Montag, 31. Mai 2010

Der Köhler geht von Bord

Er ging, wie er gekommen war: ohne wirklich verstanden zu haben, was die deutsche Verfassung unter einem Bundespräsidenten versteht.

Schon vor seiner ersten Wahl im Jahr 2004 ließen Äußerungen in Interviews den Verdacht aufkommen, der geschäftsführende IWF-Direktor habe so lange im Ausland gelebt, dass ihm einige Details im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten des deutschen Staatsoberhaupts nicht mehr unmittelbar präsent waren. Zu sehr sprach der Kandidat von den Dingen, die er während seiner Regierungszeit zu ändern gedenke. Dabei entging ihm offenbar, dass der deutsche im Gegensatz zum US-amerikanischen Präsidenten keine reale Macht besitzt. Die kommt dem protokollarisch zwar niedriger gestellten, aber von den Befugnissen her besser ausgestatteten Bundeskanzler zu. Die Nummer eins des Staats schneidet Bändchen von Ausstellungen durch, verleiht Bundesverdienstkreuze und hält in der Zwischenzeit schöne Reden, die dann alle bejubeln, ohne daraus irgendwelche Handlungen abzuleiten.

Eine winzige Stelle, an der man die Muskeln spielen lassen konnte, hatte er, und vielleicht besteht sein historischer Verdienst darin, dieses Detail der Verfassung dem Volk in Erinnerung gerufen zu haben: das Unterschreiben von Gesetzen. Freilich hat der Präsident auch hier nur äußerst eingeschränkte Befugnisse, aber immerhin kann er seine Unterschrift verweigern, wenn er Zweifel am verfassungsgemäßen Zustandekommen eines Gesetzes hat. Zweimal nutzte Köhler diese Option und verhinderte auf diese Weise wenigstens zwei Verfassungsbrüche durch die Regierung. Andere, später als grundgesetzwidrig eingestufte Gesetze ließ er wiederum passieren. Man kann ihn für das Eine oder das Andere kritisieren, sollte aber dabei bedenken, dass die eigentliche Aufgabe, Grundrechtsverstöße zu verhindern, dem Bundesverfassungsgericht zukommt. Eigentlich kommt sie dem Bundestag zu, indem er solche Gesetze gar nicht erst beschließt. Am eigentlichsten kommt sie uns zu, indem wir wenigstens den einen oder anderen Volksvertreter ins Parlament wählen, der unsere Verfassung als Leitschnur, nicht als Hindernis betrachtet.

Köhler sah sich als politischer Präsident, und er ließ es an deutlichen Worten nicht mangeln - deutliche Worte, die Balsam für die von der Selbstherrlichkeit ihrer Führungselite irritierte Volksseele waren, aber ansonsten vollkommen wirkungslos verklangen. Wer austeilt, muss jedoch auch einstecken können, und hier ließ der scheidende Bundespräsident erneut offensichtliche Fehleinschätzungen des Amtes erkennen, in das er sechs Jahre zuvor gewählt worden war. Der Bundespräsident ist kein Heiliger, Kritik an seiner Amtsführung keine Gotteslästerung. Insbesondere verschmelzen Amt und Person nicht zu einer untrennbaren Einheit.

Zwei Kleinigkeiten am Rand: Erstens ist es bezeichnend für den geheuchelten Respekt gegenüber dem Amt des Bundespräsidenten, dass es als Beleidigung empfunden wird, wenn man den Amtsinhaber mit einem seiner Vorgänger - Heinrich Lübke - vergleicht. Waren nicht eben alle Bundespräsidenten göttergleiche Erscheinungen, ein Vergleich mit ihnen mithin das höchste Lob, das einem irdischen Wesen zukommen kann? Zweitens ist es bezeichnend, dass ein Politiker darüber stürzt, dass er die Wahrheit sagt.

Montag, 24. Mai 2010

Sigint 2010

Die Sigint 2010 ist vorbei - drei erlebnisreiche Tage mit hörenswerten Vorträgen und jeder Menge interessanter Menschen.

Kritik gab es nach der letzten Sigint, die Veranstaltung sei im Vergleich zum Chaos Communication Congress zu teuer. Die Kritik kam an und führte dazu, dass wenigstens die Tageskarten von 45 € auf  30 € deutlich günstiger wurden.

Zu sehen gab es einiges. Leute wie Dan Kaminski könnten wahrscheinlich das Kölner Telefonbuch vorlesen, und es wäre immer noch interessant. Martin Haases schon fast traditionelle Sezierungen haltlosen Politikergewäschs sind die zur Perfektion getriebene Kunst, durch einfaches Zitieren und ein paar präzisen Kommentaren jemanden bis auf die Knochen zu blamieren. Ähnlich ist es mit den CCC-(Halb-)Jahresberichten. Man braucht die Realität gar nicht satirisch zu überspitzen, sie ist von allein schon absurd genug. Ein Referent, den ich bisher noch nicht kannte, dessen pointierte Vorträge zum Thema Computersicherheit aber in jeder Hinsicht hörenswert sind, ist Frank Bredjik.

Einer von vielen Höhepunkten war der Vortrag Udo Vetters zur Strafverfolgung im Internet. Wer den launischen Juristen nicht kennt, sollte sich unbedingt eines seiner Chaos-Communication-Congress-Videos ansehen. Kompetenz und Humor bilden bei ihm eine äußerst sehenswerte Kombination. Ich gebe den Inhalt seines Vortrags hier grob wieder, lasse vieles aus und erhebe auch nicht den Anspruch, juristisch korrekt zu sein. Ich gebe den Inhalt des Referats so wieder, wie ich ihn verstanden habe, nicht so, wie er in den Augen eines Juristen korrekt ist. Wer es genau wissen will, sollte warten, bis die Aufzeichnung seiner Rede im Netz steht. Den ganz Ungeduldigen empfehle ich Vetters Vortrag zu einem ähnlichen Thema auf der re:publica.

Wichtigste Botschaft: Die Ermittlungsbehörden sind im Internet angekommen. Sie haben es zwar mitunter nicht verstanden, aber sie nutzen es. Insbesondere wer sich in sozialen Netzen herumtreibt, sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass die Polizei mitliest und ihre Schlüsse zieht.

Ein weiterer Ermittlungsschwerpunkt sind P2P-Netze. Es ist vorgekommen, dass die Polizei den Rechner eines Filesharers übernimmt und dann die IP-Adressen der anderen Peers aufzeichnet. Rechtlich ist dieses Vorgehen umstritten, weil das Anfordern eines Dateinamens in den Augen verschiedener Juristen kein ausreichendes Verdachtsmoment darstellt, aber es gehört offenbar zur Ermittlungspraxis.

Als ein besonders bizarres Beispiel selbsternannter Internetpolizisten führte Vetter jugendschutz.net auf. Diese Institution, die nach eigenen Angaben "das Internet kontrolliert", schrieb mehrfach Seitenbetreiber an und bemängelte angebliche Verstöße gegen das Jugenschutzgesetz - ohne jedoch zu sagen, worin dieser Verstoß angeblich besteht. Beseitigen soll man ihn natürlich dennoch. Da man bei dieser Institution offenbar mit einer Anzeige schnell bei der Hand ist, kann es schnell passieren, dass man morgens um 6 Uhr Besuch von der Polizei bekommt.

Im Zusammenhang mit Internetdelikten ist das Instrument der Hausdurchsuchung nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Vetter betonte mehrfach, man solle als Internetaktivist der Sicherheit halber davon ausgehen, irgendwann einmal Opfer einer Hausdurchsuchung zu werden und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen. Die Verschlüsselung der kompletten Festplatte sowie Backups auf Speicherorte im Internet gehören für ihn unbedingt dazu.

Vetter führte mehrere bizarre Beispiele von Hausdurchsuchungen an. So wurde  einem seiner Mandanten wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Mord die Wohnung dursucht - aufgrund eines in seinem Blog eingebetteten Ausschnitts eines bei Amazon erhältlichen Snuff-Videos. Ein Universitätsdozent wurde Opfer einer Hausdurchsuchung, weil der Internetprovider beim Übermitteln der IP-Adresse eines Verdächtigen einen Zahlendreher eingebaut hatte.  Eine andere schöne Anekdote lieferte Vetter, um zu demonstrieren, dass der Polizei mitunter der Unterschied zwischen einem Schreibtischrechner und einem im Rechenzentrum stehenden Server nicht immer klar ist. Als die Polizei bei einem der Verletzung des Urheberrechts Verdächtigten den Rechner abholen wollte, auf dem die Seite mit den ganzen Rapidshare-Links liegt, zeigte dieser geistesgegenwärtig auf seinen Arbeitsplatzrechner - den die Polizei auch brav einpackte.

Überhaupt scheinen die Ermittlungsbeamten sehr klare Vorstellungen zu haben, wie ein Gerät aussehen muss, auf dem große Datenmengen abgelegt werden: Es muss wie ein PC aussehen. Was nicht in dieses Muster passt, wird in der Regel nicht eingepackt. Wer also seine Daten auf einem Mobiltelefon oder - ganz raffiniert - im Speicher seines Fotokopierers ablegt, kann diese wahrscheinlich behalten.

Wurde aber ein Rechner beschlagnahmt und verlangt die Polizei dann das Passwort für die verschlüsselte Festplatte, darf man sich, ohne Dinge wie Beugehaft befürchten zu müssen, weigern. Es kann dann zwar sein, dass man seinen Rechner mit gelöschter Platte zurück bekommt - beklagen kann man sich naheliegenderweise über die verlorenen Daten nicht -, aber das ist eher als ein weiteres Argument für eine gute Backuplösung zu verstehen.

