist vollkommen verständlich, aber unser Rechtssytem legt ganz bewusst das Augenmerk auf die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Es geht nicht in erster Linie um persönliche Gefühle, sondern darum, dass Recht immer und überall auf gleiche Weise durchgesetzt wird. Ein Opfer kann nicht objektiv über das ihm angetane denken. Verstehen Sie jetzt, warum Wolfgang Schäuble nie Innenminister hätte werden dürfen?

Wer Rache will, kann dies fordern, aber er muss sich darüber im Klaren
sein, dass er damit ein grundsätzlich anderes Rechtssytem fordert. Davon abgesehen stelle ich den Sinn von Rache in Frage. Wenn ich, wie geplant, einem Mann, der einer Frau mit Säure das Gesicht verätzt und das Augenlicht geraubt hat, unter ärztlicher Aufsicht Säure in die Augen träufle und daran erblinden lasse, zahle ich ihm zwar Gleiches mit Gleichem heim, aber außer der kurzfristigen Befriedigung des Rächers ändert sich nichts. Wenn Leben etwas wäre, das man dem Mörder nehmen und dem Opfer wiedergeben könnte, wäre ich in der Lage, noch so etwas Ähnliches wie Sinn zu erkennen, aber so?

Allein schon die Aufstellung der Liste todeswürdiger Verbrechen dürfte unter den Befürwortern der Todesstrafe zu Auseinandersetzungen führen. Dass ein Mörder seinerseits getötet gehört, wäre vielleicht noch Konsens, aber ich kann Ihnen ohne zu zögern reihenweise andere Verbrechen aufzählen, deren Opfer den Tod sogar dem Leben vorzögen, und spätestens, wenn wir die im kommunistischen China bekannte Todesstrafe für Wirtschaftsverbrechen diskutieren - immerhin haben raffgierige Bankiers schon genug Leben ruiniert -, stellt sich die Frage, warum wir überhaupt noch irgendwelche Verbrecher am Leben lassen.

Damit wären wir auch bei einer weiteren Forderung angelangt: Der Verbrecher soll nicht mehr in der Lage sein, das Verbrechen noch einmal zu begehen. Mit dieser Begründung schneidet man in manchen Kulturen bis zum heutigen Tag Dieben die Hand ab. Man verzeihe mir die naive Frage, aber gibt es da nicht auch weniger rabiate Methoden? Der Tod ist trivialerweise die einzig wirklich sichere Maßnahme, um einen Menschen von der Verübung irgendwelcher Taten abzuhalten, aber damit könnte ich auch die Todesstrafe für zu schnelles Autofahren verlangen - ein gar nicht so abwegiger Gedanke, wenn man bedenkt, wie viele Menschenleben die freie Fahrt für freie Bürger jährlich kostet.

Entschuldigung, ab und zu vergesse ich, im einzigen Land der Erde zu leben, in dem Wahlen über Benzinpreise entschieden werden und dessen Bürger bei jedem Tempolimit am liebsten nach Karlsruhe gehen.

Es mag für viele unverständlich erscheinen, dass Verbrecher in den Gefängnissen ein relativ sicheres Leben führen, während es den Opfern mitunter erheblich schlechter geht, aber die Konsequenz darf in meinen Augen nicht lauten, es den Verbrechern schlechter, sondern den Opfern besser gehen zu lassen. Deutsche Gefängnisse mögen im internationalen Vergleich noch halbwegs zivilisierte Orte sein, aber die gerade in koservativen Kreisen gern gepflegte Mär von Vier-Sterne-Luxus hinter Gitterstäben wird durch die Realität nicht gestützt. Wer das nicht glaubt, soll sich doch einfach ein passendes Verbrechen einfallen lassen und ein paar Schnupperjahre in einer Justizvollzugsanstalt verbringen. Ich bin gespannt, ob er die Sache dann immer noch glaubt.

Es erzähle mir auch bitte niemand, die Unterbringung eines Mörders koste den Staat so unglaublich viel Geld, das man an anderer Stelle viel besser ausgeben könne. Erstens verbrennen wir mit derartiger Wonne Milliardenbeträge, um armen Bankern ihre lieb gewordenen Villen zu finanzieren, dass wir davon wahrscheinlich die halbe Bundesrepublik bis ans Ende aller Zeiten einkerkern könnten, zweitens widert es mich an, wenn der Wert eines Menschenlebens in Geld gemessen wird. Mit dieser Argumentation überlegen wir schon seit Jahren, ob man alten Menschen nicht einfach die ärztliche Behandlung verweigern soll, weil die Kosten in keinem Verhältnis zu den paar Tagen stehen, die wir vielleicht noch heraus kitzeln. Mit dieser Argumentation könnte man aber auch gleich alle Langzeitarbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und alle Anderen erschießen, die unseren Staatsapparat um Hilfe bitten, ohne jemals eine Chance zum finanziellen Ausgleich zu haben.

Man muss Mörder nicht für Ihre Taten belohnen, aber auf ihr Niveau darf man sich ebenfalls nicht begeben. Genau das geschieht aber bei Rachejustiz.