Sollte man auf der Polizeiwache etwas unterschreiben, sollte man sich ganz genau durchlesen, was man unterschreibt. Mitunter bekommt man die Einwilligung zu einer DNS-Probe untergejubelt, und wenn man nicht die Absicht hat, eine geben zu wollen, sollte man dem besser nicht zustimmen. Entgegen anderer offenbar gern erhobener Behauptungen sind Speichelproben nämlich nicht Standardbestandteil der Personenerfassung.

Ohnehin sollte man aufpassen, was man unterschreibt. Beispielsweise sollte man beim Protokoll der Hausdurchsuchung nicht nur das Kästchen ankreuzen, dass man Einspruch erhebt, sondern dies auch noch einmal ausdrücklich hinschreiben, damit nicht zufällig nach erfolgter Unterschrift der Bogen weiter ausgefüllt wird.

Als routinierter Fernsehkrimikonsument kennt man auch die Szene, in welcher der Ermittlungsbeamte bei Kooperation Strafminderung zusichert. Sollte man dieser Szene auch im realen Leben begegnen, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass ein Polizist diese Zusage gar  nicht treffen kann, da die Polizei nur Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft ist. Der Einzige, mit dem man verbindlich über Strafminderung verhandeln kann, ist der Staatsanwalt, und man sollte ihm dieses Privileg auch lassen.

Vetter hat es zu verschiedenen Anlässen immer wieder gesagt und wiederholte es auf der Sigint der Deutlichkeit halber noch einmal: Das Gerede vom "Internet als rechtsfreien Raum" ist ausgemachter Blödsinn. Wäre dem so, wären Anwälte wie Vetter sehr viel ärmer. Die Strafverfolgung im Netz ist genau so perfekt oder unperfekt wie im realen Leben. Das heißt unter anderem, dass rund 90 % der Ermittlungen in Internetdelikten ergebnislos eingestellt werden. Ebenso bleibt ein großer Teil der Hausdurchsuchungen zu kriminellen Handlungen im Internet ergebnislos. Den Ärger hat man natürlich trotzdem erst einmal. Vetters Einschätzung nach lauern in dem ganzen Verfahren so viele Fallstricke, dass man unbedingt sofort einen Anwalt hinzuziehen sollte.

Neben den geplanten Höhepunkten kam es auch zu unvorhergesehenen. Beispielsweise formierte sich in einer kurzfristig einberufenen Sitzung der "Arbeitskreis Zensus", der sich gegen die Volkszählung 2011 wendet. Das Demonstrationsbündnis zur "Freiheit-statt-Angst"-Demonstration im September traf sich, um die Aktion genauer vorzubereiten.

Ein kleiner, aber feiner Höhepunkt am Rande war meiner Meinung nach der Stand von CAcert, einem äußerst vielversprechenden Ansatz zum Ausstellen kostenloser SSL-Zertifikate, doch deren Wirken behandelt ein späterer Artikel genauer.

Dienstag, 18. Mai 2010

Wählt die Kandidaten der Einheitsliste der Grünen Front!

Die Frage, wie lange es maximal dauert, bis der Wähler als eigentlicher Volksschädling in einer Demokratie erkannt wird, hat eine Antwort: Neun Tage. Diese Zeit brauchte der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, um sich vom Schock des Wahlabends am 9. Mai zu erholen, und mit der lässigen Routine des Berufspolitikers findet er auch blitzschnell heraus, welche hinterhältigen Verräter den Dolch in den rot-grünen Rücken stießen: Nicht etwa die SPD, die ihr ohnehin schon klägliches Ergebnis aus dem Jahr 2005 noch einmal mit weiteren 2,6 % Verlust unterbot, sondern Piraten- und Linkswähler.

Wie man auf diese drollige Idee kommen kann? Ganz einfach: Wie wir alle wissen, entscheidet nicht der Wähler über die künftige Regierung, sondern Infratest dimap. Eine Umfrage dieses Instituts nämlich zitiert Beck, um zu belegen, dass sich das nordrhein-westfälische Volk nichts heißer ersehnt als eine rot-grüne Regentschaft. Dem hätte der Wähler sich beugen müssen. Statt dessen wagt der Pöbel den Verfassungsbruch, allen voran 554.327 Renegaten, die voller Heimtücke Linke oder Piraten wählten. In Wirklichkeit, so sinniert Beck, hätten die nämlich Rot-Grün gewollt, und es wäre ihre heilige Pflicht gewesen, dies durch entsprechende Stimmabgabe zum Ausdruck zu bringen. Kurz: Der Wähler ist zu dumm, die richtigen Felder auf dem Stimmzettel zu finden, und Kleinparteien gehören verboten.

Großartige Idee, Herr Beck. Kleinparteien fand ich immer schon überflüssig. Besonders diesen Sektiererverein, der in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts reihenweise an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und mehrfach den Sozialdemokraten die Regierungsmehrheit vermasselte. Wie hieß dieses Pack doch gleich? Ach ja, "die Grünen". Die hätte man gleich damals abschaffen sollen, das hätte uns so manches erspart. Claudia Roth zum Beispiel.

Besonders lieb finde ich es auch von Ihnen, dass sie uns künftig beim Ausfüllen der Stimmzettel helfen wollen. Wie konnten wir das übersehen? Linksparteiwähler sind ja in Wirklichkeit verkappte Sozis. Sie finden es ganz prima, dass die "Sozial"-Demokraten kräftig an der Abschaffung des Sozialsystems mitwirkten. Es reißt sie zu wahren Begeisterungsstürmen hin, wie die SPD innerparteilich alles Andere als demokratisch vorgeht, wie sie in der Opposition die große Reformpartei gibt, nur um in der Regierung eine von der CDU fast ununterscheidbare Politik zu verfolgen und sich kräftig selbst zu versorgen. Ähnlich ist es mit den Piraten. Die hätten am liebsten zusammen mit Otto Schily den Rechtsstaat demontiert und mit der SPD im Bundestag das Zensurgesetz verabschiedet. Dass die GrünInnen jetzt die Bürgerrechtspartei mimen, aber in der Regierung keine Anstalten trafen, die Verfassungsbrüche des SPD-Innenministers zu verhindern, ist in ihren Augen nur konsequent. Auch die Verdienste von Brigitte Zypries, Internetpolitikerin des Jahres 2009 und zweifache Trägerin des Big-Brother-Awards, um Vorratsdatenspeicherung, Großen Lauschangriff, Internetzensur, Aushöhlung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und Abschaffung des Rechts auf Privatkopie vermögen sie gar nicht genug zu loben. Natürlich können sich diese Wähler gar nichts Schöneres als eine Fortsetzung dieser Politik vorstellen.

Nicht alle Leser des Beckstage-Artikels mochten sich der Haltung des grünen Volksvertreters anschließen, und so sah er sich genötigt, einen Tag später den Dummerchen von Forenschreibern das Offensichtliche zu erklären: Das alles war "natürlich ironisch gedacht". Er folgt dabei der Tradition anderer Titanen des Wortes, deren geistige Höhenflüge vom Pöbel nicht ganz so wie gewünscht aufgenommen wurden:

1) "Ich wurde falsch zitiert." Das fällt natürlich bei einem komplett selbstverfassten Artikel schwer, also ging Beck gleich zur nächsten Stufe über.

2) "Ich wurde falsch verstanden." Mit anderen Worten: Nicht der Verfasser ist für seine eigenen Zeilen verantwortlich, nicht er war zu dumm, sich vernünftig auszudrücken, sondern der Plebs hat zu wenig Grips, um mit dem Neuronenfeuerwerk des Autors Schritt zu halten. Selber Schuld also, wenn man sich angegriffen fühlt.

3) Das Äußerste, wozu sich ein Patrizier vielleicht noch hinreißen lässt, ist ein: "Ich habe es nicht so gemeint." Man kann darin Anflüge von Bedauern erkennen, aber im Prinzip heißt es nicht mehr als: "Nun habt euch mal nicht so."

Völlig ausgeschlossen; eines gewählten Volkstribuns unwürdig und entsprechend auch praktisch nie gehört ist ein: "Tut mir leid, ich hab's offenkundig vermasselt und bitte um Entschuldigung." Dafür müsste man nämlich etwas haben, was in politischen Kreisen nur in homöopathischen Dosen vorkommt: Stil.

Besonders spannend finde ich, dass die 5.398.071 Nichtwähler aus Sicht Becks nicht weiter der Erwähnung wert sind. Selbst ein Bruchteil dieser Menschen hätte gereicht, um Rot-Grün mit einer komfortablen Mehrheit auszustatten, aber der Gedanke kommt dem Grünen offenbar nicht. Dass Politik inzwischen unter Ausschluss von mehr als 40 % der Wahlberechtigten stattfindet, passt gut zu seiner im Artikel demonstrierten Haltung. Man ist halt gern unter sich.

Freitag, 14. Mai 2010

Come to Cubilce World

Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich meine, es war im "Dilbert-Prinzip", in dem eine Anekdote davon erzählte, wie jemand, der in einem Großraumbüro arbeitete und keinen Anspruch auf ein Fenster hatte, eines Tages zufällig in ein Einzelbüro versetzt wurde, in dem sich dummerweise Fenster befanden. Da dieser völlig ungerechtfertigte Vorteil natürlich sofort abgeschafft werden musste, verbaute man ihm die Fenster mit Stellwänden.

"Naja", werden Sie jetzt sagen. "So sind sie halt, die verrückten Amis. Wir Deutschen sind da noch etwas entspannter." Sollte man meinen. Das unten stehende Foto wurde in einem deutschen Büro einer deutschen Firma aufgenommen.

Donnerstag, 13. Mai 2010

Der BKA-Chef und die Autos

Fast muss man für Jörg Ziercke schon so etwas wie Bewunderung empfinden. Die Unbekümmertheit, mit welcher der BKA-Chef regelmäßig seine komplette Ahnungslosigkeit zur Schau stellt, kennt man sonst nur von nachmittäglichen Pöbel-Bestiarien eines Hans Meiser. Diesmal geht es wieder einmal um die von ihm als Rettung der Menschheit herbeigeflehte Vorratsdatenspeicherung. Damit dem bekanntermaßen automobilaffinen Deutschen ein für alle mal klar wird, wie harmlos und nützlich diese Maßnahme ist, greift Ziercke zu einem, wie er meint, plastischen Vergleich. So wie im Straßenverkehr müsse es auch im Internet Regeln geben, denn immerhin: "Niemand käme heute auf die Idee, die Kennzeichnung am Pkw mit einem Generalverdacht gegen unschuldige Kfz-Besitzer gleichzusetzen."
Oops, he did it again. Man weiß nicht so recht, was mehr beunruhigt: Entweder lügt der Mann ganz unverschämt, oder weiß tatsächlich nicht, wovon er redet.

Wir rufen uns noch einmal in Erinnerung: Vorratsdatenspeicherung im Internet bedeutet, dass sich der Zugangsanbieter ein halbes Jahr lang merkt, wann ich von welchem Anschluss mit welcher Kennung wie lange mit welcher IP-Adresse im Internet unterwegs war. Die IP-Adressen, zu denen ich Verbindung aufgenommen habe, werden nicht gespeichert - es sei denn, ich benutze E-Mail. Dann kommt kurz gesagt alles ins Protokoll, was den Versand und Abruf der Mail anbelangt, einschließlich Sender und Empfänger. Allein der Inhalt der Mail interessiert nicht. Telefoniere ich übers Internet, werden die IP-Adressen der Gesprächsteilnehmer und die Gesprächsdauer, nicht aber der Inhalt gespeichert. Mobiltelefonate lassen wir hier außen vor, weil sie mit dem Internet nichts zu tun haben.

Zierckes Behauptung, die Vorratsdatenspeicherung im Internet entspräche dem Nummernschild an einem Auto, ist also eine schon fast kriminelle Verharmlosung. Fänden Zierckes Überwachungsträume auf der Straße statt, gäbe es eine jederzeit für die Polizei zugängliche Datenbank, in der über jeden Autofahrer stünde, wann er wie lange mit welchem Auto unterwegs war und wo seine Fahrt begann. Sobald er anhält, um sich mit jemandem zu unterhalten, stünde ebenfalls im Protokoll, wann dies wo stattfand und mit wem er sich unterhalten hat. Von Taxikunden registriert man zusätzlich noch Start und Ziel. Ledidglich die Hosentaschen müsste man nicht ausleeren. Ginge es auf den Straßen wie im Internet zu, dann wäre jeder noch so kleine Ort dafür haftbar, wer seine Straßen nutzt, dann könnte man die Bundesrepublik Deutschland dafür verklagen, dass in den 70ern die RAF mehrfach deutsche Autobahnen genutzt hat.

Herr Ziercke, am Anfang war Ihr entspanntes Verhältnis zur Realität ja noch ganz lustig, aber langsam wird es ermüdend, ständig Ihre Unwahrheiten korrigieren zu müssen. Bitte hören Sie auf, von Ihrem Intellekt auf den Ihrer Zuhörer zu schließen.

Montag, 10. Mai 2010

Wahlen abschaffen!

Seien wir ehrlich: Wahlen schaden in letzter Zeit mehr als sie nützen. Was, lieber Wähler, soll denn dieses Durcheinander in Nordrhein-Westfalen?

Die CDU hat eine kräftige Watschn kassiert - eine Watschn, die der amtierende Ministerpräsident ruhig persönlich nehmen darf, waren es doch seine Fotos und bestimmt keine Inhalte, die in den letzten Wochen auf Großplakaten das Stadtbild prägten. "Der Garant", "unser Ministerpräsident" - das ist selbst für einen an intellektuellen Höhenflügen üblicherweise armen Wahlkampf arg wenig. Auf der anderen Seite: Was hat Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen eigentlich so sehr verschusselt, dass die CDU gleich ein Fünftel ihrer Wähler verliert?

Dje SPD wiederum irrt sich gewaltig, wenn sie sich für die Gewinnerin der Wahl hält. Sie hat nicht gewonnen, sie hat nur weniger verloren. Ein Vertrauensbeweis, den Hannelore Kraft am Wahlabend frohgemut verkündete, sieht anders aus.

Die FDP kann enttäuscht sein, weil sie auf ein zweistelliges Ergebnis hoffte. Statt dessen verharrt sie auf ihren Werten aus dem Jahr 2005. Ein gewisser Teil mag auf das Gehampel des Außenministerplatzhalters in Berlin zurückgehen, aber vielleicht sollte man beim Vergleich von Europa- mit Kommunal- mit Bundestags- mit Landtagswahlen wirklich vorsichtig sein. An der FDP liegt es jedenfalls nicht, dass Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat.

Die GrünInnen etablieren sich  immer mehr als Nachfolgepartei der SPD. Wer heute eine moderat linksorientierte, kämpferische, zukunftsorientierte Partei mit einer erkennbaren, inhaltlich nachvollziehbaren Linie sucht, wählt grün.

Die Linke ist als weitere Auffangorganisation enttäuschter Sozialdemokraten endgültig eine bundesweit wahrnehmbare Partei. Zählt man die Ergebnisse von SPD, GrünInnen und Linken zusammen, erhält man die Ergebnisse, welche die SPD einst aus eigener Kraft erzielte.

Das Abschneiden der Piratenpartei ist zwar ganz manierlich, in einigen Städten sogar respektabel, insgesamt aber hatten die Piraten im vergangenen Wahlkampf deutliche Schwierigkeiten, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. An den Plakaten und den fleißig betreuten Informationsständen kann es nicht gelegen haben. Es fehlte einfach ein klares Aufregerthema wie bei der Bundestagswahl die Internetzensur. Anscheinend nimmt man die Partei als Protestoption für IT-Themen wahr, aber sie gilt noch nicht als inhaltliche Alternative bei allgemeiner Landespolitik.

Wie sieht es mit möglichen Koalitionen aus? Schwarz-Rot? Bewahre, dann können wir den Landtag gleich für die nächsten fünf Jahre schließen. Mit Demokratie hätte das, was dort mit Dreiviertelmehrheit ausgeklüngelt wird, auf jeden Fall nichts mehr gemein. Einziger Trost: Aus Großen Koalitionen gehen Kleinparteien häufig gestärkt hervor, und wenn das auf Kosten der reformunfähigen Politsaurier aus den 50ern des letzten Jahrhunderts geht, kann dies der Demokratie nur nützen.

Jamaica? Daran glaubt im Moment offenbar niemand ernsthaft.

Ampel? Ich bezweifle, dass eine Partei, die Bürgerrechte als ihre angebliche Kernkompetenz in den letzten Jahren konsequent ignoriert und sich hauptsächlich um Steuergeschenke für Spitzenverdiener gekümmert hat, ein konstruktiver Koalitionspartner sein könnte, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren. Die nationale Streusalzreserve war doch schon einmal ein großartiger Ansatz, sich um die wirklich drängenden Fragen der Nation zu kümmern.

Yps reloaded, also known as Rot-Rot-Grün? Hand aufs Herz: Wenn Sie unbedingt an die Macht wollen, Ihnen ein Sitz fehlt und Sie die Chance hätten, vielleicht mit einer Koalition, zumindest aber mit einer Tolerierung durch eine als Schmuddelkind verschrieene Partei an die Macht zu gelangen, wie lange widerstünden Sie den verführerischen Einflüsterungen, in Wirklichkeit wollten Sie und der Wähler doch das Gleiche, man müsse den mit Sicherheit folgenden Sturm der Entrüstung nur durchstehen und bei der nächsten Wahl sich die Bestätigung für eine an sich richtige Entscheidung abholen? Ich tippe auf maximal einen Monat.

Was den in den Parlamenten vertretenen Parteien leider fehlt, ist die Fähigkeit, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. In einer gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie sollte es eigentlich möglich sein, sich die Mehrheiten für seine Vorhaben zusammenzusuchen. Statt dessen hocken die jeweiligen politischen Blöcke in Lauerstellung und warten nur darauf, den Gegner zu erlegen. Wenn es denn die riesigen inhaltlichen Unterschiede wenigstens gäbe, die ein solches Taktieren rechtfertigen. In Wirklichkeit liegt man doch inhaltlich so eng beieinander, dass Journalisten sich schon fast traditionell einen Spaß daraus machen, den Leuten Passagen aus den Wahlprogrammen vorzulegen und raten zu lassen, wer die wohl geschrieben haben könnte. Die Fehlerquote ist immens. So gesehen finde ich es gar nicht einmal so verwerflich, wenn vor allem die GrünInnen sich immer wieder schwarz-grüne Optionen offen halten. In fünf Jahren wenigstens ein paar Positionen durchsetzen zu können erscheint ihnen attraktiver als fünf Jahre Opposition. Diese Rechnung geht zwar nicht unbedingt auf, aber die Haltung ist nicht so verwerfllich, wie sie manchem im Lagerdenken erstarrten Altlinken vorkommen mag.

Drei Schlüsse scheinen mir aus dieser und den vergangenen Wahlen zulässig. Erstens: Die Zeit der Volksparteien könnte langsam ihrem Ende entgegen gehen. Wie ich schon mehrfach schrieb, halte ich das für eine gute Entwicklung. Zu sehr haben sich die Großparteien darauf verlassen, dass sie anstellen können, was sie wollen, die Stammwähler hielten zu ihnen. Die Geduld der Stammwähler scheint ausgereizt. Sie gehen zu den Parteien, die inhaltlich klarere Positionen vertreten.

Zweitens: Was früher als "politische Umwälzung" oder "Erdrutsch" bezeichnet wurde, wird immer mehr zur Regel. Zwischen zwei Wahlen kann eine Partei mittlerweile durchaus zehn Prozentpunkte verlieren oder gewinnen. Zusammen mit dem ersten Schluss heißt dies: Man kann sich nicht mehr auf die Treue der Wähler verlassen. Ihre heiße und innige Liebe kann innerhalb weniger Wochen auch schon wieder vorbei sein. Das hat Vor- und Nachteile. Einerseits zwingt es die Parteien, genauer in Richtung Wähler zu horchen, andererseits birgt es die Gefahr, unpouläre, aber sinnvolle Entscheidungen zu verschleiern oder ewig aufzuschieben, weil man die baldige Quittung fürchtet.

Demokratisch äußerst bedenklich finde ich Äußerungen, die aus Kreisen der SPD immer wieder geäußert wurden: Die Wähler der Kleinstparteien hätten Rot-Grün die Mehrheit gekostet. Das ist rechnerisch wahr, aber wo steht doch bitte gleich geschrieben, dass es die heilige Wählerpflicht ist, entweder die CDU oder die SPD ins Regierungsamt zu hieven? Vielleicht haben die Wähler der Kleinstparteien sich etwas dabei gedacht, als sie ihre Stimme eben nicht einem der großen Blöcke anvertrauten. Möglicherweise ist es naiv, Wahl für Wahl seine Hoffnung auf eine politisch am Rande der Bedeutungslosigkeit lavierenden Bewegung anzuvertrauen, aber genau so haben die jetzt verdient mächtigen GrünInnen auch einmal angefangen. Veränderungen beginnen mitunter sehr klein, aber daraus zu schließen, dass sie ewig klein bleiben, ist offenbar Unsinn.

Drittens: Politik findet immer mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die unterhaltsamen Balken am Wahlabend mögen über die sehr bedenkliche Tatsache hinwegtäuschen, dass die ganzen prozentual großen Wählerwanderungen in absoluten Zahlen immer geringer ausfallen. Nicht einmal 60 % der Wahlberechtigten glauben noch, irgendetwas mit ihrer Stimme bewirken zu können. Egal, welche Konstellation den nächsten Regierungschef stellen wird, er oder sie wird kaum ein Drittel der Wahlberechtigten hinter sich haben. Demokratische Legitimation sieht anders aus.

Manchmal wünsche ich mir, dass man im Wahllokal einen Zettel ausgehändigt bekommt, der während der Legislaturperiode zur politischen Meinungsäußerung berechtigt. Wer diesen Zettel nicht hat, muss während der kommenden fünf Jahre die Klappe halten - kein dümmliches Gejammere über die "bösn Bollidiggers, die eh nur mache wasse wolle, abber uff de klaane Mann, da heere die do obbe ja nemmer", kein Geschrei nach dem weißen Ritter, nach der alles erlösenden großen Reform, die alles darf, nur einem selbst nichts abverlangt. Was meinen Sie, was ein notorisch klugschwätzendes, aber sich niemals an der politischen Willensbildung beteiligendes Wahlvolk vor den Wahllokalen Schlange stünde.

Samstag, 1. Mai 2010

Die Informationsmenge ist nicht unser Problem

Wer sich den Ruf des kritischen Denkers erwerben will, übt sich in Medienkritik. Dem Wahnwitz entgegen wirken, das ist die Maxime, gegen den Strom schwimmen, quer denken, dem gesellschaftlichen Stampede als einsamer Mahner aufzeigen, dass eine schlechte Idee nicht dadurch besser wird, dass alle ihr folgen.

Sieht man von der heroischen Pose einiger Kommentatoren ab, die sich selbst irgendwo zwischen Galilei und der Weißen Rose sehen, ist die grundsätzliche Frage auch völlig berechtigt: Ist die digitale Informationsgesellschaft ein so pfiffiges Konzept, dass es einfach allgemein überzeugt, oder folgen wir einfach dem Herdentrieb?

Eine Kritik, die seit dem Aufkommen des Internet immer wieder laut wird, ist die der Informationsüberflutung. Auf uns prassle so viel ein, heißt es, dass wir dieses Datenstroms gar nicht mehr Herr werden. Ständig werde eine neue Sau durchs globale Dorf getrieben, immer kürzer werde die Aufmerksamkeit, die einem einzelnen Thema gewidmet wird, bis man sich am Ende voller Hysterie um - ja, eigentlich nichts mehr kümmere.

Was das peinliche Gewese anbelangt, das um irgendwelche Kleinigkeiten veranstaltet und praktisch sofort wieder vergessen wird, ist dieses Phänomen erstens nicht neu, und zweitens gibt es ein einfaches Gegenmittel. Schon Shakespeare sprach von "viel Lärm um nichts". Im grandiosen Film "Extrablatt" karikieren Jack Lemmon und Walter Matthau einen Nachrichtenbetrieb, der im Minutentakt Schlagzeilen ohne dahinter stehende Informationen produziert - im Jahr 1974. Die vernünftige Reaktion lautet sei jeher gleich: ignorieren. Die Faustregel lautet: Je größer das Brimborium, je hysterischer die Pressemeldungen, desto unbedeutender ist das Ereignis. Oder, noch einfacher: Spätestens, wenn Claudia Roth sich dazu geäußert hat, können sie sicher sein, dass die Sache vollkommen unwichtig ist.

Gönnen Sie sich ruhig einmal den Spaß und sehen Sie einen Monat lang keine Nachrichtensendung, lesen Sie keine Zeitung. Gehen Sie den Meldungen nicht aus dem Weg, aber kümmern Sie sich nur um die Themen, die ihre berufliche und private Existenz unmittelbar betreffen. Laden Sie nach einem Monat einen Freund zu sich und lassen Sie sich auf den aktuellen Stand bringen. Wetten, dass Sie in maximal 30 Minuten fertig sind?

Das meiste, was auf uns täglich einprasselt, nützt allenfalls der Wachstumsrate unserer Magengeschwüre, wirkliche Relevanz hat es nicht. Wie steht es nun mit der ständig größer werdenden Informationsflut? Ich behaupte, einen ganzen Teil davon bilden wir uns nur ein.

Dabei will ich nicht bestreiten, dass wir exponentiell wachsende Datenberge produzieren, was ich bezweifle, ist die Behauptung, es handle sich dabei um Nachrichten. Das Meiste davon ist nämlich einfach maschinell erzeugt und interessiert kaum jemanden. Ein Beispiel: Voyager 2 funkt seit 1977 gewaltige Datenmengen zur Erde. Glauben Sie, dass die jemand wirklich liest? Ein paar Astronomen sehen sie sich natürlich grob an, aber selbst von denen interessiert sich niemand für jeden einzelnen Datensatz. Tatsächlich erstellen sie statistische Auswertungen und sehen vielleicht dann genauer hin, wenn die Sonde einen interessanten Ort erreicht hat. Am Ende bleiben von dreieinhalb Jahrzehnten Flugzeit knapp 200 Zeilen in der deutschen Wikipedia.

Ein anderes, alltäglicheres Beispiel: Die von mir betreuten Server erzeugen täglich meherere hundert Megabyte Protokolldaten, ohne dass sie jemand liest. Mein Chef interessiert sich erst dafür, wenn es zu Unregelmäßigkeiten im Betrieb kommt, und selbst dann will er nicht die Logs, sondern von mir eine Auskunft, worin die Schwierigkeit besteht.

Was ist passiert? Menschen haben einen in seiner Gänze uninteressanten Datenberg auf eine Nachricht komprimiert, die sie anderen Menschen mitteilen. Was also uns Menschen interessiert und wir wirklich als relevante Information empfinden, sind keine Rohdaten, sondern das, was andere Menschen aus ihnen interpretieren. Noch einfacher: Nachrichten stammen von Menschen, nicht von Maschinen.

Das wiederum begrenzt automatisch die maximal erzeugbare Datenmenge auf ein überschaubares Maß. Die theoretische Obergrenze liegt derzeit bei knapp 6 Milliarden Menschen, die im Schnitt 16 Stunden täglich aufeinander einreden. Tatsächlich ist das Maß natürlich viel niedriger, weil sie natürlich nicht die ganze Zeit reden, sondern vielleicht auch etwas schreiben, was viel langsamer ist, oder auch einfach nur herumsitzen. Ich behaupte weiterhin, dass die Rate, in der jeder Einzelne von uns Informationen produziert, in den letzten Jahrzehnten nicht in entscheidendem Maß gestiegen ist, weil wir unser Optimum einfach erreicht haben. Wir reden und schreiben einander nicht mehr als unsere Eltern oder Großeltern. Die Art der Kommunikation mag sich geändert haben, aber nicht die Datenmenge.

Die Menschheit erzeugt nicht mehr Nachrichten, es sind nur einfach mehr Nachrichten frei verfügbar. Hinzu kommt eine sehr schnell wachsende Menge Rohdaten, die für sich genommen noch nicht viel wert sind, weil sie erst noch von Menschen zu Nachrichten verdichtet werden müssen. Mit anderen Worten: Das Meiste brauchen wir gar nicht zu wissen. Wir haben nicht zu viele Nachrichten, wir haben nur nicht gelernt, sie zu filtern.

Mama, der hat mich gehaun!

Klein-Erik-Wendelin erlebt gerade auf dem Spielplatz seine Sozialisierungsphase. Eine ganze Weile schon stapft er mit großem Vergnügen durch die Sandburgen der Anderen. Deren Protestschreie stören ihn nicht weiter - bis es Melina-Madeline zu bunt wird und sie ihm mit der Schaufel ordentlich eins vors Knie zimmert. Das geht nun gar nicht. Laut heulend rennt Erik-Wendelin zu Mami, die ihrerseits aus allen Wolken fällt. Wie kann Melina-Madeline es nur wagen, ihrem kleinen Engelchen derart zuzusetzen? (Falls Sie sich wundern, woher ich dermaßen affektierte Namen habe: Die denke ich mir nicht aus, das erledigt die Realität für mich.)

Ist ungefähr klar, worauf ich hinaus will? Hat sich Vitali Klitschko jemals beschwert, wenn er im Ring kräftig vermöbelt wurde? Nein, denn zwei Dinge hat Dr Klitschko begriffen. Erstens: Wer auf jemanden eindrischt, muss damit rechnen, dass dieser sich wehrt. Zweitens: Wer kämpft, kann auch verlieren.

Diese elementare Erkenntnis scheint den Herren zu Guttenberg, Steinmeier, Trittin, Westerwelle sowie den Damen Merkel und Künast zu hoch zu sein. Voller Abscheu äußern sie ihr Entsetzen über die toten deutschen Soldaten in Kunduz. Was ich nachvollziehen kann: Es ist um jeden toten Menschen schade, egal, was er vorher getan oder gelassen hat. Diese Soldaten wollten leben, und irgendein Verbrecher hat sich angemaßt, ihnen dieses Recht zu verweigern. Leben ist ein kostbares Geschenk. Niemand darf es einem Anderen gegen dessen Willen nehmen. Kurz: Töten ist falsch.

Nachdem wir diese Grundsatzfrage geklärt haben, ist es an der Zeit, unserer politischen Führungselite ein paar einfache Tatsachen zuzumuten. Meine Kritik gilt nicht den Soldaten, die sich gerade mitten im Nirgendwo hinmetzeln lassen, meine Kritik gilt der hierzulande mehrheitsfähigen Einstellung, Menschen zu verheizen und zur Aufrechterhaltung der Kampfmoral ab und zu ein paar Krokodilstränen zu verdrücken.

Da unten herrscht Krieg, egal, wie ihr es nennt.

Es mag ja sein, dass zu einem echten Krieg eine gegenseitige Kriegserklärung zweier Staaten gehört, aber, mit Verlaub, sonst stellen sich unsere Staatsschefs auch nicht so kleinlich an. Die Bundesrepublik befand sich 40 Jahre lang formal gesehen im Waffenstillstand mit den Alliierten, und trotzdem sprachen alle Leute völlig zu Recht vom "Frieden". Bei guten Nachrichten scheint man also durchaus flexibel zu sein. In Afghanistan kämpfen Einheiten der Bundeswehr gegen die Taliban. Auf beiden Seiten gibt es Tote, Verletzte, Verkrüppelte und Sachschäden, die eingesetzten Waffen sind Kriegswaffen, und wir nennen das - wie doch gleich? Polizeieinsatz? Humanitärer Eingriff? Verteidigung der Freiheit am Hindukusch? Wie wäre es mit "Erholungsurlaub", das ist auch nicht weiter von der Wahrheit entfernt? Gelegentlich lese ich auch den Einwand, für einen Krieg gebe es einfach zu wenig Tote. Ohne auf diese von kruder Landserromantik geprägte Weltsicht eigehen zu wollen: Nennen wir es Krieg oder Bürgerkrieg, aber die Zeit der Verniedlichungsrhetorik ist einfach vorbei.

Wer auf andere schießt, muss damit rechnen, dass sie zurückschießen.

Was meint ihr, wozu diese schweren langen Teile mit dem Abzugshebel auf der einen und dem Rohr an der anderen Seite gut sind? Diese so genannten Gewehre tragen unsere Soldaten nicht mit sich herum, um Löcher für Saatgut auszustechen, sondern um Löcher in Taliban zu schießen. Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, dass die Taliban das für eine riesig tolle Idee halten und sich unbewaffnet nebeneinander aufstellen, damit es unsere Jungs nicht so schwer haben. Aus deren Sicht sind wir die Eindringlinge, gegen die sie sich zur Wehr setzen. Wir mögen anderer Meinung sein, aber es erleichtert die Sache, zu verstehen, warum die Taliban so agieren.

Tod gehört zum Soldatenleben.

Im Verlauf ihrer monatelangen Ausbildung sollte Soldaten insbesondere eins klar werden: Es geht um Leben und Tod - auf beiden Seiten. Im Zweifelsfall muss man bereit sein, seinen Gegner zu töten und wissen, dass man selbst dabei sterben kann. Ein Soldat, der dies nicht begreift, kann seinen Auftrag nicht erfüllen. Es ist sehr seltsam, dass diese Trivialität auf politischer Seite immer wieder ausgeblendet wird.

In Kriegen sterben Menschen.

Na gut, das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit, aber gleich darauf sterben Menschen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich ein Land im Krieg befindet, ist es, wenn dessen Propaganda dem Volk vorzugaukeln beginnt, Tote seien eine absolute Ausnahmeerscheinung

Niemand hat die deutschen Soldaten gezwungen, nach Afghanistan zu fliegen.

Wenn man die Pressemeldungen liest, könnte man meinen, die deutschen Truppen seien im Schlaf an den Hindukusch verschleppt worden und eines Morgens völlig überrascht statt in ihrer heimischen Kaserne in einem Zelt in Kunduz aufgewacht. Ich kann Sie beruhigen, das ist nicht der Fall.

Statt dessen wurden diese Leute gefragt. Sie sind in Afghanistan, weil sie es richtig finden. Das ist auch gut so, denn in ihrer Lage muss man von seinem Auftrag überzeugt sein, um vernünftig arbeiten zu können.

Man kann für sie Respekt empfinden, man kann ihnen dankbar sein, man kann Ehrfurcht davor haben, dass sie ihr Leben riskieren, um in einem fremden Land eine Demokratie mit aufzubauen, aber Mitleid ist das falsche Gefühl.

Krieg hat nichts mit Pietät zu tun.

Die Taliban sind Muslime. In deren Kalender gibt es keinen Karfreitag. Die haben sich möglicherweise nichts Besonderes dabei gedacht, gerade an diesem Tag einen Anschlag auf die deutschen Truppen zu verüben. Was Christen als besonderer Affront vorkommt, ist Anhängern anderer Religionen vielleicht nicht einmal bewusst.

Ähnlich steht es mit dem Herumgewinsel, wenn im Krieg jemand gegen die Genfer Konvention verstößt. Das Verbrechen an einem Krieg besteht bereits darin, dass er stattfindet. Über Menschlichkeit im Krieg zu sprechen, ist etwa so geschmacklos, wie einen Todeskandidaten zu fragen, ob er lieber eine blaue oder eine rote Augenbinde haben möchte.


Auch Soldaten lesen Nachrichten.

Ich bin zwar entschiedener Gegner jeder Form von Militär, aber gleichzeitig bin ich Demokrat genug, um anzuerkennen, dass eine Mehrheit in diesem Land offenbar eine Armee für sinnvoll hält. Wir können uns vielleicht sogar darauf verständigen, dass die Bundeswehr gerade in Afghanistan wirklich gebraucht wird. Was ich nicht akzeptiere, ist die Art, wie die politische Führung Deutschlands sich selbst, den Bürgern und vor allem den Soldaten, die sie gerade verheizt, etwas vorlügt. Ehrlich wäre es, zu sagen: "Da unten herrscht Krieg, wir sind darin verstrickt, und wer immer dort hin geht, muss damit rechnen, nicht nur Brunnen zu graben und Schulen zu bauen, sondern auch, andere Menschen zu töten und selbst getötet zu werden. Wer bereit ist, dieses Risiko einzugehen, verdient unsere Dankbarkeit, unsere Unterstützung, unseren Respekt." Statt dessen dreschen die Berliner Warlords Durchhalteparolen.

Entweder hü oder hott.

Auf der einen Seite will man virtuelles Töten in Counterstrike verbieten, auf der anderen Seite ermuntert man Soldaten, in das höchst reale Tötungsgebiet Afghanistan zu gehen. Auf der einen Seite verleiht die Bundeskanzlerin Tapferkeitsorden an Bundeswehrsoldaten - was ihr nur im Kriegsfall zustünde, in Friedenszeiten zeichnet der Bundesverteidigungsminister aus - auf der anderen Seite bezeichnen wir die Ereignisse in Kunduz als "robuste Stabilisierungsmaßnahme", und bezeichnenderweise hat sich Dr Merkel erst nach massiver öffentlicher Kritik dazu hinreißen lassen, bei den Trauerfeierlichkeiten für die drei getöteten Soldaten über das Protokoll hinaus Anteilnahme zu zeigen und nicht ihren Minister das allein ausbaden zu lassen. Diesem wiederum scheint das verbale Herumgealbere langsam auf die Nerven zu gehen. Er spricht inzwischen immer weniger verklausuliert vom Krieg. Es wäre gut, aus dieser Erkenntnis die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

Gewalt als Armutszeugnis

Das Bundesinnenministerium veröffentlicht neue Zahlen zur politisch motivierten Gewalt, und prompt verfallen die Angesprochenen in ihre lange antrainierten Beißreflexe. Nein, so wie vom Ministerium dargestellt, könnten diese Zahlen nicht stimmen, und selbst wenn sie es täten, müsse man ja wohl noch zwischen rechter und linker Gewalt unterscheiden. Um es mit Gereon Asmuth in der taz zu sagen: "Schon deshalb verbietet sich der Versuch, linke und rechte Gewalt gleichzusetzen [...]"

Um zu sehen, ob ich es verstehe: Wenn ich als Linksextremist jemanden totschlage, ist es ein heroischer Widerstandsakt gegen ein fieses Unterdrückungssystem, während Rechtsextremisten hinterhältige Mörder sind. Habe ich das ungefähr richtig wiedergegeben? Komisch, wenn ich mit meiner Textverarbeitung die Zeichenketten "links" und "rechts" vertausche, habe ich fast genau die Argumentation der Nazis.

Vielleicht aber ist Tothauen auch kein gutes Beispiel. Nehmen wir Verbrechen, deren Opfer überleben. Asmuth schreibt hierzu: "Selbst in Städten, die eine starke linksradikale Szene aufweisen, läuft dagegen niemand Gefahr, deren Opfer zu werden, bloß weil er selbst keiner linken Gruppe angehört" und bezieht sich kurz darauf auf die brennenden Autos in Berlin. Deren Besitzer haben bitte was genau getan, um die verzweifelte Notwehrreaktion unserer linken Freiheitsfreunde hervorzurufen? Sie haben diese Autos in einem Akt aggressivster Unterdrückung gekauft und brutalstmöglich in Berlin geparkt, so dass man als in die Ecke getriebener Linksextermist sich nicht anders zu retten wusste, als die Autos anzuzünden - ganz friedlich, versteht sich und entgegen innerster Überzeugung.


Es ist nicht etwa so, dass ich nicht sehe, wie soziale Unruhen zustande kommen. Ich kenne Menschen, die sich tagelang nur von Leitungswasser ernährten, weil die Kommune einfach das bereits bewilligte Hartz-IV-Geld nicht zahlte. Ich werde aggressiv, wenn ich lese, dass Behördenmitarbeiter offenbar nichts Besseres zu tun haben, als in Fußgängerzonen herumzulungern, Bettler zu beobachten und deren geschätzte Einnahmen mit ihren ALG-II-Bezügen zu verrechnen. Es ballt sich mir die Faust in der Tasche, wenn ich lese, dass Arbeitnehmer gefeuert werden, weil sie ihr Telefon an der Firmensteckdose aufladen oder Küchenabfälle essen. Doch so sehr es in den Fingern jucken mag, mit einem Knüppel dieser Wut Ausdruck zu verleihen - auf unserer Zivilisationsstufe funktioniert es nicht.


Auf unserer Zivilisationsstufe? Was soll das heißen? Es heißt, dass ich Gewaltfreiheit für ein Grundprinzip industrialisierter Demokratien halte, deren Sozialsystem wenigstens theoretisch eine allgemeine Grundversorgung gewährleistet. In Demokratien regieren aber nicht die Leute mit den dicksten Knüppeln, sondern Mehrheiten. Ich möchte, dass andere Leute ihre Finger von meinen Sachen und meinem Körper lassen, also lasse ich meine Finger von den ihren.


Das Dumme an dieser Einstellung: Sie ist öde. Wer wie viele Extremisten geistig irgendwo in den Zwanziger- oder Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stehen blieb, denkt gern in heroischen Bildern, athletischen, kernigen Menschen, die mit großer Geste ihre jeweilige Parteifahne hoch reckend mutig dem grimmen Feind die Stirne boten. Dagegen können die langweiligen Demokraten natürlich nicht anstinken, die im Wesentlichen stundenlag auf Stühlen sitzend endlose Diskussionen ertragen. Lesen Sie sich dieses Sitzungsprotokoll durch und vergleichen Sie es mit diesem Bericht der Berliner Maikrawalle. Nun mal ehrlich, Berlin fetzt mehr, oder?


Auf der anderen Seite kann ich mir kaum etwas Öderes, Einfallsloseres, Ritualisierteres, Spießigeres und Kläglicheres vorstellen als ein paar abgehalfterte Möchtegernrevoluzzer, denen seit einem Vierteljahrhundert in der Nacht auf den 2. Mai nichts Besseres einfällt, als sich in Berlin zusammenzurotten und den Polizisten mal so richtig eins auf den Helm zu geben. Nichts für ungut, Jungs, aber habt ihr mal hinter den Ofen geguckt, ob der Hund, den ihr dahinter hervorlocken wollt, vielleicht inzwischen vor Langeweile eingegangen ist? Habt ihr mal überprüft, ob sich durch euer blödsinniges Gehampel dieses Land auch nur einen Cicero in die von euch gewünschte Richtung bewegt hat? Wollt ihr euch der Abwechslung halber nicht mal ein reales Leben besorgen? Ein ganz einfaches, billiges sollte für euch mehr als ausreichen. Ich habe in finstersten Eifeldörfern Schützenfeste erlebt, deren Teilnehmer mehr geistige Flexibilität und weniger Borniertheit zeigen als ihr.

Vielleicht ist friedliche Demokratie gar nicht einmal so unsexy.

Harmonischer Endspurt

Noch elf Tage sind es bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, und bei der unklaren Stimmungslage sollte man vermuten, dass sowohl Parteien als auch Wähler gesteigertes Interesse aneinander entwickeln, selbst, wenn es um Nischenthemen wie Bürgerrechte geht. Der Konjunktiv im letzten Satz lässt ahnen, dass beide Seiten dieser Erwartung nicht entsprachen.

Bereits zur Europa- und Bundestagswahl hatte die Humanistische Union geladen, diesmal gab es anlässlich der Landtagswahl eine Diskussionsveranstaltung mit Vertetern der Parteien. Als Mitveranstalter traten der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein sowie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung auf. Nachdem man zuvor auf Europa- und Bundesebene gefragt hatte, lautete es diesmal aufs Bundesland bezogen: Wie steht es bei den Parteien um die Bürgerrechte? Geladen waren die bereits im Landtag vertretenen Parteien sowie die vermutlich künftig Mandate innehabende Linkspartei. Hinzu kamen Piraten - eine Partei, die mit voraussichtlich vielleicht einmal einem oder zwei Prozent noch Größenordnungen von einem Landtagssitz entfernt ist, sich aber im Lauf des letzten Jahres gerade zum Thema Datenschutz hervorgetan hat. Was hat diese Partei insgesamt zu bieten?

SPD, Grüne und Piratenpartei schickten mit Bernhard von Grünberg, Eike Block und Christian Horchert immerhin ihre Bonner Direktkandidaten ins Rennen. Die CDU hätte mit Dieter Steffens einen Stadtverordneten entsandt - wäre dieser nicht urplötzlich erkrankt. Die FDP konnte bis kurz vor Veranstaltungsbeginn nicht genau sagen, wer sich auf dem Podium die Ehre geben wird - es wurde der Bonner Stadtrat Achim Kansy. Bei den Linken gab es ebenfalls etwas Bewegung auf der Teilnehmerliste. Am Ende erschien die Listenkandidatin Monika Dahl.

Das Publikum war überschaubar und bestand fast ausschließlich aus Mitgliedern der Veranstaltenden Organisationen. Man kannte sich gegenseitig, was bisweilen dazu führte, dass vom Podium einzelne Zuschauer direkt namentlich angesprochen wurden.

Man war sich einig - fast schon zu einig. Schenkt man den Worten der Podiumsteilnehmer Glauben, müsste es fantastisch um Datenschutz und Bürgerrechte stehen, weil alle sich so vehement dafür einsetzen. Gut, die FDP möchte sich gern dafür einsetzen, wäre da nicht die böse CDU, die ständig die armen Liberalen unterdrückt. Sollte tatsächlich eine Partei, die in den meisten Bundesländern irgendwo zwischen 35 und 45 Prozent Zustimmung und damit nur in Ausnahmen die absolute Mehrheit hat, den Rest der politischen Landschaft unter seine Knute zwingen? Warum haben SPD und Grüne während ihrer Regierungszeit dann nicht das Land in eine Oase des Bürgerrechts verwandelt? Wieso hat niemand Otto Schily gestoppt? Könnte es vielleicht doch möglich sein, dass man im Zweifelsfall lieber die Recht-und-Ordnung-Karte spielt, weil das beim Wähler viel mehr Eindruck schindet als das Humanismusgewinsel der Datenschützer?

Kaum glaube ich, was ich jetzt schreibe: Ich habe die CDU vermisst - nicht, weil ich ihre politischen Überzeugungen teile, sondern weil sich deren Vertreter hoffentlich den Fußabtreter zu spielen.geweigert und ein paar Worte der Richtigstellung gebracht hätte.

Drei Themenblöcke

Es gab drei Themenblöcke, die jeweils durch eine kurze Einleitung der Humanistischen Union, des RAV und des AK Vorrat eröffnet wurden. Im ersten Block ging es um die Frage, ob es einen unabhängigen Polizeibeauftragten geben soll, ob man Polizeiaufgaben an private Sicherheitunternehmen abgeben darf und wie es derzeit um die Onlinedurchsuchung steht.

Die Antworten unterschieden sich kaum in der grundsätzlichen Richtung, allenfalls in Details setzten die Referenten kleine Akzente. So befürworteten alle eine unabhängige Kontrollinstanz für die Polizei, die ähnlich wie der Datenschutzbeauftragte dem einzelnen Bürger hilft, wenn er Klärungsbedarf sieht. Mehrere Parteienvertreter beklagten den Korpsgeist der Polizei, der interne Ermittlungen sehr erschwert. In diesem Zusammenhang regte Christian Horchert die Identifikationsnummer für Polizisten an.  Die schlechte Ausbildung und Bezahlung der Einsatzkräfte wurde mehrfach bemängelt.

Einigkeit herrschte auch in der Auffassung, die Staatsmacht könne und dürfe keine hoheitlichen Aufgaben an private Sicherheitsfirmen übergeben. Beim Thema Onlinetrojaner freute sich Eike Block darüber, dass Karlsruhe dem einen Riegel vorgeschoben hat. Dem widersprach Christian Horchert, der im BKA-Gesetz ein Werkzeug sieht, die Onlinedurchsuchung durch die Hintertür doch einzuführen.

Bundeswehr im Innern?

In der anschließenden freien Fragerunde sprachen sich alle Vertreter gegen den Einsatz der Bundeswehr im Inneren aus. Von Grünberg präzisierte diesen Punkt weiter und wies darauf hin, dass der zivile Katastrophenschutz in Deutschland gut ausgestattet ist und sich eher über Arbeitsmangel als über zu viel Arbeit beklagt. In Bundeswehreinsätzen wie beim Oderhochwasser, bei dem die Sandsäcke auch ohne weiteres vom THW hätten geschleppt werden können, sieht er vor allem eine Maßnahme, das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit aufzupeppeln. Von Grünberg war auch der Einzige, der sich gegen eine zivile Führung der Polizei aussprach. In seinen Augen braucht die Polizei kein abgehobenes Management, das mit abstrakten Konzepten und McKinsey-Wissen weltfremd in die Polizei hineinregiert, sondern jemanden "aus der Truppe" (er benutzte andere Worte, war aber ähnlich deutlich).

Datenschutz

Im zweiten Block ging es allgemein um Datenschutz, der Gefahr von zentralen Datensammlungen und der Haltung der Parteien zu einen Präventivstaat, der seine Bürger in eine Rechtfertigungsrolle zwingt. Hier kam endlich etwas Bewegung in die Diskussion, als die FDP stolz ihre drei Vorzeigeliberalen aufzählte, wobei sie Bürgerrechte und Datenschutz zu ihren Kernkompetenzen zählte. Frage an den geneigten Leser dieser Zeilen, sofern Sie in NRW leben: Sollten Sie irgendwo in diesem Bundesland ein Wahlplakat der FDP finden, dessen Slogan irgendetwas mit diesem angeblichen Herzenzanliegen der Partei zu tun hat, wäre ich Ihnen dankbar, wenn sie ein Foto davon in den Kommentarbereich schicken könnten. Ich habe jedenfalls noch keins gesehen. Doch wir wollen nicht ungerecht sein. Als staatstragende Partei in Regierungsverantwortung muss man - und jetzt alle: "Kompromisse eingehen". Prompt musste er sich von Christian Horchert Nachhilfeunterricht in Geschichte gefallen lassen, der darauf hinwies, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sei 1996 als Justizministerin zurückgetreten, weil ihre Partei sich mehrheitlich für den Großen Lauschangriff entschieden hat. So viel also zum Thema Kernkompetenz. Horchert setzte sich darüber hinaus für den Datenbrief ein. Datensammeln müsse teuer werden, begründete er, und wenn eine Firma regelmäßig den Betroffenen über die gesammelten Daten informieren muss, entstünden ihr dadurch hohe Kosten.

Auch Monika Dahl äußerte Zweifel an den beanspruchten Kernkompetenzen der FDP. Weiterhin betrachtete sie die Fragen, die bei einer allgemeinen Erfassung von Fingerabdrücken entstehen. Sie sieht dadurch die Leute diskriminiert, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, valide Fingerabdrücke zu liefern. Richtig gut zündete dieses Argument allerdings nicht. Von Grünberg bemerkte dazu, Leute, deren Fingerabdrücke man nicht erfassen könnte, hätten aus Sicht des Datenschutzes doch eher Vor- als Nachteile. Er lenkte das Augenmerk auf den Versuch des BKA, auf dem Gebiet der Länderpolizeien zu marodieren. Als Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes NRW verwies er außerdem auf das Scoring von Menschen aufgrund ihrer Wohngegend. Wer das Pech habe, zufällig in der falschen Gegend zu wohnen, laufe Gefahr, schlechte Kreditkonditionen zu bekommen und nicht in Genuß von Sonderrabatten zu kommen, die vermeintlich zahlungskräftigeren Kunden eingeräumt werden. Er warf den Datenschutzbeauftragten vor, hier zu wenig Aktivität zu zeigen. Was diesen Vorwurf anbelangt, kann man geteilter Auffassung sein. Wer die Tätigkeitberichte der Datenschutzbeauftragten liest, findet dort mitunter schon seit Jahren das Thema Scoring. Wenn bestimmte Themen in der Öffentlichkeit nicht zünden, muss das nicht unbedingt am mangelnden Engagement der Datenschützer liegen.

Eike Block ging sehr detailliert auf das Thema ein. Er forderte vor allem mehr Transparenz. Voraussetzung einer Datenerhebung solle die aktive Zustimmung der Betroffenen sein. Datensparsamkeit sei das Ziel. Es käme immer wieder dazu, dass Daten verschwinden und an ungeahnter Stelle wieder auftauchen. Diese Gefahr werde gerade durch eine zentrale Datenhaltung erhöht. Aus diesem Grund sei er für eine dezentrale Speicherung der Daten in den Bundesländern.

Steuersünder-CD

In der anschließenden Fragerunde ging es um den Ankauf illegal erhobener Steuersünderdaten durch den Bund, die Thematisierung von Datenschutz im Schulunterricht und eine Art Haltbarkeitsdatum für Gesetze, nach dem diese automatisch einer Sinnprüfung unterzogen werden. Eike Block sprach sich klar dafür aus, zur Aufklärung von Steuerverbrechen selbst zum Straftäter zu werden. Recht so! Im Kampf gegen den Pesthauch des Kapitalismus darf man nicht zimperlich sein. Wenn die Volksseele kocht, ist der Rechtsstaat eh nur ein Klotz am Bein.

Bernhard von Grünberg stimmte zwar inhaltlich seinem grünen Mitstreiter zu, argumentierte aber weit weniger krachledern. Er sprach von einer Güterabwägung und davon, dass sich bei Steuerhinterziehung einige Wenige sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Vom Ergebnis her gleich wie die Auffassung Blocks hinterließ die Argumentation von Grünbergs weit weniger den Eindruck, hier werde mit zweierlei Maß gemessen, so lange es gegen den ungeliebten Klassenfeind geht.

Apropos zweierlei Maß: Achim Kansy konnte gar nicht verstehen, warum im Publikum Gelächter losbrach, als er sich wortgewaltig für die armen, hilflosen Steuerhinterzieher ins Zeug legte, jene armen Millionäre, die am untersten Ende der sozialen Leiter um ihre nackte Existenz kämpfend verzweifelt versuchten, ihre wenigen verbliebenden Luxusvillen beisammen zu halten. Nun ja, wie soll ich es sagen? Möglicherweise entsteht ein winziges Glaubwürdigkeitsdefizit, wenn eine selbsternannte Bürgerrechtspartei reihenweise ihre angeblichen Kernwerte der Koalitionsdisziplin opfert, rein zufällig eine großzügige finanzielle Zuwendung mit einem Steuergeschenk beantwortet und dann urplötzlich, wenn es um die eigene Klientel geht, den beinahe vergessenen Bürgerrechtsgedanken wiederentdeckt und zum Prinzipienreiter wird.

Anerkennen muss man, dass sich Kansy von diesem Rohrkrepierer nicht beirren ließ und wirklich einige kommunale Vorkommnisse behandelte, bei denen die Hoffnung aufkeimte, dass der Datenschutz- und Bürgerrechtsgedanke in der FDP doch noch einen gewissen Stellenwert genießt. So verwies er auf den Versuch der Stadt Bonn, Videoüberwachung in Schwimmbädern einzuführen, sowie das geplante Zweitwohnungsgesetz, das die Vermieter zur Prüfung anhalten sollte, ob sich der Mieter mit Erstwohnsitz in Bonn meldet. In beiden Fällen habe sich die FDP dafür eingesetzt, dies zu verhindern.

Datenschutz gehört zu den klaren Hauptthemen der Piratenpartei, und entsprechend detailliert äußerte sich der im Hauptberuf als IT-Sicherheitsberater arbeitende Christian Horchert dazu. Er lehnt den Kauf der Steuersünder-CD aus prinzipiellen Erwägungen ab. Es schmerze zwar, hier zu verzichten, aber wenn man erst einmal illegal erhobene Daten als Grundlage eines rechtsstaatlichen Verfahrens akzeptiere, überschreite man eine Grenze, hinter die man schwer wieder zurückkommt. Weiterhin verwies er auf die Gefahren des Präventivstaats, der die Verbrechensbekämpfung weit ins Vorfeld verlagert und zu absurden Gesetzen führt. Seiner Ansicht nach dürften diese Gesetze keiner ernst zu nehmenden Qualitätskontrolle standhalten. Die Erziehung zur Medienkompetenz als Unterrichtsfach an den Schulen sieht er mit gemischten Gefühlen. Die jetzigen Konzepte seien zu sehr auf gegenwärtige Modetrends fixiert und entbehrten einer längerfristigen Perspektive.

Monika Dahl konnte sich den Seitenhieb nicht verkneifen, allein schon die Ankündigung, die Steuersünder-CD zu besitzen, habe zu massenhaften Selbstanzeigen geführt, man hätte sich eigentlich auch die Geschichte ausdenken, das Geld sparen können und wäre zum gleichen Ergebnis gekommen. Medienkompetenz als Unterrichtsfach hielt die hauptberufliche Lehrerin für Spielerei.

Jugendstrafvollzug

Der dritte Themenblock fiel etwas aus dem restlichen Rahmen der Veranstaltung, bot aber auch Stoff für interessante Fragen. Es ging um Fragen des Jugendstrafvollzugs, den Schusswaffeneinsatz und Alternativen zur reinen Gefängnishaft.

Eike Block setzte bei der Frage an, wie durch vernünftige Sozialarbeit verhindert werden kann, dass Jugendliche zu Straftätern werden. Er sieht den geschlossenen Vollzug kritisch. Ihm geht es darum, den Jugendlichen die Sozialkompetenz zu vermitteln, die ihnen ganz offenbar fehlte, als sie ihre Straftat begingen, und so die Gefahr eines Rückfalls zu verringern. Er kritisierte, dass für solche Maßnahmen nicht genug Mittel bereitgestellt werden.

Bernhard von Grünberg ging wohltuend selbstkritisch mit seiner Partei um. Er sieht in der SPD keine Mehrheit für eine soziale Lösung.

Ähnlich wie Block sieht Monika Dahl eine wichtige Aufgabe in sozialen Maßnahmen zur Sozialisierung im Vorfeld und Resozialisierungen im Nachgang eines Verbrechens. Sie sieht die Gefahr, dass die Idee, wie in den USA Gefängnisse aus Kostengründen privat zu betreiben, auch nach Deutschland gelangt.

Christian Horchert gab unumwunden zu, auf dem Gebiet des Strafvollzugs nur wenig bewandert zu sein. Er habe erst kürzlich angefangen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und fände es äußerst spannend.

Achim Kansy ging auf die Regelung zum Gebrauch von Schusswaffen ein, relativierte allerdings deren praktische Bedeutung, weil es schon seit Jahren nicht mehr dazu gekommen sei, dass jemand auf der Flucht erschossen wurde. Er forderte schnellere Gerichtsverfahren und einen damit verbundenen deutlichen Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe. Als mögliche Maßnahmen nannte er das Projekt "Gelbe Karte" und forderte die Einstellung von 1000 zusätzlichen Mitarbeitern in der Resozialisierung. Damit aber gar nicht erst die Hoffnung aufkeimen konnte, dass diesen schönen Worten jemals Taten folgen, verwies er auf - genau - Koalitionszwänge.

Drogenpolitik

Die letzte freie Fragenrunde behandelte das Thema, ob sich durch eine andere Drogenpolitik die Situation in der Jugendkriminalität bessern ließe. Bernhard von Grünberg berichtete, dass die Hälfte der Gefängnisinsassen wegen Drogendelikten inhaftiert sei. Er setze sich deswegen für eine Entkriminalisierung und kontrollierte Heroinabgabe ein. Ähnlich äußerte sich Christian Horchert. Er sprach sich sogar für eine völlige Legalisierung von Heroin aus. Auch Monika Dahl wich nicht besonders von dieser Auffasung ab, wobei sie ihren Wunsch nach Legalisierung auf weiche Drogen beschränkte, die sie in einer Kategorie mit Alkohol und Nikotin sieht. Eike Block schloss sich dieser Ansicht an. Er sieht das Justizvollzugspersonal bei der Behandlung von Drogendelikten im Gefängnis überfordert. Die Abgabe aller weichen Drogen, also auch die bereits legaler, möchte er mit Beratung versehen wissen. Für deutliche Auflockerung der Stimmung sorgte seine mit breitem Grinsen vorgetragene Bemerkung, bei der Grünen Jugend habe man reichhaltige Erfahrung im Umgang mit weichen Drogen gesammelt.

Keinen echten Verlierer, aber einen Gewinner

Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, stellt sich abschließend die Frage, wer insgesamt am besten überzeugen konnte. Das größte Potenzial nach oben wies aus meiner Sicht der Vertreter der FDP auf, der zwar inhaltlich gut vorbereitet war, auf Angriffe jedoch wenig souverän reagierte und für meinen Geschmack etwas zu stolz darauf war, dass seine über 70.000 Mitglieder zählende Partei mit Gerhart Baum, Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger doch immerhin satte drei Liberale aufweisen kann. So stolz er auf Baum auch sein mag, die Zeit, dessen neuestes Buch ausreichend genau zu lesen, hatte er offenbar nicht und musste sich vor versammeltem Publikum belehren lassen, was wirklich darin steht. Das Argument, man müsse in Koalitionen eben Kompromisse eingehen, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, warum man diese Kompromisse aber ausgerechnet besonders gern bei den Themen einzugehen bereit ist, von denen man gleichzeitig behauptet, sie gehörten zu den Kernkompetenzen der FDP, bedarf doch einer Erklärung. Vielleicht hat die Öffentlichkeit ja auch eine verzerrte Wahrnehmung von dieser Partei, aber dann sollte man sich doch fragen, ob die katastrophale Außenwirkung nicht auch an der Unfähigkeit liegt, die eigenen Erfolge vernünftig zu vermitteln. Wenn man an der Parteispitze jemanden hat, der in die seriöse Politik etwa so gut passt wie Ingo Appelt ins politische Kabarett, braucht man sich nicht zu wundern, dass man als Haufen Wendehälse wahrgenommen wird, die den Leuten nach dem Mund reden und den Staat als Selbstbedienungsladen betrachten.

Der Vertreter der Piraten schlug sich wacker, aber man merkt, dass diese Partei einfach noch viel vor sich hat, unter anderem die Fünf-Prozent-Hürde. Offenbar hatte Christian Horchert sich gut vorbereitet, scheiterte aber bisweilen daran, dies zu vermitteln. Wenn man unerklärt Begriffe in den Raum wirft, riskiert man einfach, nicht verstanden zu werden. Ein bisschen weniger Detailtiefe und mehr Allgemeinverständlichkeit wären für die Zukunft schön. Ein oder zwei sonntägliche Kreuzchen kann einem dieser Auftritt auf jeden Fall wert sein.

Eike Block lieferte ebenfalls ein gutes Bild. Was ich ihm ankreide, ist seine in meinen Augen von Populismus getrübte Haltung zu Datenschutzfragen. Informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, auf das jeder Anspruch hat. Was ich heute begrüße, weil ich damit ein paar reiche Steuerhinterzieher erwische, kann morgen genutzt werden, um unbequeme Umweltverbände zu durchleuchten. Wenn ich erst einmal die Grenze überschreite, Verbrechen als Mittel zur Verbrechensaufklärung zu akzeptieren, muss ich mich fragen lassen, wo ich meinerseits die Grenzlinie ziehe. Der grüne Kandidat mag nicht so denken, aber er hinterließ bei mir den Eindruck, Grundrechte gelten bei ihm nicht, wenn man in das ideologische Feindbild passt.

Die Linkskandidatin Monika Dahl wusste sich gut zu vermitteln. Einige kleinere Polemiken trübten den guten Gesamteindruck nur wenig. Ihr Haupthindernis dürfte ihre Partei sein, die in den Augen Vieler weiterhin mit ihrem DDR-Erbe zu kämpfen hat.

Sieger nach Punkten war Bernhard von Grünberg. Er hat einige soziale Themen besetzt, in denen er ganz klar mehr wusste als alle Anderen auf dem Podium. Auch bei Themen, bei denen er eine andere Meinung als die Publikumsmehrheit vertrat, vermittelte er immer wieder den Eindruck, zu seiner Auffassung nach reichlicher Überlegung gelangt zu sein und keine populistischen Schnellschüsse abzugeben. Es bleibt abzuwarten, ob ein an sozialer Politik und Bürgerrechten orientierter Abgeordneter in der SPD eine Chance hat, die in Regierungsverantwortung mehrfach durch unsoziale Entscheidungen, Beliebigkeit und Verletzung von Grundrechten auffiel.

Insgesamt hat sich die Veranstaltung gelohnt. Aus meiner Sicht hat die SPD nach ihren katastrophalen Vorstellungen des letzten Jahres wieder deutlich gepunktet. Ein Bernhard von Grünberg wäre nicht der Falscheste, den man in den Landtag schicken kann.

Interessant war auch der Auftritt Christian Horcherts. Sowohl er als auch seine Partei dürften keine Chance auf ein Mandat haben, aber weiterhin verspreche ich mir von den Piraten viele neue politische Impulse. Die Piraten haben noch Schwierigkeiten, aus der Geek-Ecke heraus zu kommen und ein bürgerliches Publikum anzusprechen, jedoch hoffe ich, Horchert und andere Vertreter seiner Partei künftig häufiger auf Podien zu sehen.